Comboni, an diesem Tag

Tiene una relazione (1871) al Consiglio centrale dell’Opera del Buon Pastore
A don Bricolo, 1866
Dio mi ha dato una illimitata confidenza in Lui, che non mi allontanerò dall’impresa per verun ostacolo

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N° Schrift
Empfänger
Asteriskus (*)
Absender
Datum
31
Suoi genitori
0
Khartum
18. 1.1858
[206]

ich bin schon auf dem Schiff. Wir sind dabei, Khartum zu verlassen, um uns auf den Weg zu den Stämmen von Zentral Bahr-el-Abiad zu machen. Dieses Schiff in Form einer Dahabiya ist das größte und stärkste, das es im Sudan gibt. Es gehört der Mission von Khartum, die ihm den italienischen Namen „Stella Matutina“ gegeben hat. Sie weihten es sozusagen der Jungfrau Maria, damit sie wirklich ein lichter Morgenstern sein möge für die armen Schwarzen, die noch eingehüllt sind in die Finsternis der Ignoranz und des Götzendienstes.


[207]

Wir alle sehnen uns brennend danach, das ersehnte Ziel der langen und beschwerlichen Pilgerfahrt zu erreichen. Wir vertrauen auf den Herrn, dass es uns gelingen möge, trotz aller erschreckenden Schwierigkeiten, denen wir bis heute begegnen, den guten Samen ausstreuen zu können. Es handelt sich um die Mission von Khartum, die in drei Missionsstationen aufgeteilt ist. Sie wurde vor zehn Jahren gegründet. In ihr sind 24 Missionare tätig. Es wurden schon einige Millionen Franken ausgegeben. Die Mission hat inzwischen ein so großes Ansehen, dass sie von den Türken und den in der Umgebung wohnenden Schwarzen respektiert wird und die Missionare das Evangelium frei verkünden können. Bis jetzt haben sie erst ungefähr 120 Seelen bekehrt. Die meisten von ihnen sind Jungen. Damit diese ihrem Glauben treu bleiben, ist die Mission gezwungen, ihnen Nahrung, Kleidung und Unterkunft zu geben. Es ist nicht zu glauben, welche Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten die Missionare dieser Missionsstation zu ertragen haben.


[208]

Aber vielleicht haben wir eine größere Hoffnung, denn wir sind ärmer und brauchen deshalb weniger. Aus dem, was wir hier erleben, sehen sich die Dinge besser an, als man in Europa denkt. Aber bis jetzt wächst unser Vertrauen auf Gott. [...]. Er kann sie empfänglich machen für die wohltuenden Einflüsse der göttlichen Gnade.


[209]

Ihr aber sollt Euch inzwischen keine Sorgen um uns machen. Gott ist mit uns. Die Jungfrau Maria ist mit uns. Der heilige Franz Xaver ist unser Patron. Indem wir auf diese starken Säulen vertrauen, haben wir [...] den Tod und die größten Leiden und Beschwernisse überstanden. Ermutigt durch diese großartigen Schutzwälle Gottes, die Jungfrau Maria und den Hl. Franz Xaver, fühlen wir uns weit sicherer, als wenn wir uns bei den Stämmen Zentralafrikas mit einem Heer von hunderttausend französischen Soldaten präsentiert hätten. Macht Euch also um uns keine Sorgen. Schlagt Euch solche Gedanken aus dem Kopf.


[210]

Es genügt, wenn Ihr für uns betet, wenn wir im Herzen verbunden bleiben und Gott immer im Zentrum unseres Lebens steht. Es kann sein, dass Ihr monatelang keine Post von mir bekommen werdet, aber bleibt trotzdem guten Mutes. Ich sagte Euch jetzt schon, dass ich Euch in eineinhalb Monaten nach der Rückkehr der Stella Matutina schreiben werde. Ihr aber gebt mir Nachricht zweimal im Monat, das heißt jedes Mal, wenn der Dampfer von Triest nach Alexandria in Ägypten ausläuft. Unterlasst es nicht, mir zu schreiben. Denn, auch wenn ich von Euren Briefen fünf oder sechs auf einmal bekomme, möchte ich doch über Euch und die Familie eingehend informiert sein. Ich möchte also gern regelmäßig alle zwei Wochen Nachricht von Euch und über Euch und alles, was Euch betrifft. Also, schreibt mir alle zwei Wochen. Wie ich Euch bereits gesagt habe, sind bis jetzt alle Briefe angekommen.


[211]

Von allen meinen Gefährten habe ich bis jetzt das meiste Glück gehabt, was die Briefe aus Europa betrifft. Die Angehörigen meiner Gefährten haben entweder nicht oder wenig geschrieben, oder die Briefe sind verloren gegangen. Heute Morgen haben wir dem Patriarchen von Abessinien einen Besuch abgestattet. Er ist so etwas wie der Papst der häretischen Kopten. Er tritt auf als Botschafter des Kaisers von Abessinien beim König von Ägypten. Er war umgeben von einem assistierenden Prälaten und einem General des Heeres und stand unter dem Schutz der ägyptischen Präsidentengarde. Majestätisch sitzend auf kostbaren Kissen aus feinstem Damast und bester Seide hat er uns großartig empfangen. Er ist der Papst der Kopten. Wenn Kopten sterben, erbt er den vierten Teil ihrer Güter, sodass er einer der reichsten Männer ist, die es dort gibt. Er reichte uns Schibuk und Zimttee. Wir erzählten ihm über unsere Mission und gaben ihm zu verstehen, dass wir beim Vordringen ins Landesinnere unser Leben riskieren. Er fragte uns: Warum tut Ihr das? Um sie und ihre Seelen zu retten, antworteten wir, denn auch unser Herr Jesus Christus hat sein Leben für uns hingegeben. Dann ist es recht, antwortete er. Anschließend sprach einer der Missionare von Khartum zu ihm über Jesus Christus, und wie es Gott gefallen wird, wenn alle Menschen sich vor dem Kreuz verneigen und alle Jesus Christus anbeten werden. Ja, wir wollen es hoffen, antwortete er, und lenkte das Gespräch auf den Kaiser von Abessinien.


[212]

Heute hat er uns auf dem Schiff Stella Matutina besucht und war erstaunt zu sehen, wie wir unseren Glauben bezeugen. Er sah nämlich die Kapelle auf dem Schiff, in der wir jeden Morgen die hl. Messe feiern. Schließlich verließ er uns voller Bewunderung und sagte uns, dass er diesen großartigen Tag in seinem Gedächtnis behalten werde. Er war majestätisch gekleidet. In keiner Weise denkt er aber daran, katholisch zu werden. Mir kam in den Sinn, ihn zu überreden, nach Rom zu reisen, wo er großartige Dinge sehen würde. Jetzt reicht es für heute. Liebe Eltern, seid guter Dinge. Ich reise ab. Auch wenn ich noch manches andere erzählen wollte, im Moment habe ich keine Zeit mehr zum Schreiben, weil die Stella Matutina die Anker lichtet, um von Khartum abzufahren.


[213]

Wir fahren froh und vergnügt los, auch wenn wir uns damit abfinden müssen, dass unsere vielen Anstrengungen nur wenige Früchte tragen werden. Das heißt, wir werden Großes nur erreichen, wenn wir jene Seelen vorbereiten können, und es dann anderen überlassen, die Früchte zu ernten. Gott ist groß. In ihn setzen wir unser ganzes Vertrauen. Bleibt immer mit Gott verbunden und denkt daran, alles zur größeren Ehre Gottes zu verrichten und nichts anderes.


[214]

Behüt‘ Euch Gott, meine lieben Eltern. Ich denke immer an Euch und Ihr selbst versucht, jedes Opfer aus Liebe zu Gott zu bringen. Ein heiliger Missionar aus Khartum, der jetzt mit auf dem Schiff ist, sagte mir vorgestern: Auch wenn ich meinen Vater und meine reiche Familie, in der ich alle Annehmlichkeiten hatte, zurückgelassen habe, auch wenn ich schon so viele Entbehrungen in der Mission ertragen habe, würde ich mir wünschen, dass Gott mich ins Fegfeuer steckt, denn – so sagte er – ich bin ein großer Sünder, der die Hölle fürchtet. Bis jetzt habe ich noch nichts erlitten, was des Paradieses wert ist.


[215]

Ihr seht also, wie viel wir leiden müssen, um ins Paradies zu kommen. Tröstet Euch also, liebe Eltern, Ihr seid glücklich zu schätzen, dass Ihr so viel für Christus leiden dürft. Und gerade das ist der Grund dafür, dass Ihr ganz sicher einmal in den Himmel kommt. Ich grüße Euch alle aus ganzem Herzen und umarme Euch. Grüßt mir alle Verwandten und Freunde. In Erwartung Eurer Briefe umarme ich Euch hundertmal, und schicke Euch meinen Segen.

Euer ergebener Sohn

Daniel


 


32
Suo padre
0
dai Kich
5. 3.1858
[216]

Ihr könnt Euch kaum vorstellen, was für einen Trost ich empfunden habe, als ich Euren Brief vom 21. November 1857 erhielt. Der Herr sei gebenedeit und seine anbetungswürdige Vorsehung, die es zu ihrer Zeit versteht, seine armseligen Knechte zu trösten, auch wenn sie armselige Sünder sind. Ich sage Euch ganz ehrlich, ich bin von Khartum mit einem Schmerz [Dorn] im Herzen abgefahren, weil Mama schwer erkrankt war. Aber dieser Dorn, geschickt von der göttlichen Vorsehung, hat mich die ganze Zeit so geschmerzt, dass ich auf Schritt und Tritt meinte, ich stünde an ihrem Sterbebett, um ihr beizustehen, obwohl mir mein Herz sagte, dass sie noch nicht in die ewige Ruhe gegangen sei, sondern dass sie sich wieder erholt habe.


[217]

Aber jetzt geschah etwas ganz Ungewohntes. Auf einem nubischen Boot erreichte mich Euer lieber Brief zusammen mit einem anderen sehr langen von der Mutter. Ich hatte nicht damit gerechnet. Diese Briefe, Gott mag es gefallen haben, nahmen aus meinem Herzen alle Sorge und erfüllten mich mit süßer Freude. Meine lieben Eltern, wie lieb sind mir Eure Briefe, Eure Worte, Nachrichten von den fernen Eltern. Ihr könnt Euch das sicher vorstellen.


[218]

Der Missionar muss zu allem bereit sein: zur Freude und zur Trauer, zum Leben und zum Tode, zur Geborgenheit und zur Verlassenheit. Und zu all dem bin auch ich bereit.


[219]

Aber Gott wollte mir dieses Kreuz geben, um auf eine außergewöhnliche Weise den Schmerz für Euch und die Mutter zu fühlen. Und Gott wollte, dass ich auch die Freude über ihre diskret wiederhergestellte Gesundheit erlebe. Ich bin jeden Augenblick bei Euch. In meinem Herzen spüre ich die Last, die Euch bedrückt durch unsere physische Trennung. Wie oft begleite ich Euch in Gedanken auf Euren Wegen nach Supino, nach Tesolo, nach Riva, und bei Euren Alltagssorgen mit Mama bei Tag und bei Nacht. Und wenn ich mich mit meinen Gedanken von Gott zurückziehe, spüre ich einen Druck auf dem Herzen und fühle mich gezwungen, mit meinen Ideen zum Himmel zu fliegen und daran zu denken, dass Ihr eine Hilfe habt, die viel wertvoller, sicherer und unaussprechlicher ist als die meine. Unter der Fürsorge Gottes seid Ihr besser beschützt als durch mich.


[220]

Ich wende mich jeden Tag an Gott und empfehle ihm Euch beide. Er tröstet mich, denn ich bin sicher, dass der Herr und seine liebe Mutter Maria, die Unbefleckte, für Euch besonders sorgen werden. Es ist nicht tragisch, wenn es zwischen Euch ab und zu zu Unstimmigkeiten, Missverständnissen und Meinungsverschiedenheiten kommt. Gott benützt diese Dinge, um mit den Menschen zu spielen, und lässt uns erkennen, dass, wenn wir uns von unseren Launen leiten lassen, wir Opfer unserer menschlichen Schwächen werden. Aber schließlich und endlich steht Ihr mit Euren Kümmernissen (sie sind auch die meinen) unter einem besonderen Schutz des Himmels. Euch werden wunderbare Zuwendungen von Gott und den Engeln zuteil.


[221]

Möge die Welt laut lachen. Mag sie auch sagen, dass die zwei armen Eltern unglücklich sind, weil sie keine Kinder (mehr) haben, aber im Himmel gilt eine andere Ordnung; da oben schreibt man mit anderen Buchstaben. Die Lehre Jesu Christi, das Evangelium, steht ganz im Gegensatz zu den Leitlinien dieser Welt. Die Welt verkündet Glück, Freude und Zufriedenheit, das Evangelium dagegen verweist auf Mühsal, Not und Schmerzen. Die Welt denkt nur an den Augenblick und an dieses sterbliche Leben, an den Körper, das Evangelium richtet den Blick auf die Ewigkeit, auf das künftige Leben, auf die Seele. Es steht allzu klar fest, dass das Evangelium und die Seele Ideen haben, die im vollen Gegensatz zu denen der Welt und der körperlichen Sinne stehen. Also lasst uns gelassen bleiben, fröhlich, mutig und hochherzig aus Liebe zu Jesus Christus.


[222]

Ich bin ein Märtyrer aus Liebe zu den verlassensten Seelen der Welt und Ihr werdet Märtyrer aus Liebe zu Gott, indem Ihr Euren einzigen Sohn für das Heil der Seelen opfert. Habt Mut, meine lieben Eltern. Gott kann mich plötzlich sterben lassen, so wie er es mit fünfzehn anderen Missionaren der Mission von Khartum getan hat. Einer hauchte seine Seele in den Armen des Herrn erst wenige Tage vor unserer Ankunft aus. Gott kann Euch sterben lassen. Alles steht in seinen Händen. Gott kann aber mich wie Euch leben lassen, indem er Euch in der Freude erhält, uns noch einmal umarmen zu können und in heiliger Freude noch einige Monate zu erleben oder sogar einige Jahre innerhalb der Grenzen unseres schönen Landes Italien.


[223]

Unser Oberer drängt uns in seinen Briefen, einer möge mit schwarzen Mädchen und Jungen zurückkehren, und zwar jedes Jahr einer von uns. Wir sind dazu verpflichtet, auch wenn es uns in diesem Jahr ganz unmöglich ist, da wir noch keine entsprechende Auswahl unter den Eingeborenen dieses Stammes treffen können, zu dem wir gehen werden. Aber im nächsten Jahr wird einer von uns ganz sicher mit einer Gruppe nach Europa zurückkehren. In einem der folgenden Jahre, sofern ich noch lebe, wird die Reihe an mir sein. Bergen wir uns also mit großmütigem Herzen unter die wohltuenden Flügel der göttlichen Vorsehung. Sie wird sich, besser als wir es können, um alles kümmern.


[224]

Die gewaltige Entfernung, die uns trennt, ist noch nicht so groß, dass sie mich im geringsten unsere Heimat und unsere Gebräuche vergessen ließe. Oft verbringe ich halbe Tage mitten unter diesem Volk, ohne dass mir bewusst ist, dass ich so weit weg von zuhause und meinen Lieben bin. Ich muss mir dann immer wieder bewusst machen, dass ich in Zentralafrika, in unbekannten Ländern bin.


[225]

Wenn ich mich mit dem Kreuz auf der Brust in eine Menge nackter Eingeborener begebe, die mit Lanzen, Pfeilen und Bogen bewaffnet mich umgeben, und einige Worte über den Glauben an Jesus Christus an sie richte, wenn ich mich allein oder nur mit einem Begleiter inmitten dieser wilden Menschen befinde, die mich mit einem Lanzenstich zu Boden strecken könnten, dann wird mir bewusst, dass ich nicht in Europa unter Euch bin. Aber darüber hinaus steht Ihr mir vor Augen, und mir scheint Ihr kniet betend vor Gott, damit unsere Worte wirksam werden.


[226]

Ihr seht also, dass wir mit dem Herzen immer mit Euch verbunden sind, auch wenn wir mit dem Körper Tausende von Kilometern voneinander entfernt sind. Ja, meinerseits muss ich gestehen, dass ich wirklich nachdenken muss, um mir bewusst zu werden, dass ich so weit von Euch weg bin. Der Herr sei gebenedeit, der für jede Wunde einen Balsam des Trostes hat. Ihr werdet es, so hoffe ich, mir nicht übel nehmen, wenn ich Euch nur in groben Zügen über unsere gefährliche Reise zu den Stämmen Zentralafrikas von Khartum aus berichte. Ich würde Euch gern alles berichten, aber es ist mir unmöglich, Euch eine genaue Beschreibung all dessen zu geben, was wir erlebt und was wir beobachtet haben. Ich habe einfach nicht die Zeit dazu, noch die Gelegenheit, da andere Verpflichtungen, andere Hindernisse, die den Missionar in diesen Regionen begleiten, mich daran hindern.


[227]

Wenn ich mich an einen Tisch setzen könnte und die entsprechenden Bequemlichkeiten hätte, wie Ihr sie habt, würde ich Euch ein Buch schreiben über meine Reise von Khartum zum Stamm der Kich. Von dort aus schreibe ich nämlich. Aber wenn ich einige Zeilen schreiben will, muss ich mich unter einen Baum setzen oder in einer dunklen Hütte auf den Boden kauern oder mich vor meinen Koffer knien. Um ehrlich zu sein, muss ich Euch Folgendes sagen: Wenn ich eine halbe Stunde lang geschrieben habe, schmerzen mir die Wirbelsäule und die Knochen. Dann muss ich aufstehen und ein wenig herumlaufen, um meine Stimmung etwas zu heben.


[228]

Gebt Euch also zufrieden mit einer kleinen Zusammenfassung. Und die anderen, an die ich nach Verona oder anderswohin schreiben werde, mögen sich mit einem Gruß begnügen. Die Entfernung zwischen Khartum und dem Stamm der Kich beträgt tausend und einige hundert Meilen. Aber es gibt unzählige Unfälle, die auf dieser furchtbaren und gefährlichen Strecke passieren.


[229]

Ehe ich zur Beschreibung unserer Reise auf dem Weißen Nil komme, muss ich vorausschicken, dass der Nil, auf dem wir bis nach Khartum reisen, von zwei großen Flüssen gebildet wird, die bei den Arabern unter dem Namen Bahr-el-Azek, oder Blauer Fluss, und dem Bahr-el-Abiad, oder Weißen Fluss, bekannt sind. Diese beiden Flüsse vereinigen sich bei Omdurman in der Nähe von Khartum und bilden den eigentlichen Nil. Nach mehr als tausend Meilen, die er durch Nubien und Ägypten fließt, mündet er in das Mittelmeer, nicht weit weg von Alexandria.


[230]

Die Quellen des Blauen Flusses sind schon seit alter Zeit bekannt, nämlich der See von Dembea in Abessinien in der Nähe von Gondar. Auf diesem Fluss reiste D. Beltrame bis zum 10. Breitengrad, um dort einen Platz für unsere Mission zu finden, der für den Plan unseres Superiors geeignet ist. Aber aus vielen berechtigten Gründen hielten wir diesen Fluss für nicht geeignet. Nach reiflichen Überlegungen und auf Anraten unseres Superiors in Verona entschlossen wir uns, zu anderen Stämmen zu gehen, die günstiger zum Weißen Fluss liegen.


[231]

Auch wenn der Nil von den Geografen als der viertgrößte Fluss eingestuft wurde, ist es jetzt trotz allem sicher, dass er der längste Fluss der Welt ist, denn der Nil wurde von Geografen als Fortsetzung des Blauen Flusses eingestuft, der – wie bereits erwähnt – schon seit alten Zeiten bekannt ist. Allerdings sollte man den Weißen Fluss als den Vater des Nils betrachten. Er ist tausend Meilen länger als der Blaue Fluss. Wenn wir also nur den Fluss in Betracht ziehen, den wir bis jetzt befahren haben, ist der Nil vierhundert Meilen länger als der längste Fluss der Welt.


[232]

Bezüglich der Strecke, die wir bis jetzt befahren haben, müsst Ihr bedenken, dass die Quellen des Weißen Flusses, oder Bahr-el-Abiad, noch nicht entdeckt worden sind. Da wird Euch klar, dass der Nil ungefähr vierhundert Meilen länger ist als der längste Fluss der Welt. Ich muss noch vorausschicken, dass der Weiße Fluss bis zu einer bestimmten Stelle schon von einem anderen befahren wurde, nämlich von unserem verstorbenen Mitbruder D. Angelo Vinco aus unserem Institut. Also sind seine Ufer in gewissem Sinne bekannt. Aber niemand ist in das Landesinnere vorgedrungen. Auch wenn man den Namen vieler dieser weit im Inneren Zentralafrikas lebenden Stämme kennt (es sind jene vom Weißen Fluss), so weiß man doch gar nichts über ihre Sitten und Gebräuche.


[233]

Um Euch das verständlich zu machen, stellt Euch einmal vor, das Königreich Lombardei sei unbekannt und wir würden versuchen, das Evangelium zu predigen. Stellt Euch vor, Riva wäre Khartum. Von dort aus dringen wir in das Königreich Lombardo-Veneto vor. Der Gardasee wäre der Weiße Fluss. Stellt Euch vor, jemand hätte den Gardasee bis nach Gargnano und Castelletto durchfahren, so wie es bis zu einem gewissen Punkt D. Vinco auf dem Weißen Fluss getan hat. Wenn ihr nun von Riva nach Gargnano und nach Castelletto geht, wisst Ihr, dass Lombardo-Veneto existiert, weil die Menschen von Gargnano Euch sagen werden, dass sie Lombarden sind und jene von Castelletto werden Euch sagen, dass sie Veneter sind, denn Gargnano gehört zur Lombardei und Castelletto zu Veneto.


[234]

Aber wenn Ihr in Gargnano und Castelletto gewesen seid, könnt Ihr dann sagen, Ihr kennt Lombardo-Veneto? Nein, denn um diese beiden Reiche kennen zu lernen, muss man nach Mailand und Venedig gehen. Andererseits wisst Ihr, wenn Ihr in Gargnano und Castelletto gewesen zu sein, dass die Lombardei und Venedig existieren. Die Ufer des Nils werden von verschiedenen Stämmen bevölkert, die ein Gebiet bis weit ins Landesinnere bewohnen und die noch niemand kennt, weil noch niemand ins Landesinnere vorgedrungen ist. Die Namen ihrer Stämme kennt man, weil das von ihnen bewohnte ihr Gebiet bis ans Nilufer heranreicht.


[235]

Ich befinde mich beim Stamm der Kich. Aber ich weiß nichts, oder nur sehr wenig, über sie, weil sie weit landeinwärts wohnen, wohin noch niemand vorgedrungen ist. Ich bin aber bei den Kich und weiß, dass sie existieren. Unsere Absicht ist es, das Evangelium bei einem der großen Stämme der unbekannten Regionen Zentralafrikas zu verkündigen. Wir würden am Ufer des Flusses damit anfangen und dann langsam, Schritt für Schritt, ins Innere bis zu ihrer Hauptstadt vordringen und dann zu anderen Stämmen gehen, soweit es Gott gefällt.


[236]

Zu diesem Zweck brachen wir am Morgen des 21. Januar nach brüderlicher Verabschiedung von unserem Gefährten D. Alessandro Dal Bosco auf. Er blieb als unser Prokurator in Khartum zurück. Wir waren zu viert: D. Giovanni Beltrame, der Obere der Mission, Don Franco Oliboni, Don Angelo Melotto und ich. Unsere Aufgabe war es, den Weißen Fluss eingehend zu erkunden mit dem Ziel, eine Missionsstation zu gründen nach dem großen Plan unseres Superiors Don Nicola Mazza in Verona.


[237]

Das Schiff, das uns auf dieser waghalsigen und gefährlichen Reise befördern sollte, war die Stella Matutina, die der Mission von Khartum gehört. Ihre Besatzung besteht aus vierzehn tüchtigen Männern [Schiffsleuten]. An ihrer Spitze steht ein mutiger und erfahrener Kapitän, der diese Reise schon einmal gemacht hat. Aus eigener Erfahrung haben wir erlebt, wie geschickt er es verstand, das Schiff auf diesem grandiosen und endlosen Fluss zu steuern. Zunächst hatten wir mit starkem Gegenwind auf dem Blauen Fluss zu kämpfen, dann bogen wir um die Landspitze Omdurman, wo sich die beiden großen Flüsse vereinigen, und da waren wir schon auf dem Bahr-el-Abiad, der sich in all seiner majestätischen und sagenhaften Schönheit vor uns auftat. Ein sehr kräftiger Wind treibt uns schnell über die bewegten Fluten, die wegen ihrer Größe und Majestät nicht so sehr einem Fluss als vielmehr einem See gleichen, der im alten Eden dahinfließt.


[238]

Die fernen Ufer sind malerisch mit einem vielfältigen Grün bedeckt, das eine glühende Sonne und ein ewiger Frühling zu jeder Zeit des Jahres befruchten. Unsere Stella Matutina scheint die heftigen Wellen anzulächeln und gleitet majestätisch inmitten des großen Flusses mit einer Geschwindigkeit dahin, wie sie unsere Boote auf dem Gardasee haben, obwohl die Stella Matutina gegen den Strom des Flusses fährt. Der erste Stamm, der sich jenseits von Khartum befindet (Khartum liegt am 16. Längengrad Nord, Verona liegt zwischen dem 45. und 46. Längengrad) ist jener der Hassaniden, der sich rechts und links des Bahr-el-Abiad ausbreitet. Er besteht aus den beiden schwarzen und nubischen Rassen, deren Stammesangehörige Viehzucht betreiben, aus der sie ihre wichtigsten Nahrungsmittel erlangen.


[239]

Die Hassaniden führen immer ihre Lanze mit sich. Und wie die Nubier auf beiden Seiten der Wüste haben sie immer am Oberarm ein Messer angebunden, das sie für ihre Arbeit und Verteidigung benutzen. Und genau bei diesem Stamm machten wir am zweiten Tag Halt, um ein Rind zu kaufen für uns und unsere Besatzung. Ich kann Euch über diesen großen Stamm nichts anderes sagen, als dass sie Nomaden sind, deren große Familien umherziehen auf der Suche nach guter Weide für ihre Herden. Er breitet sich aus – soweit wir wissen – zwischen dem 16. und dem 14. Längengrad und zwischen dem 29. und 30. Längengrad nach dem Meridian von Paris.


[240]

Die Dörfer und Ortschaften dieses Stammes befinden sich auf der rechten wie linken Seite des Flusses in einiger Entfernung vom Flussufer und heißen: Fahreh, Malakia, Abdallas, Ogar, Merkedareh, Tura, Waled Nail, Uascellay, Raham, Mokarey, Gùlam Ab, Husein Ab, Scheikh Mussah, Salahieh, Tebidab, Mangiurah, Eleis etc. etc. Auch wenn für die Nomadenstämme jedes Stück Land gleichsam eine Ortschaft bildet, haben sie nirgends einen festen Wohnsitz. Innerhalb des Gebietes dieses Stammes erheben sich die kleinen Hügel Gebel Auly, Menderah, Mussa, Tura und Korum, die diesem Land eine paradiesische Schönheit verleihen. Nach diesen kleinen Gebirgen erstreckt sich eine große Ebene.


[241]

Jenseits des 14. Längengrades leben zwei kleine Stämme, nämlich die Schamkàb auf der linken und die Lawins auf der rechten Seite. Aber von diesen wissen wir nichts, außer, dass sie sehr kriegerische Völker sind. Da sie an das Stammesgebiet der Hassaniden und der Baghara angrenzen, ist anzunehmen, dass ihre Sitten und Gebräuche ähnlich sind. Seit dem 25. Januar sind wir mit dem großen Stamm der Baghara in Kontakt getreten. Ihr Gebiet erstreckt sich auf der linken Seite zwischen dem 14. und 12. Längengrad und auf der rechten vom 13. bis 12. Längengrad; auf der rechten Seite lebt der Nomadenstamm der Abu-Rof. Ihre Sitten und Gebräuche dürften mehr oder weniger denen der Hassaniden ähnlich sein.


[242]

Hier sehen wir nur, wie sich die Szenerie im Verlauf unserer Reise total verändert hat. Außerhalb des Stammgebiets der Hassaniden, am Anfang von jenem der Baghara, werden die Städte, Ortschaften, Häuser immer weniger und die letzten Anzeichen der arabisch-nubischen Lebensweise weichen immer mehr der großartigen schwarzen Rasse. Wollte ich das Ereignis beschreiben, das uns einige Tage lang an den Ufern des Weißen Flusses in Atem gehalten hat, würde ich etwas Unmögliches versuchen. Die Ufer sind gesäumt von dominierenden Wäldern, die zum Gebiet der Baghara gehören. Ich glaube, selbst der größte Maler unserer Zeiten könnte nicht annähernd eine Idee von der Schönheit, Majestät und dem faszinierenden Anblick einer jungfräulichen, unberührten Natur wiedergeben, in der diese bezaubernden Gärten herüberlächeln.


[243]

Die niedrigen Ufer des großen und majestätischen Flusses sind mit einer beeindruckenden und üppigen Vegetation bedeckt, die noch nie von Menschenhand berührt und verändert wurde. Auf der einen Seite ist es undurchdringlicher Dschungel, der bis zur Stunde noch nicht erforscht wurde. Er wird gebildet von gigantischen Mimosen und grünen Nebak-Bäumen (besonders dicke, hohe und alte Bäume, die noch nie von Menschenhand berührt wurden). Sie bilden einen dichten und farbenprächtigen bezaubernden Wald, der den großen Gazellenherden, den Tigern, Löwen, Panthern, Hyänen, Giraffen, Nashörnern und anderen wilden Tieren einen sicheren Unterschlupf bietet, die sich dort ein Stelldichein geben mit unzähligen Schlangenarten jeder Größe. Auf der anderen Seite sind andere Wälder von Mimosen und Tamarinden und Ambei etc. Sie sind umkleidet von Verbenen und einem gewissen wuchernden Blättergewächs, die gleichsam natürliche Hütten bilden, in denen man vor starken Regengüssen sicher wäre.


[244]

Hunderte von kleinen und großen, fruchtbaren, lieblichen Inseln, gekleidet in smaragdartiges Grün, eine schöner als die andere, scheinen von weitem wie anmutige Gärten. Diese großartigen Inseln sind bedeckt von einer Menge riesiger Mimosen und Akazien, die kaum einen Strahl der glühenden afrikanischen Hitze hindurchlassen. Auf einer Länge von mehr als zweihundert Meilen bilden sie einen Archipel, der einen bezaubernden Anblick bietet. Ungezählte Schwärme von Vögeln jeder Größe, jeder Art und jeder Farbe flattern ohne Furcht an den Bäumen herum, dem Ufer entlang und auch über dem Tauwerk des Schiffes. Ibisse, Wildenten, Pelikane, Abusein, Königs-Kraniche, Adler aller Art, Aghironi, Papageien, Marabus und andere Vögel fliegen mit ihrem Blick zum Himmel über dem Ufer auf und nieder. Sie scheinen die göttliche Vorsehung, die sie geschaffen hat, lobend zu preisen.


[245]

Ganze Schwärme von Affen laufen an den Fluss zur Tränke, springen die Bäume hinauf und herunter und schneiden dabei lächerlichste Grimassen, die typisch für sie sind. Hunderte von Antilopen und Gazellen weiden in jenen Wäldern, die nie einen Büchsenknall vernahmen oder nie erlebten, dass ihnen Jäger mit Fallen nach dem Leben trachteten. Ungeheure Krokodile liegen auf den kleinen Inseln oder am Ufer ausgestreckt, riesige Nilpferde schnauben im Wasser, und besonders am Abend erfüllen sie die Luft mit einem fürchterlichen Gebrüll, das im Walde widerhallt. Zunächst wird man erschreckt, aber dann wird einem die Größe Gottes bewusst.


[246]

Wie groß und gewaltig ist doch der Herr. Unser Schiff gleitet – so könnte man fast sagen – über die Rücken der Flusspferde. Sie sind viermal so groß wie ein Rind und sehr zahlreich. Da sie zu Hunderten sind, könnten sie in einem Augenblick das Schiff zum Kentern bringen. Aber Gott fügt es, dass diese wilden Tier vor uns fliehen. Boote und Kähne mit nackten Afrikanern, bewaffnet mit Schild und Lanze, könnten uns überfallen in einem Land, das weit weg ist von allem. Aber kaum, dass sie merken, dass wir uns ihnen ohne Furcht nähern, fahren sie panikartig davon und verstecken sich unter den dichten Zweigen der riesigen Bäume am Ufer des Flusses, deren Äste weit über das Wasser hinausragen.


[247]

Andere Männer, sobald sie das Ufer erreicht haben, gehen an Land und verstecken sich im Wald. Wir erfreuen uns des Anblickes und loben den Herrn hier an der Furt von Abu-Said-Mocadah, ein Ort, wo der Fluss unendlich breit und flach ist, so dass das Schiff auf Sand aufläuft. Alle Seeleute sind nun gezwungen, ins Wasser des Flusses zu steigen. Mit größter Anstrengung versuchen sie das Schiff aus dem Sand zu ziehen. Nach einigen Stunden gelingt es ihnen. Es kostet große Anstrengung, ein Schiff, wenn es aufgelaufen ist, wieder flottzumachen.


[248]

Mehr als hundertmal fanden wir uns an Stellen, wo der Fluss sehr breit und nur einen Fuß tief ist. Da steigen dann alle Schiffer in den Fluss und mit Ziehen und Schieben bewegen sie das Schiff über eine Strecke von mehr als einer Meile, bis der Fluss wieder tiefer ist und dass Schiff dann vom Wind getrieben wieder allein fahren kann. Nach Abu-Said sieht man am Ufer immer wieder versteckt Menschen, die mit Lanzen bewaffnet sind, verstohlen die Stella Matutina beobachten. Andere, sobald sie gemerkt haben, dass wir sie sehen, fliehen. In diesem Moment stößt unser Schiff auf eine Klippe und wir spüren die Erschütterung. Alles lässt darauf schließen, dass unser Schiff zerbrochen ist, aber es ist heil geblieben, auch wenn während der ganzen Reise in ungewohnter Weise Wasser in das Schiff drang. Kähne der Eingeborenen sind verborgen zwischen dem hohen Schilf, das manche Insel bedeckt.


[249]

Unter diesen Inseln ragen durch Größe und Schönheit jene von Assal, Tauowat, Genna, Sial, Schebeska, Gubescha, Hassanieh, Dumme, Hassaniel Kebire, Mercada, Inselaba und Giamus hervor. Das Gebiet, das wir bisher durchquert haben, erstreckt sich entlang der Grenzen des Stammes der Baghara. Der Name Baghara bedeutet in unserer Sprache Viehzüchter. Sie werden deshalb so genannt, weil sie sich besonders der Viehzucht von Tieren mit zwei Hörnen widmen. Unter ihnen sind es vor allem Kühe, die für sie den Dienst übernehmen, den bei uns die Last- und Reittiere verrichten. Sie haben unzählige Kühe, und diese bilden die Grundlage ihres Reichtums.


[250]

Die Baghara sind in verschiedene Stämme aufgeteilt und in Zentralafrika bekannt unter dem Namen Baghara Hawasman, Bagahara Selem, Baghara Omur und Baghara Risekad. Ich persönlich glaube, dass sie sich wahrscheinlich wegen der Rebellion der großen und reichen Viehzüchter aufgeteilt haben, deren Herden immer größer wurden und die deshalb auf die Suche nach neuen Weideplätzen gingen, und die sich zu Häuptlingen neuer Stämme machten. Die Baghara, die sehr reich sind, befinden sich in ständigem Krieg mit dem mächtigen Stamm der Schilluk, die ihnen ihren Reichtum wegnehmen, wie ich Euch später erzählen werde. Sie liegen auch im Krieg mit dem Stamm der Ghebel Nuba, zu denen auch der Schwarze [Mohr] Miniscalchi gehört, der sich zurzeit in Verona befindet, den Ihr ja auch kennt. Über die Regierungsform und die Religion der Bhagara kann ich Euch nichts sagen. Nur, dass dieser Stamm wie auch jener der Hassaniden aus gerechtfertigten Gründen für unsere Ziele nicht in Frage kommt.


[251]

Wir jedoch gehen weiter und haben jene Männer vor uns, die uns von weitem bemerkt haben, aber vor uns fliehen. Tausende von Büffeln, Stieren und Kühen befinden sich auf den weiten Prärien. Die Wälder am rechten Ufer wachsen üppig weiter. Auf dem linken Ufer werden sie weniger. Es war ein Schauspiel, wie sich eine Herde von Rindern auf einer Insel, die sich beim Vorbeifahren unseres Schiffes erschreckt hatte, in den Kanal stürzte, um ans Ufer zu kommen. Die Hirten bemühten sich vergeblich, sie mit ihren Lanzen daran zu hindern. Schließlich überquerten auch diese den Fluss auf dem Rücken ihrer Tiere. Es sah aus wie ein Heer auf panikartiger Flucht. Unsere Stella Matutina gleitet auf den Wogen dahin, als sie plötzlich unweit der Furt Mocàda-el Kelb erneut auf Sand aufläuft. Es ist Mitternacht. Wir sehen auf dem rechten Ufer die Feuer der Eingeborenen. Sie stützen sich auf ihre Schilde, halten ihre Lanzen in der Hand und beobachten uns. Es sind Dinka. Am linken Ufer liegen zwölf bis fünfzehn Kähne, ähnlich den Gondeln in Venedig, wenn auch etwas gröber. Die Bootsfahrer stehen mit ihren Frauen und Kindern nackt um das Feuer in den nahen Wäldern. (Diese Scheiterhaufen errichten sie aus den Schilfstängeln, die sie vor Ort finden.)


[252]

Wir befinden uns zwischen den Schilluk und den Dinka. Einige Boote der Schilluk bleiben am Ufer und richten ohne Furcht ihren Blick auf unsere Stella Matutina. Einige Männer, die zu den Dinka gehören, fahren vorüber und entfernen sich dann voller Angst. Wir grüßen den Häuptling. Er grüßt zwar zurück, flieht aber. In dieser Nacht ist es vergeblich, das Schiff aus dem Schlamm und dem Sand zu ziehen. Zwei Männer unserer Mannschaft halten Wache, um uns zu wecken, falls Boote mit bewaffneten Männern sich uns in feindlicher Absicht nähern sollten. Gott beschützte uns. Es ist uns nichts zugestoßen.


[253]

Wir befinden uns in einer sehr kritischen Situation. Wir sind mitten auf dem Weißen Fluss. Auf der einen Seite sind die Dinka, die voriges Jahr einige Personen des Schiffs von einem gewissen Latif aus Khartum umgebracht und sonst noch einige Grausamkeiten verübt haben. Auf der anderen Seite haben wir die Schilluk, das ist einer der mächtigsten und wildesten Stämme Zentralafrikas. Sie leben von Raub und Überfällen.


[254]

Wir können uns nicht bewegen. Wir haben zwar zehn Gewehre, aber ein Missionar lässt sich eher hundertmal umbringen, als zum großen Nachteil des Feindes an Verteidigung zu denken. Jesus Christus hätte das nicht getan. Der Kapitän des Schiffes, ganz niedergeschlagen, sagte uns, dass er nicht weiß, was wir tun sollen. Wenn jene Männer gewollt hätten, hätten sie uns in weniger als zehn Minuten alle umbringen können. Ihr könnt Euch sicher vorstellen, wie wir darüber diskutiert haben.


[255]

Nachdem wir die Meinungen der einen wie der anderen diskutiert hatten, sagten wir unter anderem: Wenn die Schilluk gekommen wären, um mit ihren Waffen über uns herzufallen, hätten wir mit dem unverletzlichen Kreuz auf unserer Brust ihnen alles gegeben, das Schiff und alles. Sie hätten uns sicherlich als Sklaven zum König der Schilluk gebracht, um uns vielleicht mit dem Tode zu bestrafen. Aber mit Gottes Hilfe und indem wir Nächstenliebe gezeigt hätten, und vor allem durch unseren Dienst als Ärzte, hätten wir das Vertrauen dieser Menschen gewonnen, so dass wir, ohne anderswo im Weinberge Christi zu schwitzen, das Kreuz und die Mission errichtet hätten.


[256]

Das waren unsere Bedingungen, aber wir hatten eine so wirksame Waffe, dass wir nichts zu fürchten hatten. Auf der Stella Matutina haben wir eine wunderschöne Kapelle, in der ein wunderbares Marienbild hängt. Wie hätte unsere gute Mutter, zu deren Füßen wir unsere Mission gelegt haben, uns leiden sehen können und in großen Schwierigkeiten, ohne uns zu helfen? Am Morgen feierten wir die hl. Messe. Wie großartig war es doch in dieser schwierigen Situation, die Hände um den Herrn der Flüsse und den Herrn aller Stämme der Erde in Händen zu halten und ihn für uns und unsere Nöte zu bitten, für jene, die sich mit uns in Gefahr befanden, für Euch, für jene, die ihn nicht kennen, für die ganze Welt.


[257]

Ja, meine lieben Eltern, in dieser Unsicherheit wurde das innigste Gebet für die Schilluk und Dinka verrichtet, in deren Landstrichen noch nie ein Funke des Lichtes des Evangeliums aufgeleuchtet ist. Wenn wir an jenem Ort gefangen genommen worden wären und wenn man uns in Ketten vor jenen stolzen König geführt hätte, hätte dies vielleicht zum Heil dieses wilden Volkes beigetragen. Aber wir haben eine solche Gnade nicht verdient, vielleicht auch sie nicht. Am Morgen steigen unsere Schiffsleute in den Fluss und versuchen stundenlang mit unglaublichen Anstrengungen, das Schiff aus dieser Untiefe herauszuziehen. Aber das Schiff rührt sich nicht. Was sollte man in einem solchen Moment tun?


[258]

Wir sind dann übereingekommen, jene Menschen zu Hilfe zu rufen. Wir riefen sehr laut und gaben ihnen durch Zeichen zu verstehen, zu uns zu kommen, fast wie um ein Geschenk zu empfangen. Eine Stunde lang riefen wir, klatschten in die Hände, gestikulierten auf alle erdenkliche Weise. Endlich stieß ein Boot mit zwölf Männern mit einem Anführer vom Ufer ab. Sie kamen auf uns zu, bewaffnet mit Lanzen, Pfeilen und Bogen und ihren Schilden. Alle anderen blieben am Ufer in Bereitschaft, um den Männern auf dem einen Boot in jedem Moment zu Hilfe zu kommen.


[259]

Als sie bei unserer Stella Matutina ankamen, gaben wir ihnen zu verstehen, dass wir wünschten, sie möchten uns helfen, das Schiff flottzumachen. Sie gaben uns zu verstehen, dass sie, bevor sie ans Werk gingen, noch einmal ans Ufer zurückkehren wollen, um mit ihrem Häuptling zu beraten, für wie viel Glasperlen sie die Arbeit verrichten würden. Wir aber ließen das nicht zu. Dann legten sie bis auf die Lanze ihre Waffen ab, stiegen ins Wasser, um unseren Schiffsleuten zu helfen. Aber es war alles umsonst. Also gaben wir ihnen zu verstehen, sie sollen die anderen rufen und dass wir sie dann gut bezahlen würden. Nein, antworteten sie. Wir wollen zwei bis drei von Euren Anführern (so nannten sie uns Priester) als Geiseln, die wir bei uns behalten, bis ihr uns die Glasperlen bezahlt habt.


[260]

Während der Kapitän sich weigerte und nein sagte, einigten wir uns, wen es treffen sollte, als Geisel zu bleiben. Alle vier wollten wir bleiben. Schließlich erklärte jeder seine Gründe, warum er es für angebracht hielt, als Geisel zu gehen. Die Schwarzen entfernten sich, und in weniger als einer Viertelstunde kamen weitere drei Boote mit bewaffneten Männern, die sich – wie oben beschrieben - mit aller Kraft daran machten, unser Schiff frei zu ziehen. Nach nicht wenigen Bemühungen bewegte sich das Schiff. Voller Freude machten wir ihnen Mut. Als sie sahen, dass das Schiff sich bewegte, blieben sie mit ihren Lanzen in der Hand stehen und verlangten ihre Glasperlen. Wir zeigten sie ihnen, hatten aber noch nicht die Absicht, sie ihnen sofort zu geben. Sobald sie die Glasperlen in der Hand hatten, fuhren sie plötzlich von uns weg und ließen uns allein mit dem fest gefahrenen Schiff. Als sie an Land gegangen waren, sahen wir, wie sie sich in großer Zahl versammelten und das Päckchen mit Glasperlen verteilten. So verging dieser ganze Tag. Wir beobachteten ständig unsere Freunde von den Schilluk. Um ehrlich zu sein, sage ich Euch: Beim Anblick der hin und her fahrenden Boote und dem Erscheinen von weiteren Booten, beim Anblick der Dinka, die sich auf der anderen Seite des Flusse entfernten (wir wussten, dass die Dinka die Schilluk sehr fürchten, so dass, wenn auf einer Seite viele Schilluk erscheinen, auf der anderen Seite die Dinka flüchten), fingen wir an zu zweifeln, ob sie nicht versuchen würden, sich unseres Schiffes zu bemächtigen und uns ins Jenseits zu befördern.


[261]

Es kam der Abend, dann die Nacht, und wir hielten Rat, wie wir aus dieser verzwickten Lage herauskommen könnten. Es werden Vorschläge gemacht, wir diskutieren, wir beten. Aber ich sagte Euch ja schon vorher, dass man nie etwas zu fürchten hat, wenn man daran denkt, dass wir eine mächtige und liebende Mutter haben, die über uns wacht.


[262]

Die Jungfrau Maria, der wertvolle Trost des Missionars, jene Jungfrau, die die wahre Königin Afrikas [Nigrizia] ist, die Mutter allen Trostes, konnte ihre vier armen Diener, die versuchten, sie und ihren göttlichen Sohn auch diesen götzendienerischen Völkern bekannt zu machen, nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Sie kam uns zu Hilfe, indem sie uns nahelegte, wie wir aus dieser misslichen Lage heraus kämen. Während der Nacht verteilten wir die Wachen. Es kostete Überwindung, den Männern der Mannschaft das Gewehr zu überlassen. Aber wir mussten es tun, um eventuelle Zwischenfälle mit den Eingeborenen zu vermeiden. Unsere Bootsleute waren Muslime. Und für sie ist es eine Tugend, andere zu töten.


[263]

Nachdem die Nacht vorüber und der Morgen gekommen war, gingen wir daran, unseren Plan auszuführen. Der Plan sah so aus: Wir bauen aus den sechzehn Rudern des Schiffes, (sie sind viermal so groß wie die, welche wir auf den Booten des Gardasees benützen) ein Floß dort, wo das Wasser tiefer ist. Auf dieses Floß laden wir dann dreißig Kisten, deren Inhalt durch das Wasser keinen Schaden leidet, wie Werkzeuge, Flaschen, Kleinkram etc., um das Schiff leichter zu machen, so dass es weniger Tiefgang hat und so von den Bootsleuten leichter ins tiefere Wasser gezogen werden könnte. Der Plan wurde genau und rasch ausgeführt. Das Beladen des Floßes, das Freiziehen des Schiffes, das Wiederbeladen dauerte ungefähr zehn Stunden. Es ist unglaublich, was die Mannschaft bei einer Hitze von 38 Grad für Anstrengung auf sich nahm, um das Umladen durchzuführen.


[264]

Gott segnete diesen Plan. Nach 42 Stunden unangenehmen Verweilens in diesem niedrigen Wasser konnten wir, unterstützt von einem günstigen Wind, die Reise wieder aufnehmen. Wir dankten der göttlichen Vorsehung, die an diesem Tag die Kriegslust der Schilluk in Schach gehalten hat. Diese lassen sich sonst nämlich solche Gelegenheiten nie entgehen, in denen sie reiche Beute machen können. Froh, dass wir diese Gefahr überstanden hatten, setzten wir unsere Fahrt vorsichtig, aber rasch, fort. Alle Viertelstunde fuhr die Stella Matutina wieder auf eine Sandbank auf. Mit Mühe konnten wir sie wieder flottmachen. Oft stößt sie auf Klippen oder Untiefen. Es ist wie ein Wunder, dass dieses Schiff, auch wenn es das größte und stärkste des Sudans ist – es wird von Eisenbändern zusammen gehalten –, uns bis zu den Kich gebracht hat, ohne auseinanderzubrechen.


[265]

An den Ufern auf beiden Seiten wimmelt es von Männern, die bewaffnet sind mit Lanzen, Pfeilen und Bogen sowie Schilden. Es sind die Schilluk auf dem linken Ufer und die Dinka auf dem rechten. Sobald diese merken, dass die Schilluk sehr zahlreich sind, verkriechen sie sich im Gebüsch und tauchen nur dann wieder auf, wenn die Schilluk auf dem linken Ufer weniger geworden sind. Es überrascht, endlose Flächen zu sehen, die bedeckt sind mit Tieren, Kühen und Stieren. Ebenso überrascht es, Wolken von Tausenden, ja Millionen von Vögeln aller Art und aller Farben zu sehen (ich übertreibe nicht). Sie verdecken fast das Licht der Sonne.


[266]

Stellt Euch Wälder und Wiesen vor, in denen nie Netze gespannt wurden, um Vögel zu fangen. Die Eingeborenen tun nichts, um Vögel zu fangen, da sie für sie kein Leckerbissen sind. Je weiter die Fahrt geht, desto weniger werden sie, und die Wälder ziehen sich auch immer mehr landeinwärts zurück, bis man dann keine mehr sieht. Bis zum 7. Grad sind die Ufer nur noch bedeckt mit Schilf, Papyrus und Mimosen. Nur ab und zu streckt sich ein Bamboas-Baum gigantisch gen Himmel. Er ist wohl der dickste und höchste Baum der Welt. Ehe wir in die Hauptstadt der Schilluk kommen, wo wir mit der Stella Matutina Halt machen, möchte ich Euch kurz etwas über die beiden großen Stämme der Schilluk und der Dinka erzählen. Der Stamm der Schilluk, einer der größten und mächtigsten Stämme Zentralafrikas, breitet sich aus vom 12. bis 9. Grad nördlicher Länge:


[267]

Soweit mir bekannt ist, haben sie keine Religion. Sie anerkennen und glauben nur an einen unsichtbaren Geist, der alles geschaffen hat, der sie von Zeit zu Zeit besucht in Gestalt einer Eidechse, einer Maus oder eines Vogels. Da die Schilluk nicht genügend Rinderherden haben, um ihre Ehen zu schließen und ihren Lebensunterhalt zu gewinnen, stehen sie in ständigem Krieg mit dem Nachbarstamm der Baghara. Diese wiederum sind jetzt sehr reich, und zwar deshalb, weil sie bei ihnen das Vieh stehlen. Jedes Jahr, wenn die Winde aus dem Süden wehen, vereinigt sich jener Teil der Bevölkerung der Schilluk, der sich in extremer Armut befindet, zu zahlreichen Kampfeinheiten, die einer ihrer Häuptlinge anführt. Auf ihren schnellen Booten fahren sie über zweihundert Meilen den Fluss abwärts und verstecken sich in den von dichten Wäldern bedeckten Inseln, von denen ich Euch oben erzählt habe.


[268]

Sobald sie die Orte ausgekundschaftet haben, wo die Baghara ihre Tiere zur Tränke führen, formieren sie sich zu Gruppen von dreißig bis vierzig Booten. Da diese schnell, lang und niedrig sind, können sie in der Nacht fast unbemerkt fahren und sich in dem dichten Ufergebüsch verstecken. Wenn die Herden eintreffen und sich die Tiere durstig ins Wasser begeben, fallen die versteckten Schilluk mit ihren Lanzen in der Hand über die erschreckten Hirten her, bemächtigen sich der Rinder und Schafe und kehren auf die Inseln zurück, ehe aus den entfernten Lagern der Baghara Hilfe für die angegriffenen Stammesgenossen kommen kann. Da diese keine Boote noch sonst eine Möglichkeit haben, können sie die Diebe nicht verfolgen. Sie können nur von Ferne dem räuberischen Feind drohen.


[269]

Die Baghara rächen sich dann manchmal an den Schilluk. Bisweilen sind sie über die Ankunft feindlicher Einheiten der Schilluk informiert und warten in einem Hinterhalt in dem dichten Ufergebüsch auf sie, fallen dann in dem Moment über die Schilluk her, in dem diese die Beute wegtreiben, schneiden ihnen den Rückweg zu den Booten ab und nehmen sie gefangen. Dann verkaufen sie sie an nubische Händler, und so werden sie dann zur Handelsware auf den Märkten von Khartum.


[270]

Die Regierung der Schilluk ist despotisch. Ihr Thron ist befleckt mit Blut aus Stammesfehden und Erbstreitigkeiten. Als wir an der Hauptstadt der Schilluk vorbeifuhren, haben wir das Haus des Königs nicht gesehen. Der Bereich des Königshauses lag drei Meilen entfernt. Es ist, wie mir ein Eingeborener, der Arabisch konnte, erzählte, in Form eines Labyrinthes angelegt. Das Leben des Königs ist vom Morgen bis zum Abend in Gefahr. Er lebt unsichtbar und schläft nie zwei Nächte in dem gleichen Raum.


[271]

Alle Ortschaften dieses großen Stammes sind gehalten, jährlich einen Tribut von vielen Rindern zu zahlen, je nach Wohlstand oder der Anzahl der Einwohner. Außerdem hat der König ein Recht auf ein Drittel der Beute aller Raubzüge, die sie außerhalb des Stammesgebietes durchführen. Er bestraft diejenigen seiner Untertanen, die von der Beute etwas stehlen oder nicht ihren gebührenden Teil abgeben, mit dem Verlust von allem oder fast allem. Wie alle Stämme in Afrika praktizieren sie die Polygamie. Sie können sich so viele Frauen nehmen wie sie wollen, oder diese nach ihrem Gutdünken entlassen. Was die Jagd der Flusspferde und den Bau ihrer Hütten betrifft, etc. so sind die Gepflogenheiten diesen anderer Stämme ähnlich, bei denen wir vorbeigefahren sind, aber darüber werde ich später berichten.


[272]

Wir werden noch genügend Gelegenheiten haben, diese Menschen kennenzulernen und sie zu beobachten. Es sind hochgewachsene, sehnige Gestalten. Ich sah viele von gigantischer Größe. Die Männer, wie alle Schwarzen Afrikas, die wir besucht haben, sind ganz nackt. So auch die Frauen, mit Ausnahme der Verheirateten, die an der rechten oder linken Seite mit einem Schafs- oder Ziegenfell bekleidet sind. Die Reichsten haben ein Tigerfell, aber diese Felle nützen nicht viel, um wenigstens das zu bedecken, was bedeckt sein sollte. Und aus dem, was ich gesehen habe, habe ich geschlossen, dass sie das weniger aus Schamgefühl als vielmehr aus Eitelkeit tun. Die Absonderlichkeit der Schilluk zeigt sich vor allem in ihren Frisuren. Sie schneiden sich die Haare auf tausend Weisen. Sie formen sie wie einen Hahnenkamm oder einen Ziegenbart. Manchmal lassen sie beim Schneiden der Haare Formen entstehen, die an die Ohren einer Maus oder eines Tigers erinnern. Ich wüsste nicht, wie ich diese Sonderlichkeiten des Haarschmuckes, auf den sie so stolz sind, erklären könnte.


[273]

Dieser Stamm wäre für unseren Missionsplan geeignet. Aber aus Gründen, die ich Euch noch sagen werde, verlassen wir ihn. Jetzt sind wir in der Hauptstadt Denab und gehen auch nach Kaco. Diese Stadt liegt am Weißen Fluss und zieht sich über mehr als eine Meile hin. Der König gewährt niemandem Audienz, außer drei oder vier seiner Vertrauten und den zahllosen Frauen, wenn er sich ihrer bedienen will. Wenn also seine Vertrauten zu ihm kommen, müssen sie sich wie Schlangen am Boden bewegen und mit dem Gesicht nach unten die Befehle empfangen. Dann müssen sie sich wieder auf dem Boden kriechend zurückziehen. Um Euch das verständlich zu machen, erlaubt mir, dass ich eine veronesische Redeweise benutze. Wenn diese sich dem König vorstellen, müssen sie in seine Hütte ‚gattognao‘ gehen. Beim Anblick der Hauptstadt der Schilluk bekamen wir ein überraschendes Schauspiel zu sehen. Als unsere Stella Matutina hier anlegte, erschien eine große Menge von Leuten verschiedenster Rassen mit unterschiedlichen Gebräuchen, und sie bauten am Ufer einen Markt auf. Dort war eine Menschenmenge von ganz roten Menschen. Es war ein Rot wie frisches Blut. Derartige Menschen habe ich bereits in der Nähe von Halfaya gesehen.


[274]

Es gab dort Nomaden von rötlicher Farbe; es waren auch Menschen von Abu-Gerid da. Sie haben eine Hautfarbe wie gebrannte Ziegel. Sie ähneln den Hassaniden. Es waren auch Leute aus dem Kordofan anwesend, die eine schwarz-bräunliche Hautfarbe haben. Außerdem waren noch Schilluk da, die wie alle Schwarzen in Zentralafrika immer bewaffnet sind mit einer Lanze (die Form ist bei den einzelnen Stämmen unterschiedlich), einem Schild in ovaler Form, den sie manchmal ablegen, wenn sie entweder ihre Herden weiden oder mit einander feilschen oder die freie Zeit genießen. Alle Stämme, die wir besucht haben, benützen die Lanze, um sich zu verteidigen oder um anzugreifen, aber auch um Dinge, die ihnen nützlich erscheinen, aufzubrechen, sowie zum Fischen und zum Jagen.


[275]

Ja, sowohl die Männer sowie die Frauen schmücken sich mit Perlenketten, die sie sich um den Hals hängen oder sich wie bei uns als Gürtel um die Hüften legen oder um die Stirn binden. Wer die meisten Perlenketten hat, gilt als der/die Schönste. Ich habe den Sohn eines Häuptlings gesehen, der bis zum Bauch mit Glasperlen bedeckt war. Er stolzierte daher, als ob er der Herr der Welt wäre.


[276]

Mit Ausnahme des Königs von Abessinien hält sich der König für den größten Monarchen des Landes. Deshalb gibt er niemandem Audienz, außer dem König von Abessinien, falls dieser käme. In Kaco, einer Stadt am 10. Grad, habe ich versucht, die Sprache meines Freundes Bahhit Miniscalchi anzuwenden. Aber sie war anders. Ich bin außerdem der Meinung, dass man über Kaco leicht zu den Stämmen von Karco und Fanda gelangen könnte, das heißt nach Ghebel Nuba. Dabei bräuchte man nicht durch die Wüste von Baghara und Kordofan und Dongola. Diesen Weg hat nämlich der (mir bekannte) Afrikaner Miniscalchi genommen. Auch dieser Stamm wäre für unseren Plan geeignet, aber auch da sprechen Gründe dagegen, die ich noch erklären werde. Das ganze linke Ufer bis zum 9. Grad ist voll von bewaffneten Schilluk, wie ich schon sagte. Beim Gehen haben sie gewisse Schwierigkeiten, denn sie laufen mit den Fersen nach außen gewendet.


[277]

Wir kommen zu den Dinka. Das ist, soweit wir wissen, der größte Stamm Zentralafrikas. Das ist auch der Grund, warum wir seit langem schon unser Augenmerk auf diesen Stamm gerichtet haben. Er soll nämlich der zentrale Punkt für unsere Bemühungen und zum Feld unseres harten Einsatzes werden. Über diesen Stamm, seine Regierung, seine Religion etc. wissen wir nichts Genaues. Auch die Grenzen seines Siedlungsgebietes sind nicht bekannt. Ehe wir uns aber für diesen Stamm entscheiden, wollen wir einige andere Stämme besuchen, um dann eine gute Entscheidung zu treffen. Wie alle anderen Stämme, die wir gesehen haben, laufen die Dinka nackt herum und bemalen sich ihren ganzen Körper, den Kopf und die Augen mit Asche. Das, so sagte man uns, hat den Zweck, sich gegen die Mücken zu schützen, die denjenigen, der in Zentralafrika wohnt, in ungezählten Mengen und Arten belästigen.


[278]

An den Ufern wimmelt es nur so von Krokodilen und Flusspferden. Eines Tages sah ich von weitem eine lange Klippe. Ich hielt sie für roten Granit. Es war aber eine Insel, die sich aus vielen Flusspferden bildete, die sich aneinander gedrängt hatten. Die Dinka, wie alle Schwarzen Afrikas, tragen an den Armen und den Handgelenken Armbänder aus Elfenbein. Ihre Pfeile sind mit einem Gift aus einem Kraut bestrichen und daher natürlich tödlich. Die Angehörigen dieses Stammes unterscheiden sich von anderen afrikanischen Rassen. Sie haben eine hohe und breite Stirn, der Kopf ist eher platt und fällt bei den Schläfen ab, ihr Körper ist schlank und mager.


[279]

Wenn man jene Männer mit ihren Lanzen in der Hand sieht, wie sie sich lässig auf ihre Schilde stützen, hat man den Eindruck, als ob sie faul und träge wären. Und da sie dazu neigen, sich zu betrinken, sich von der Milch zu ernähren und sich mit ihren Frauen zu vergnügen, haben sie nichts anderes im Sinn als dies. Aber das Licht des Evangeliums wird auch vor ihren Augen aufleuchten und in ihren Geist und ihre Herzen dringen. Mit der göttlichen Gnade werden sie ihre Gedanken, Absichten und Gebräuche ändern. Ihre Sprache spricht man auch bei anderen Stämmen. Mir scheint sie nur eine Zusammenfügung von Silben. Die Dörfer der Dinka sind sehr ärmlich und stehen ganz im Gegensatz zu der Erhabenheit der Dörfer der Schilluk. Diese sind wesentlich größer und bequemer. Alle Städte sind Ansammlungen von Ortschaften, die nahe beieinander liegen, nur dreißig Schritte voneinander entfernt. Die Dörfer setzen sich zusammen aus fünfzig, hundert oder dreihundert Hütten, die in Form eines Konus gebaut sind. Der Zaun um die Häuser ist rund, ungefähr sieben Fuß hoch und aus Gestrüpp, das oben sehr elegant mit Schilf bedeckt ist. Schaut Euch die Zeichnung Nr. 1 an. Sie vermittelt Euch eine Idee von Kaco. Aber jetzt genug von den Dinka. Später, so Gott will, falls es uns gelingt, in das Landesinnere dieses Stammes vorzustoßen, werde ich Euch mehr erzählen.


[280]

Ehe wir weiterfahren, möchte ich Euch kurz berichten, wie wir in Hano Halt gemacht haben, um uns einen Stier zu besorgen. Hier auf der Stella Matutina empfingen wir den alten Häuptling dieser Stadt, der uns wirklich leidtat, denn mit seinem weißen Haar und nackt wie er war, zitterte er am ganzen Körper. Wir führten ihn in unsere schöne Kapelle. Überrascht von der Schönheit stieß er einen Schrei aus und zog sich zurück, wie wenn er von Sinnen wäre. Als wir ihn vor einen großen Spiegel im großen Raum des Bootes führten, hat er sich auf die seltsamste Weise aufgeführt. Als er seine Gestalt im Spiegel sah, sprach er, gab Antworten, schrie, brach in ein Gelächter aus und wollte schließlich davonlaufen, weil er wahrscheinlich im Spiegel irgendetwas (für ihn Unerklärliches) gesehen hatte. Wir hielten ihn zurück, aber er protestierte mit Händen und Füßen, so dass wir den Eindruck hatten, er wollte uns seine Macht übertragen. Schließlich kehrte er an Land zurück auf einem Boot aus Schilfrohr, wie sie die Schilluk bauen und mit denen sie den Nil überqueren.


[281]

Jenes Dorf bzw. Stadt, war umgeben von wunderschönen Doleb-Palmen. Das ist ein Baum ähnlich der Dattelpalme, aber mit dem Unterschied, dass der Stamm auf halber Höhe dicker ist als oben und unten. Wenige Meilen nach Hano öffnen sich majestätisch die Mündungen des Flusses Sobat, die sich im Gebiet der Dinka ausbreiten. Zum Teil sind sie noch – wie wir sagen würden – rot von dem Blut derjenigen, die versuchten, hier einzudringen. Diese haben mit dem Leben bezahlt, weil sie in feindlicher Absicht kamen. Sie bedrohten nämlich die Eingeborenen mit dem Leben, falls sie ihnen nicht die Elefantenzähne (Elfenbein) herausgeben würden, die sie besaßen. Wir hatten schon in Europa beschlossen, über die Mündung des Flusses Sobat in das Gebiet der Dinka vorzustoßen. Und wahrscheinlich werden wir auch so vorgehen. Aber seit Assuan haben wir überlegt, erst noch weiterzufahren, um zu erkunden, wo es dem Herrgott am besten gefallen würde, unsere Mission zu beginnen.


[282]

Diese Mündungen bilden einen wunderschönen See, der umgeben ist von einer üppig wuchernden Vegetation. An einem gewissen Punkt wendet sich der Fluss exakt nach Westen und gleitet auf der linken Seite am Gebiet des Stammes der Gianghéh vorbei, auf der rechten am ausgedehnten Sumpfgebiet der Nuer entlang. Das Ganze bildet eine richtige Insel, die auf der einen Seite vom Weißen Fluss umgeben ist, auf der anderen Seite vom Kanal der Nuer. Sie hat einen Umfang von vierhundert Meilen. Nichts sage ich Euch von dem kleinen Stamm der Gianghèh, außer dass es in ihrem Gebiet eine Unmenge von Papyruspflanzen gibt, die man in der Antike zum Schreiben benützte an Stelle von Papier. In Ägypten gab es früher reichlich Papyrus. Diese nützliche Pflanze ähnelt dem Mais, allerdings hängen ihre Blätter wie Haare anmutig in Form einer Mähne herunter. Bei diesem Stamm haben wir die Eingeborenen gegrüßt, die zwar etwas grobschlächtig, aber herzlich, mit Schreien auf unseren Gruß antworteten. Sie waren voller aufgeregter Freude, weil sie ein Flusspferd getötet hatten. Das Fleisch lag in Stücken in der Sonne, um dann roh gegessen zu werden, so wie es bei den Schwarzen Brauch ist.


[283]

Bei den Gianghèh sahen wir viele Baobab-Bäume mittlerer Größe, riesengroße Herden von wilden Büffeln, die ungefähr so groß sind wie ein Rind. Ihre Hörner sind stark nach vorn gebogen. Diese Tiere werden von den Eingeborenen gejagt. Die Berge von Tekem und Tira erstrecken sich weit nach Westen. In ihrer Nähe gibt es unendlich viele Giraffen, deren langer Hals bis zu fünfundzwanzig Fuß lang sein kann. Auf der rechten Seite des Flusses im Gebiet der Nuer zeigt eine Herde von großen Elefanten ein gewaltiges Schauspiel. Sie weiden in einem riesigen Sumpfgebiet. Es scheint, dass sie an den Fluss gekommen sind, um ihren Durst zu löschen. Dort gibt es auch viele Rhinozerosse, von denen vorgestern eines in der Nähe unseres provisorischen Lagerplatzes getötet wurde. Nachdem wir den Anblick dieser Elefanten genossen hatten, zerriss eine starke Windböe das Großsegel unseres Schiffes, so dass wir gezwungen waren, in diesem sumpfigen Gebiet einen halben Tag zu verbringen, ganz in der Nähe des Ortes, wo vor kurzem ein Nubier der Mission von Khartum, der sich etwas vom Ufer entfernt hatte, mit einem Lanzenstich getötet wurde.


[284]

Während D. Beltrame ein Flusspferd jagte, verfolgte ich einen Schwarm von Abusin-Vögeln. Das sind Vögel in der Größe eines Zickleins. Aber auf die Schüsse von D. Giovanni, der eigentlich ein guter Jäger ist, reagierte das Flusspferd überhaupt nicht, es bewegte sich nicht einmal. Es hat eine Haut von vier Fingern Dicke. Und auf meine Schüsse hin wurden die Abusin nur etwas durcheinandergebracht und flogen wenige Meter weit weg. Sie verachteten meine Bemühungen, als ob sie überhaupt keinen Wert gehabt hätten. Ich habe nie mit Kugeln geschossen. Nachdem das Segel geflickt war, setzten wir unsere Reise mit eingerolltem Segel fort. Das Schiff ohne Segel fuhr so schnell dahin wie ein Dampfschiff. Zwei Tage später, als wir nach Westen abbogen, erreichten wir die Mündung eines anderen sehr großen Flusses Zentralafrikas, den Bahr-el-Ghazàl, oder Fluss der Hirsche genannt. Der Anblick dieses Sees, der vom Weißen Fluss und dem Fluss Gazàl gebildet wird, ist bezaubernd. An den Seiten wachsen gewaltige und wunderschöne Mimosengewächse, Abai und Baobabs, die von der Natur geschaffen sind und die noch kein Mensch versucht hat, zu berühren.


[285]

An diesem Punkt, dem 9. Grad, bogen wir ganz nach Süden ab und fuhren immer an dem riesigen Gebiet des Stammes der Nuer entlang, die auf der rechten und linken Seite des Flusses wohnen. In diesem Gebiet bis Kich macht der Fluss mehr als vierzig Biegungen, dabei fließt er einmal nach Süden, einmal nach Norden, dann nach Osten, dann nach Westen. Das führte dazu, dass die Mannschaft mehrere Tage lang bei glühender Hitze die Ruder benutzen musste. Und da die Nuer das Leben eines Menschen kaum schätzen, mussten die Männer unserer Besatzung, wenn sie an Land gingen, immer bewaffnet sein. Die Schwierigkeiten begannen an den Orten, wo wir mit Gegenwind wegen der Gesträuche, die bis in die Mitte des Flusses reichten, nicht an Land gehen konnten. Da warfen wir die Anker und warteten, bis der Wind wieder günstiger war. Aber die Strömung trieb das Schiff weiter. Bei dieser Gelegenheit erfreuten wir uns am Abend eines überraschenden Schauspiels von Flusspferden und Ibis. Flusspferde haben wir seit Khartum schon Tausende gesehen, ebenso Ibisse. Das Flusspferd ist viermal so groß wie ein Rind und hat einen übergroßen Kopf, der einem Kalbskopf ähnlich sieht. In seinem Maul hat ein Mensch Platz. Der Rücken ist wie bei einem Pferd, die Füße kurz wie bei einem Schwein, aber in Proportion. Sein Muhen ist wie das eines Rindes, aber kräftiger und tiefer. Das Flusspferd lebt tagsüber im Wasser und bei Nacht steigt es aus dem Fluss und nährt sich von Gras und Kräutern. An den Plätzen, wo es Getreide und Durrakorn gibt, wie z. B. in Nubien, da verwüstet es in einer Nacht ein ganzes Feld. Gegen Abend pflegt das Flusspferd aus dem Wasser des Flusses zu springen wie ein Pferd, um sich wieder mit gewaltiger Wucht ins Wasser fallen zu lassen. Dabei schnauft und schnaubt es und bringt das Wasser in Bewegung wie bei einem Gewitter. Unser Schiff fuhr mehrmals auf die Rücken der Flusspferde auf. Und oft mussten wir die gewaltigen Stöße aushalten, die uns von einem vorübergehenden Flusspferd versetzt wurden. Vor einigen Jahren wurde einmal auf der Stella Matutina der Koch beim Kochen von einem Flusspferd über Bord ins Wasser gestoßen und mit einem Schlag verschlungen.


[286]

An jenem Abend befanden wir uns inmitten von Tausenden von Nilpferden.  Es schien, als ob sich eine Herde von diesen schrecklichen Biestern pustend, brüllend und irre herumlaufend an uns hängen wollte. Diese Szene dauerte bis zur Morgendämmerung. Unser Schiff war oft gezwungen, die Flussseite zu wechseln, um diesen schrecklichen Tieren auszuweichen, von denen jedes gleichsam eine Insel bildete. An jenem Abend legten wir noch viele Meilen zurück und schauten sehnsüchtig auf das rechte Flussufer hinüber, auf eine drei Meilen lange Strecke mit sehr hohen Bäumen, die voll von Ibissen waren.


[287]

Der Ibis ist zweimal so groß wie unser Truthahn. Er hat einen langen Hals, einen Schnabel wie eine Ente und wunderschöne Federn. Der Ibis war im Altertum einer der größten Götter in Ägypten. Sein Name wird auch heute noch in Verona von einem Verein von Wissenschaftlern verehrt, die ein Blättchen herausgeben mit dem Titel Ibis. Ihr müsst es Euch jetzt einmal vorstellen, drei Meilen lang an Bäumen entlangzufahren, die nicht nur von Mücken, sondern von Tausenden von diesen Vögeln bedeckt sind, die ihrerseits ohne Angst die vorbeifahrende Stella Matutina beobachten.


[288]

Das war ein Grund, um die Größe Gottes zu loben, der mit so großer Weisheit und Macht auch an diese Tiere dachte. Um diesen Abend und diese Nacht noch zu verschönen, kamen zahlreiche Feuer der Nuer hinzu. Um sich einen Zugang vom Landesinneren zum Fluss zu verschaffen, brennen sie das hohe Gras nieder. Dieses Schauspiel zu sehen, lohnt sich wirklich. Der große Stamm der Nuer bot uns auch noch den Anblick von riesengroßen Herden von Antilopen, Büffeln und vielen anderen Tieren. Als wir die ausgedehnte Stadt Goden hinter uns gelassen hatten, mussten wir zu unserer großen Überraschung feststellen, dass die Schwarzen Durrakorn anbauen. Ihre Hütten gleichen denen der Schilluk, stehen aber weiter auseinander. Um jede Hütte herum sähen sie Durrakorn an, das zur Ernährung der Familie dient. Der Stamm der Nuer ist der fleißigste von den Stämmen, die wir gesehen haben, und deshalb sind sie nach meiner Auffassung auch die Reichsten. Ich hatte Gelegenheit, etwas über dieses Volk zu erfahren, als wir in Fandah-el-Eliab Halt machten. Dieser Ort dient als Hauptstadt dieses Stammes und ist ihr wichtigster Markt.


[289]

Hier möchte ich ein wenig ausholen. Seit Europa und wegen der Bücher (die ich gelesen habe) und vor allem wegen der tragischen Nachrichten, die wir in Khartum erhielten, haben wir uns von den Nuer ein grauenvolles Bild gemacht. Sie töten, sie morden, essen Menschen etc. etc. Darin wurden wir in Khartum noch bestärkt. Es wurde uns geraten, uns mit vielen Gewehren zu bewaffnen, um uns gegen die Angriffe der Schwarzen wehren zu können. Seit dem Stamm der Hassaniden stellen wir aber fest, dass die Schwarzen vor uns fliehen. Die Baghara, die Schilluk, die Dinka, die Nuer etc. antworteten entweder auf unser Grüßen oder flohen. Zusammenfassend kann ich Euch eines sagen: Auch wenn wir uns immer inmitten so vieler mit Speeren, Schilden, vergifteten Pfeilen, großen Stöcken bewaffneter Menschen befinden, muss ich feststellen, dass sie mehr Furcht vor uns haben als wir vor ihnen. Deshalb, wenn wir uns den Schwarzen vorstellen, gehen wir mutig auf sie zu, ohne Furcht zu zeigen. Wenn sie uns also so resolut sehen, laufen sie davon, außer wir laden sie ein, bei uns zu bleiben.


[290]

Und das habe ich praktiziert, als ich nach Fandah kam. Ich ging also auf einem großen Markt der Nuer mitten hinein in die Menge der Menschen mit Lanzen. Sie öffneten uns den Weg, wie wenn bei uns ein Kaiser durch den Ort zieht. Bei dieser Gelegenheit konnte ich die erstaunliche Fantasie der Männer und Frauen der Nuer bewundern. Viele von ihnen hatten ihr Haar mit Lehm, Asche oder Durrakorn vermischt zu Zöpfchen geformt. Andere waren wie mit einer Art Perücke bedeckt, die voll besetzt war mit Perlen und aussah wie ein militärischer Helm. Wieder andere trugen ihr Haar wie kleine Stecken zum Himmel erhoben, ähnlich wie jene Teufelchen, die bei uns sich anmalen. Andere trugen Blättchen von Kupfer oder Messing an ihrer Stirn, andere hatten ihr Haar wie zu einem Teller geformt, andere trugen Streifen von Tigerfellen um den Hals. Alle aber trugen drei oder auch fünf Armreife aus Elfenbein an den Armen. Ich sage Euch, diese so geschmückten Menschen wie auch jene, die sich mit Asche eingeriebenen hatten, erschienen uns wie viele Teufel. Noch absonderlicher zeigten sich die Frauen. Sie hatten an den Ohren zwei, drei, bis zehn Kupferringe. Andere schmückten die Ohren mit Perlen und Glasstücken, andere hatten selbst ihren Bauch mit Perlen und Ketten geschmückt etc. Manche trugen sogar Perlenketten an den Oberlippen, die zudem nach oben gewölbt waren.


[291]

Es war tatsächlich ein Schauspiel, sie inmitten der Lanzen, Pfeile und Schilde zu sehen. Das Gesicht der Frauen ist monströs mit den langen weißen Zähnen, mit der von der Asche faltig gewordenen Haut und mit dem Körper, der ganz mit Lehm beschmiert ist. Ich sage Euch ehrlich, bei so einem Anblick muss man sich fast übergeben. Dieser große Stamm der Nuer wäre ein wunderbares Arbeitsfeld für unsere Mühen, aber sein sumpfreiches Gebiet wäre für einen Europäer tödlich. Das, was am meisten dagegen spricht, sage ich Euch später. In Fandah empfingen wir den Häuptling dieses Stammes auf unserem Schiff. Er zeigte sich ebenso überrascht und erstaunt wie jener von Hauo. Jedoch trat dieser entschiedener und resoluter auf.


[292]

In der Nähe von Meha sahen wir im Fluss die Leiche einer Frau. Wir merkten, dass wir uns im Gebiet der Kich befanden, die den schlechten Brauch haben, die Toten in den Fluss zu werfen. Dort kam ein Kaukasier namens Kosciut mit drei anderen auf die Stella Matutina. Er erzählte uns viele Dinge über den Stamm der Angai, der weit im Inneren des Landes lebt. Ihr Häuptling kaufte vor kurzem für siebzehn Rinder einen bildhübschen Jungen und tötete ihn dann. Wir sahen den Häuptling des Stammes schmutzig wie ein Schwein. Er war voller Wut, weil die Nuer in sein Gebiet eingefallen waren und ihm alle Herden gestohlen hatten. Wir sahen die armseligen Hütten der Kich. Sie zeigen uns nur allzu deutlich, in was für armseligen Verhältnissen die armen Afrikaner leben. Als wir bei einem Dorf vorbeifuhren, war dort einer ihrer Häuptlinge. Er folgte unserem Schiff und rief: „Unser Herr ist gekommen“ und rief „ciam ciam“, das heißt ich habe Hunger. Nachdem wir ihm einige Kekse gegeben hatten, folgte er uns bewaffnet am Ufer, als wollte er uns vor Räubern beschützen, die es in großer Zahl gibt. Ja, man könnte fast sagen, dass alle Kich Diebe sind, auch wenn sie eher furchtsam und wenig gerissen sind.


[293]

Wir ließen die große Ortschaft Abu-Kuka hinter uns, und unterstützt von den Schwarzen, die die Ruder bedienten, erreichten wir schließlich fünfundzwanzig Tage nach unserer Abreise von Khartum am 14. Februar die Station Heiligkreuz, wo wir uns jetzt befinden. Das ist im Gebiet der Pà Nòm und liegt nach genauen Berechnungen etwas mehr als tausend Meilen von Khartum entfernt. Pà Nòm liegt am 7. nördlichen Breitengrad. Es ist ein zentraler Ort, sicherer als die anderen, um von hier aus Erkundungen durchzuführen. Hier also machen wir Halt. Und wenn sich nichts Gegenteiliges ereignet, sind wir bereit, den Plan unseres Oberen zu beginnen und seine Anordnungen auszuführen mit dem Ziel, den geeignetsten Stamm für sein Vorhaben zu finden. Das, was wir vorhaben, sieht so aus: Aus allen Erkundungen und Informationen, die wir erhalten haben, konnten wir mit Sicherheit folgern, dass die Sprache der Dinka die am meisten verbreitete ist im Gebiet des Bahr-el-Abiad. Sie wird gesprochen und verstanden nicht nur vom Stamm der Dinka, sondern auch von den Nuer, den Gianghèh, den Kich, den Tuit und den Schilluk, die den Dinka gegenüber am linken Ufer des Flusses wohnen.


[294]

Jetzt also bleiben wir hier bei den Kich, um die Sprache der Dinka zu erlernen und gleichzeitig Erkundungen durchzuführen, um noch besser klären zu können, was Gottes Wille für unser Unternehmen ist. Wenn wir erst einmal die Sprache erlernt haben, können wir gleich aus mehreren Stämmen auswählen, die die Sprache der Dinka sprechen. Auf diese Weise haben wir noch mehr Zeit, um den Willen des Herrn zu erfragen.


[295]

Unsere gegenwärtige provisorische Station liegt nicht weit weg vom Fluss vor einem unerforschten Wald, in dem es wimmelt von Elefanten, Tigern, Löwen, Hyänen, Büffeln, Nashörnern und anderen wilden Raubtieren. Jede Nacht ziehen Elefanten, Löwen und andere wilde Tiere durch unsere Station auf dem Weg zum Fluss zur Tränke. Drei Tage nach unserer Ankunft bei den Kich riss ein Löwe einen Esel aus der Umzäunung und verletzte ihn am Rücken. Zwei Tage später sahen wir mehr als zweihundert Elefanten ganz in der Nähe unserer Station vorüberziehen (wir versteckten uns in unseren Hütten). Sie waren auf dem Weg zum Fluss, um zu trinken. Am vergangenen Sonntag sind D. Angelo und ich für eineinhalb Stunden in den Wald vorgedrungen, um zu schauen, ob es dort kleine Bäume gibt für den Bau einer Hütte. Wir sahen viele Bäume, die von den Elefanten umgedrückt worden waren, und die Spuren von Büffeln und Löwen, aber wir sahen keine wilden Tiere, weil diese bei Nacht unterwegs sind und weil Gott uns beschützte. Ich hatte vorher versprochen, Euch etwas über die Jagd von Elefanten und Flusspferden zu erzählen, aber im Moment habe ich keine Zeit. Es reicht zu wissen, dass der Elefant das größte Tier auf der Erde ist, das man kennt. Mit seinem Rüssel drückt er dicke Bäume zu Boden. Seine Vorderzähne wiegen drei, vier, auch fünf Arrobas jeder einzelne. In Kairo zahlt man für einen Elefantenzahn 100 Taler pro Quintal (vier Arrobas nach unserem Gewicht).


[296]

Liebe Eltern, ich sehe, dass ich mich in einer Welt befinde, die ganz anders ist als die in Europa. [...] Mir scheint außerdem, dass die Beschreibungen der Afrikareisenden übertrieben sind. Es stimmt, dass diese Menschen, die massakrieren und töten, grausam sind gegen die Weißen, aber nur wenn sie provoziert werden.


[297]

Wir sind hierhergekommen mit dem Friedenskuss, mit dem Ziel, ihnen das größte Gut, das es gibt, nämlich die Religion, zu bringen. Sie haben uns nie Gelegenheit zu Empörung gegeben. Sie bringen uns Holz, Stroh und alles, was es gibt. Wir geben ihnen dafür Durrakorn und Glasperlen. Sie gehen hoch zufrieden von dannen. Habt keine Angst, meine Lieben. Mit dem Kreuz auf der Brust und mit dem Wort des Friedens besänftigt man die wildesten Tiere. Es ist freilich wahr, dass man die Gnade Gottes braucht, aber die fehlt nie. Wir müssen uns anstrengen, Mühen auf uns nehmen, sterben. Aber der Gedanke, dass wir schwitzen und dass wir aus Liebe zu Jesus Christus sterben, und zwar für das Heil der am meisten verlassenen Seelen der Welt, ist allzu süß, um vor diesem großen Unternehmen zurückzuschrecken.


[298]

Die erste Mühe, die Gott von uns fordert, ist das Erlernen der Sprache der Dinka. Sofern man Grammatiken, Wörterbücher und gute Lehrer hat, ist es kein so großes Problem, eine fremde Sprache zu lernen. Aber in unserem Fall ist das ganz anders. Die Sprache der Dinka war nie bekannt. Also existieren auch keine Grammatiken und Wörterbücher, noch gibt es Lehrer. Die Grammatik und die Wörterbücher der Dinka werden wir erstellen. Es geht also darum, jedes Wort von den Lippen dieser Eingeborenen abzulesen, die weder unsere Sprache noch Arabisch kennen. Ihr seht also, was für Schwierigkeiten wir haben.


[299]

Wenn man dann einen gewissen Vorrat an Worten gesammelt hat, muss man mit Hilfe von Überlegungen und Ableitungen die grammatikalischen Regeln erstellen, auf die Bildung der Zeiten kommen, und auf die Art, wie Sätze und ähnliches gebildet werden. Ja, all das müssen wir tun. Um zu predigen, werden wir nicht warten, bis wir die Sprache perfekt beherrschen. Sobald wir einige wenige Sätze zusammenbringen, werdet Ihr uns inmitten einer Menge von bewaffneten Männern sehen, um ihnen eine Idee von Gott, von Jesus Christus und von der Religion zu vermitteln. Ja, wir beginnen bereits hier bei den Kich, uns mit den Menschen zu treffen. Gott möge ihre Herzen bewegen.


[300]

Was uns noch sehr leid tut, ist der Umstand, zu sehen, dass diese Menschen bedauerlich faul sind. Hier gibt es hunderttausende Meilen von flachem Land. Wenn wir in Europa solche Flächen hätten, würde es wahre Wunder geben. Sie lassen es unbebaut liegen. Sie leiden zwar Hunger, aber denken nicht daran, zu säen. Es ist wahr, es fehlen Werkzeuge, es fehlt an allem. Aber jene Handwerkskunst, die sie gelehrt hat, Lanzen und Pfeile herzustellen, müsste doch auch in der Lage sein, sie zu lehren, wie man gute Schaufeln, Spaten, Hacken und Schneidewerkzeuge herstellt. Aber darüber möchte ich noch nicht urteilen, ich möchte sie erst besser kennen lernen, um sie Euch zu beschreiben. Bis jetzt habe ich Euch noch nicht über Religion und darüber berichtet, was für Ideen sie über Gott haben. Um den richtigen Ort für die Mission auszuwählen, müssen wir uns über alles informieren, auch über Dinge, die mit Religion nichts zu tun zu haben scheinen. Aber es wird die Zeit kommen, in der ich Euch auch darüber berichten werde. Die Menschen, die an den Ufern des Flusses wohnen, leben vom Fischfang.


[301]

Im Nil gibt es viele große Fische. Man darf die Menge der Fische nicht vergleichen mit der in unserem See, und insbesondere hier unter diesen Stämmen. Und das schließe ich aus der Art und Weise, wie die Eingeborenen die Fische fangen. Sie haben weder Angeln noch Netze. Sie haben eine lange Stange, an deren Ende sich ein Pfeil befindet. Sie steigen auf ihr Boot, fahren etwa hundert Schritte. Diese Harpune schleudern sie dann auf gut Glück, ohne vorher einen Fisch ins Visier genommen zu haben. Es ist kaum zu sagen, wie viele Fische sie auf diese Weise fangen. Ihre Boote sind so lang wie unsere, aber extrem schmal, ca. drei Handspannen. Eine Person kann gerade darauf stehen. Diese Boote stellen die Schilluk aus Rinde von Bäumen her, die sie mit Kordeln zusammenbinden. Die Kich dagegen hauen sie mit einem runden Eisen aus einem einzigen Baumstamm.


[302]

Das reicht jetzt, meine lieben Eltern. Ich möchte Euch noch andere Dinge sagen. Ich möchte mich immer mit Euch unterhalten, um zu wiederholen, dass Ihr froh und beruhigt sein könnt. Ärgert Euch nicht über die große Entfernung und darüber, dass ich Euch verlassen habe. Lasst diejenigen über die weite Entfernung Tränen vergießen, die keine Religion haben. Angenommen, wir würden uns nicht mehr wiedersehen auf dieser Erde, ist es nicht ein Glück, sich auf Erden zu trennen, um sich glücklich im Himmel wiederzusehen, und das für ewig?


[303]

Den Abschied, die weite Entfernung, das Getrenntsein können jene halbherzigen und armseligen Tröpfe beweinen, die keine andere Welt haben als diese, keine andere Verbindung als die materielle zwischen den Personen; aber wir wissen auf Grund unseres Glaubens, dass es ein Paradies gibt. Und dort vereinigen sich alle wahren Kinder Gottes. Dort kommen die Gebete der Menschen an, die aus allen Winkeln der Erde zum Himmel aufsteigen. Auch wenn Ihr an einem Ort der Erde seid und ich an einem anderen, sind wir und werden wir immer vereinigt sein, weil wir mit einem zentralen Punkt verbunden sind, nämlich mit Gott. Er ist das Kommunikationszentrum zwischen mir und Euch.


[304]

Wisst Ihr etwa, was die göttliche Vorsehung festgelegt hat? Vielleicht sehen wir uns wieder. Das Klima in Afrika ist schrecklich, aber nicht so sehr wie man glaubt. Scheint es Euch nicht ein Wunder, dass von den sechs Männern, die wir sind, keiner auf der Reise gestorben ist? Zu Eurem Trost kann ich Euch sagen, dass die (geografische) Position, an der wir uns befinden, wesentlich besser ist als die von Khartum. Sie ist gesund. An die Hitze haben wir uns schon gewöhnt. Die Fieberanfälle kommen und gehen, schließlich verschwinden sie. Ich werde sterben, Gott weiß es, aber bis jetzt bin ich gesund. Wir fünf erfreuen uns bester Gesundheit. Wir danken dem Herrn allerdings unter der Bedingung, dass er uns weitere Beschwerden schickt, wenn er uns schon keine Krankheiten und den Tod schicken will.


[305]

Aber jetzt genug davon, meine geliebten Eltern. Der Herr segne Euch zuerst in Eurer Seele, dann in Eurem Leib. Denkt daran, dass ich Euch immer im Herzen trage. Meine Gefährten grüßen Euch von ganzem Herzen. Sie schicken Euch ihren Segen und wünschen sich, dass Ihr auch ihrer gedenkt. Betet für sie und die Mission. Wenn Ihr es am wenigsten erwartet, wird Gott Euch trösten. Und außerdem, werde ich Euch nicht mit meinen Briefen trösten können? Sie sind zwar armselig und mager an Inhalt, aber denkt daran, sie sind wirklich geschrieben von Eurem Sohn, der Euch liebt.


[306]

Ich bewahre Eure Briefe wie Reliquien auf. Ich lese sie sofort, wenn sie ankommen. Und wenn mich ein natürliches Gefühl des Schmerzes für Euch übermannt, lese ich sie und tröste mich, weil ich weiß, dass Ihr an mich denkt. Tut auch Ihr das Gleiche. Wenn die Dinge nicht gut verlaufen (was ja ein Zeichen dafür ist, dass wir in dieser Welt sind), dann lest ein paar Sätze dieser groben, mit Tinte befleckten Briefe, die ich Euch von Zeit zu Zeit schicke, und Ihr werdet sehen, dass sie Euch trösten werden. Wer weiß, welch großen Trost Gott für Euch auf Erden bereithält. Ihr aber schaut immer auf die himmlischen Tröstungen, indem Ihr die weltlichen nicht beachtet. Gott sieht alles! Gott kann alles! Gott liebt uns! Betet für die Bekehrung Afrikas.


[307]

Inzwischen grüße ich Euch beide. Grüßt mir sehr lieb Eustachio, Erminia, Onkel Giuseppe, Cesare, Pietro, Vienna und alle Verwandten. Vergesst nicht, an meiner Stelle Eugenio einen Kuss zu geben, wenn er glorreich von Innsbruck zurückkommt. Überbringt meine Ehrerbietung an den Herrn Consigliere, den Eigentümer, die Frau Livia und durch sie an Adolfo und den Herrn Giacomo und Teresa Ferrari aus Riva. Meine Grüße auch an den neuen spirituellen Verwalter. Sagt ihm, dass ich als Pfarrkind auch ein Anrecht auf seine pastorale Sorge habe. Aber da er auf der einen Hälfte der Erde lebt und ich auf der anderen, und da ich Tausende von Kilometern von seinen Augen entfernt bin, so dass ich seiner väterlichen Fürsorge nicht folgen kann, habe ich wenigstens das Recht, an dieser seiner pastoralen Sorge mit meinem Gebet teilzunehmen. Da er durch seinen Dienst zum Gebet pro popolo verpflichtet ist und an den Festtagen die hl. Messe pro populo zu feiern hat, versuche ich an seiner pastoralen Sorge Anteil zu haben, indem ich auch in seine Gebete eingeschlossen bin. In einem Wort: Sagt ihm, dass er zum Herrn auch für mich, sein Schäflein, das sich verirrt hat, beten möge.


[308]

Grüßt mir den Herrn Giuseppe und Giulia Carettoni, die Herren Pietro Ragusini und Bortolo Carboni, die Familie Patuzzi, Junge und Alte, Don Bem, die drei Frauen Paraolari-Patuzzi, den Herrn Girardi, die Frau Nina und Titta, den Herrn Giovanni, Ventura etc., den Arzt, alle aus der Familie Lucchini, den Freund Antonio Risatti, den Hauptmann im Namen auch von Don Angelo, den Maler, die Gärtner von Supino und Tesöl, Rambottini und Barbara, den guten Pietro Roensa mit seiner Familie und seiner Tochter, die bei uns gedient hat. Wir haben uns mit unserer Haushilfe gut verstanden. Grüßt mir die Frau Cattina Lucchini, den Sassani etc. etc. Überbringt mir auch herzliche Grüße an den Erzpriester von Pieve, Don Luigi, Don Pietro, den Pfarrer von Voltino, an Dr. David und die gute alte Seele Marianna Perini.


[309]

Grüßt mir schließlich alle, die in unser Haus kommen, den Minico in Riva, unsere Verwandten in Bogliaco und Maderno, und alle Landsleute in Limone. Sagt den Einwohnern von Limone, dass ich sie zwar körperlich verlassen habe, aber nie mit dem Geiste. Man kann die Erinnerung an die Heimat erst so richtig schätzen, wenn man weit weg von ihr ist. Sagt ihnen, sie mögen für einen Landsmann beten, der sie auch aus der Ferne ins Herz geschlossen hat. Grüßt mir auch den unverwundbaren Pirele und seine liebenswerte Frau Maria. Also, lebt wohl, meine geliebten Eltern. Ich kann Euch voller Freude noch einmal sagen, dass ich mich bester Gesundheit erfreue. Das gleiche hoffe ich für Euch. Wenn Ihr diesen Brief erhaltet, so hoffe ich, werdet Ihr bereits das Päckchen aus Jerusalem empfangen haben. Sagt jenen, denen ich Grüße schicke, sie mögen sich meiner bei Gott erinnern.

Seid ganz herzlich umarmt und empfangt zugleich den heiligen Segen.

Euer Euch ergebener Sohn

Daniel Comboni

Apostolischer Missionar von Zentralafrika


 


33
Eustachio Comboni
0
dai Kich
5. 3.1858
[310]

ich erinnere mich nicht mehr, ob ich mich in meinem letzten Brief, den ich von Khartum aus geschrieben habe, bei Euch mit Recht beklagt habe. Auch wenn es der Fall gewesen wäre, möchte ich meine Klage heut wiederholen. Ich nehme Euren lieben Brief zur Hand und finde keine Nachricht über den kleinen Erminio ... basta ... Ihr versteht mich ... Ich möchte von Euch nicht nur über den lieben Eugenio informiert werden, sondern auch über die anderen. Ich hoffe, es geht Euch allen gut und auch dem Onkel.


[311]

Ich habe verstanden, dass sich der Onkel mit dem Gedanken befasst, eine Reise nach Jerusalem zu unternehmen. Das wäre eine tolle Sache, denn ich bin sicher, dass er hernach ganz gern sterben möchte. Ich jedoch, um die Wahrheit zu sagen, würde ihm dieses Unterfangen nicht anraten, nicht nur wegen der zweitausend Meilen, die er auf dem Meer fahren müsste, sondern wegen der Überquerung des Gebirges in Judäa, das nicht immer sicher ist. Außerdem braucht es da jugendliche Kraft, da er, der doch schon sechzig Jahre auf dem Buckel hat, Missgeschicke und andere Unannehmlichkeiten ertragen müsste. Noch weniger würde ich ihm empfehlen, mit den Ordensleuten [frati] zu reisen, die es ja gewohnt sind, derartige Dinge zu ertragen und denen es nichts ausmacht, einen Monat lang auf einem halb verkommenen und schmutzigen Schiff zu leben. Falls sich der Onkel nächstes Jahr zu Ostern entschließen sollte, diese Reise zu unternehmen, wäre es besser, er würde mit dem Österreichischen Lloyd fahren. Ihr gebt mir dann bitte gleich Bescheid, damit ich ihn in Alexandria und in Jaffa, beim französischen Konsul in Jerusalem und in allen Städten Palästinas empfehlen kann, wo ich einige ehrbare Herren [Gentlemen] kenne. Ich weise auch noch darauf hin, dass nicht alle Ordensleute [frati] empfehlenswert sind. Das hat mich die Erfahrung gelehrt. Was die Sprache betrifft, kommt derjenige, der keine Beziehungen hat, mit Italienisch über die Runden, weil es in Palästina mehr als hundert italienische Missionare gibt.


[312]

Meine gegenwärtige Lage und meine Verpflichtungen hindern mich daran, Euch einen kurzen Bericht über meine Reise nach Zentralafrika zu geben. Ihr könnt ja den etwas durcheinander geschriebenen Bericht lesen, den ich meinem Vater geschickt habe. Was für Veränderungen gibt es doch im Leben! Vor sechs Monaten befand ich mich unter kultivierten, zivilisierten Menschen, unter Christen. Jetzt kann ich mich nicht umdrehen, ohne auf arme Menschen zu stoßen, die in ihrer Sprache „ciam ciam“ rufen (d. h. ich habe Hunger), und damit um ein Almosen bitten. In Europa wohnt man in Häusern aus Ziegeln, isst von Tischen, schläft in einem Bett. Hier empfängt uns einfach eine Hütte aus Stangen und Schilf. Hier isst man genüsslich auf einer unserer Kisten und man schläft auf einer Matte oder auf einem rohen Gatter, das aus Fasern der Dattelpalmen hergestellt ist.


[313]

In Europa sehen wir nur Hunde, Ziegen, Rinder, Esel; hier leben wir in der Nähe der Elefanten mit ihren langen Rüsseln, der Büffel mit ihren doppelten Hörnern, der Flusspferde mit ihren großen Mäulern, der Krokodile, der Hyänen, der Löwen und anderer wilder Tiere, die bei Nacht in die Nähe unserer Hütten kommen. Ich bin jedoch sehr zufrieden, auch wenn ich noch nicht sehen kann, wie diese Menschen hier sich einmal bekehren sollen. Ich misstraue zwar den menschlichen Mitteln total, setze aber mein ganzes Vertrauen in ein wunderbares Wirken der Gnade Gottes.


[314]

Unser Leben, das Leben eines Missionars, ist eine Mischung von Schmerz und Freude, von Mühen und Hoffnungen, von Leiden und Ermutigungen. Man arbeitet mit den Händen und mit dem Kopf, man ist auf Reisen zu Fuß oder auf dem Boot; man studiert, man schwitzt, man leidet, man freut sich. Das ist es, was die göttliche Vorsehung von uns will.


[315]

Gestern bekamen wir Besuch vom Häuptling der Abukuk. Von ihm müssen wir ein Boot kaufen. Wir haben ihm von Gott erzählt und vom Himmel. Er fragte, ob es in diesem Himmel auch Kühe gibt und Ohrringe aus Kupfer. Er hat zehn Frauen, ungefähr tausend Kühe, drei Koffer mit Glasperlen. Er bat uns um etwas Essbares, denn er hatte Hunger. Er kam mehrere Male, um ein Almosen zu erbitten. Hier gibt es nur eine Jahreszeit. Die heißeste Zeit ist von November bis April. Da steht die Sonne senkrecht über unseren Häuptern. Von April bis November ist es weniger heiß, denn da gibt es die Regenfälle. Das möge für jetzt reichen. Bequemer lest Ihr den mageren Reisebericht, den ich meinem Vater geschickt habe.


[316]

Ich hoffe, dass Ihr euch bester Gesundheit erfreut und dass meine gute Cousine Erminia nicht allzu sehr von Krämpfen geplagt wird. Grüßt sie mir ganz herzlich. Ich empfehle Euch auch von ganzem Herzen meinen lieben Eugenio. Wenn Ihr ihn begleitet, gute Ratschläge gebt, ihm Schutz gewährt (darin, weiß ich ja, seid Ihr von größter Sorgfalt), holt Euch lieber Rat bei der Religion als bei persönlichen Interessen und den vergänglichen Ideen, in der Welt den großen Mann spielen zu wollen. Wenn es ihm gelingen sollte, nach Innsbruck zu kommen, dann möge er sich nicht mit schlechten Mitschülern abgeben (ich mache mir da große Sorgen wegen der Verdorbenheit der modernen Jugend). Ihr werdet sehen, der tüchtige Eugenio wird Großartiges vollbringen.


[317]

Ich empfehle Dir auch Erminio. Sorge dafür, dass er sich von gewissen rüpelhaften und groben Typen fernhält. Da er von Natur aus etwas zum Stolz neigt, wird es gut sein, ihn unter Kontrolle zu halten und über ihn zu wachen. Lass ihn auch immer spüren, dass Du Hoffnung in ihn setzt, dass er sich bessere; andernfalls wird er sich leicht entmutigen und von seinem bösen Temperament mitreißen lassen.


[318]

Ich empfehle Euch auch den kleinen Enrico. Auch wenn er weniger schlau und gewitzt ist, wird er doch in die Fußstapfen von Eugenio treten. Pflegt in ihm die Idee der Religion. Sorgt auch dafür, dass die Söhne des Cesare gut erzogen werden. Gott hat Euch dazu befähigt, nützt das aus. Gewisse ständig unnütze, vulgäre Ideen gefallen mir gar nicht. Ihr versteht mich ... Die Erziehung ist das wertvollste Kapital des Mannes und der Frau. Und das ist bei Gott noch wertvoller als der Besitz von Tausenden von Blumen. Jetzt muss man allerdings Geld dafür ausgeben, aber schließlich und endlich macht es langfristig den Geldbeutel dicker.


[319]

Ich grüße Euch also. Schreibt mir, mein lieber Eustachio. Eure Briefe geben mir viel Trost, sie bereiten mir viel Freude. O wie willkommen sind doch die Worte von geliebten Menschen, die so weit weg sind. Auch Eure Söhne mögen mir schreiben. Berichtet mir über sie, über meine Eltern, [...] über Pietro, über Cesare, über alle. Entbietet auch meine respektvollen Grüße dem Patriarchen Beppo und seiner geschwätzigen Frau Giulia.


[320]

Sagt ihr, dass ich es verstünde, das Brot zu backen, wie sie es bäckt, denn so müsste ich nicht dauernd Durrakorn essen, was ähnlich zubereitet ist wie pastello [dicker Brei]. Aber Gott sei gepriesen. Entbietet mir auch respektvolle Grüße an Herrn Giacomo und Teresa Ferrari. Wir alle in Riva haben uns mit ihnen und ihren Hausangestellten gut verstanden. Umarmt sie herzlich.

Ich empfehle mich Euch als

Euer

D. Daniel Comboni


[321]

Empfehlt mich auch dem Onkel, und sagt ihm, dass es bei unseren Abmachungen bleibt. Überbringt auch meine besonderen Grüße dem D. Giordano und D. Giovanni Bertanza.

 


34
Don Pietro Grana
0
dai Kich
9. 3.1858
[322]

Ihren Brief vom 21. November 1857, der vor wenigen Tagen aus Khartum ankam, hat mir sowohl eine Verpflichtung als auch Vergnügen gebracht. Einen Schmerz bereitet mir der Gedanke, dass mein armer Heimatort durch ihren Weggang verwaist ist und einen seiner weisesten Hirten verloren hat. Das ist ein großes Übel und der Vorbote wer weiß von was für misslichen Umständen. Eine Freude und zwar eine große erlebte ich, als ich vernahm, dass Sie schließlich in das Amt des Erzpriesters in Toscolano berufen wurden. Und diesbezüglich weiß ich nicht, wessen Herz höher geschlagen hat, das Ihre oder das der beglückten Toscolaner oder das Herz Ihres fernen Freundes, als ihm auf einem nubischen Boot der Brief gebracht wurde, in dem diese großartige Nachricht stand.


[323]

Nein, nein, mein lieber Don Pietro, nicht weil sie Pfarrer von Limone oder der Trost meiner isolierten Eltern waren, oder aus irgendeinem anderen zweitrangigen Grund, habe ich im Einverständnis mit Ihnen die enge Freundschaft beschlossen, obwohl wir durch eine so unendliche Entfernung voneinander getrennt sind.


[324]

Es war echte Zuneigung. Es waren zwei Herzen, die sich glücklicherweise zusammen fanden zu einem. Es war die engste und aufrichtigste Freundschaft, die alle beide drängte, uns auch über die weite Entfernung hinweg durch gegenseitige Briefe in engster Verbindung zu halten. Auch wenn Sie jetzt weit von Limone und Erzpriester in Toscolano sind, sehe ich keinen Grund, unseren Briefverkehr abzubrechen. Ich meinerseits werde ohne Unterbrechung fortfahren, Sie über die Erfolge unserer großen Mission zu unterrichten. Don Pietro, trösten Sie mich auch weiterhin in meiner Einsamkeit mit Ihren langen Briefen, in denen Sie mich über sich und was mit Ihnen zusammenhängt unterrichten, über ihre Familie, über Toscolano etc. etc. Denn das sind für mich angenehme Nachrichten.


[325]

Sie wissen ja schon, wie ich Ihnen bereits aus Khartum geschrieben habe, dass D. Giovanni, D. Francesco, D. Angelo und ich am 21. Januar aus dieser Stadt abgereist sind. Zuvor hatten wir uns mit einer herzlichen Umarmung von D. Dal Bosco verabschiedet. Wir ließen ihn in Khartum als unseren Prokurator und als Bezugspunkt für unsere Kommunikation zwischen uns und Europa zurück, auch wenn wir in Alexandria in Ägypten einen Laien als Prokurator in der Person des Grafen Frisch aus Wien, einem hervorragenden Italiener, aufgestellt hatten. Nachdem wir die Spitze von Omdurman am 16. Grad nördlicher Länge umfahren hatten, wo sich die beiden großen Flüsse Bahr-el-Azek und Bahr-el-Abiad vereinen und den Nil bilden, drang unser Schiff in den Bahr-el-Abiad ein, der sich vor uns in seiner ganzen majestätischen Schönheit öffnete.


[326]

Dieser große Fluss, auch wenn er seichter ist, ist viel länger als der Nil. Und obwohl wir gegen den Strom fuhren, war uns der Wind günstig, so dass unser Schiff mit der gleichen Geschwindigkeit über die bewegten Wellen dahinglitt wie die Dampfer auf dem Gardasee. Die Stämme, die wir jenseits von Khartum antrafen, sind die Hassaniden, die Lawin und die Baghara. Ihr Gebiet grenzt an das verschiedener anderer Stämme. Sie sind Nomaden wegen ihres besonderen Berufs als Viehzüchter. Sie müssen herumziehen auf der Suche nach guten Weideflächen. Darüber hinaus gibt es die Dinka auf dem rechten und die Schilluk auf dem linken Ufer des Flusses. Ehe wir aber zu ihnen kamen, erfreuten wir uns des herrlichen Anblickes einer üppigen Natur, die noch nie von Menschenhand eingeengt noch verunstaltet wurde.


[327]

Die Ufer des Flusses sind bedeckt von einer mächtigen und üppig wuchernden Vegetation, die auf lange Strecken aussieht wie ein bezauberndes Eden. Gruppen von Hunderten von Inseln, die verstreut auf über zweihundert Meilen auftauchen, sind alle in ein Smaragdgrün gekleidet. Sie bieten den Anblick anmutiger Gärten. Da gibt es unberührte und undurchdringliche Wälder mit gigantischen Mimosenbäumen in verschiedenen Grüntönen, mit dornenreichen Akazien, mit Papyrusstauden, mit Tamarinden und anderen blattreichen Bäumen aller Größen. Sie dringen landeinwärts nach Westen und Osten und bieten den Tausenden von Antilopen, Gazellen, Giraffen, Löwen und anderen wilden Tieren einen sicheren Unterschlupf. Sie halten sich ohne Furcht in diesen unberührten Gebieten auf, die noch nie von Menschen betreten wurden. Immense Schwärme von Vögeln aller Art, Größe und Farbe schwirren frei über diesem grünen Blättermeer und erfüllen die Luft mit kreischenden, aber angenehmen Gesängen. Da sind Ibisse, Königsadler, wilde Enten, Aghirone, Abusin, Marabu, Papageien mit goldfarbenen Federn, Pelikane, Abumien etc. etc. Sie stolzieren und fliegen entlang der Ufer in Schwärmen zu Tausenden. Und aus der Ferne sind sie nicht mehr zu unterscheiden von den Affen, die zwischen den Bäumen herumspringen und zum Fluss zum Trinken kommen. Sie machen ihre Faxen, während wir vorbeifahren. Es hat den Anschein eines wandernden Waldes.


[328]

Zu diesem Schauspiel kommt dann noch das raunende Muhen von Tausenden von Flusspferden, die ihre monströsen Köpfe schnaufend aus dem Wasser erheben. Es kommt oft vor, dass sie mit ihrem Rücken an unser Schiff stoßen. An den Ufern der Inseln sieht man jede Menge Krokodile liegen, die bei unserem Vorbeifahren sich am Boden kriechend eins nach dem anderen ins Wasser flüchten. Das Flusspferd ist ungefähr viermal so groß wie ein Rind. In seinem Maul hat ein ganzer Mensch Platz. Uns wurde gesagt, dass so etwas öfter passiert (dass ein Mensch von einem Flusspferd verschlungen wird). Wir haben oft ein Flusspferd mit offenem Maul gesehen. Solch ein Anblick ist ein besonderer Anblick. Das größte Krokodil, das wir gesehen haben, wurde von uns auf zwanzig Fuß geschätzt. Es gibt aber auch welche mit dreißig Fuß Länge. Die Flusspferde schwimmen in Gruppen zu Hunderten, zu Tausenden. Als wir vorbei fuhren, tauchten sie unter Wasser.


[329]

Im Gebiet der Nuer fuhr unser Schiff vier Meilen mit vollen Segeln über die Rücken der Flusspferde. Am Anfang empfindet man Angst, aber dann gewöhnt man sich daran, auch wenn unser Koch durch einen Stoß eines Nilpferdes in den Fluss fiel und aufgefressen wurde. Nach dem 10. Längengrad wurde die Natur fahler, die Vegetation wurde weniger, die Ufer sind von Schilf bedeckt, und so ging es bis zum 7. Längengrad. Ich erwähne nicht alle Ereignisse dieser Reise, die Herden von Elefanten, von wilden Büffeln, von Antilopen etc., die wir vom Schiff aus sahen. Ich erzähle auch nichts über die Stämme der Dinka und der Nuer, der Gianghéh etc., durch deren Gebiet wir gefahren sind. Ich erwähne auch nicht die Eindrücke, die diese gewaltigen Gebiete bei uns hinterlassen haben, denn es würde zu weit führen. Ich habe einen langen und ausführlichen Brief über diese Reise an meinen Vater geschrieben. Aber ein Ereignis möchte ich noch erwähnen, das wir bei den Schilluk erlebt haben.


[330]

Am 30. Januar ist unser Schiff bei Mocàda el-Kelb auf Grund gelaufen. Im Nil und im Weißen Fluss sind wir mehr als tausendmal auf Grund gelaufen, weil der Fluss an vielen Stellen sehr seicht ist. Aber hier hatte uns der Wind mit solcher Wucht auflaufen lassen, dass die Kraft von fünfzehn Männern unserer Mannschaft nicht ausreichte, es wieder flott zu bekommen. Wenn das Schiff auf Grund läuft, steigen die Schiffer ins Wasser, und mit der Kraft ihrer Schultern unterstützen sie die Kraft des Windes, und so kommt das Schiff wieder frei. Am Nachmittag des 29. sagte der Kapitän nach wiederholten Versuchen, dass er nicht wüsste, wie er das Schiff wieder flottbekommen könne. Man muss bedenken, dass wir uns im Land der Dinka befinden, die auf dem rechten Ufer wohnen, und der Schilluk, die am linken Ufer leben. Diese leben von Raubüberfällen. Ein Drittel der Beute müssen sie dem König abgeben. Am Ufer sahen wir zehn Boote mit Schilluk. Sie waren bewaffnet mit Lanzen, Pfeilen und Bogen, Stöcken und Schilden.


[331]

In Khartum hatte man uns grauenvolle Geschichten über die Schilluk erzählt. Der Kapitän bestätigte dies alles. Gegen Abend berieten wir, wie wir aus diesem sumpfigen Gewässer herauskommen könnten. Schließlich beschlossen wir, die Schilluk zu rufen, um unseren Männern zu helfen. Wir versprachen ihnen Glasstücke, Glasperlen und Geschenke. Wir hatten große Mühe, unsere Männer davon abzuhalten, sich zu bewaffnen.


[332]

Der Missionar muss eher sterben, als das Evangelium zu verkünden, indem er zur Verteidigung den Feind tötet. Auf der anderen Seite, was können elf Gewehre anrichten, wenn wir sie in die Hand nähmen, um uns gegen diese Wilden zu verteidigen? In der Nacht beschlossen wir, die Schilluk zu Hilfe zu rufen. Falls diese mit feindlicher Gesinnung kämen, würden wir ihnen das Schiff mit allem, was es enthielt, abtreten. Und falls wir nicht getötet würden, würden wir versuchen, das Kreuz in diesem Stamm aufzurichten, wo noch nie das Licht des Evangeliums geleuchtet hat.


[333]

Am Morgen gaben wir mit Rufen und dem Hissen der Fahne unserer Mission jenen Männern, die am Ufer standen, zu verstehen, sie mögen zu uns kommen. Tatsächlich löste sich ein Boot mit zwölf Eingeborenen, die wie oben beschrieben bewaffnet und von kräftiger Statur waren. Nachdem wir ihnen erklärt hatten, wie sie unseren Männern helfen sollten, das Schiff flott zu bekommen, antworteten sie, dass erst zwei von uns als Geiseln zu ihnen ins Boot steigen müssten. Sie würden mit ihnen ans Ufer fahren und mit dem Häuptling den Preis in Glasperlen aushandeln, den sie für ihren Dienst erhalten wollten. Während der Kapitän ein klares Nein aussprach, machten wir vier uns bereit, als Geiseln zu gehen. Es kostete jeden von uns große Mühe, die anderen zu überzeugen, denn jeder von uns wollte auserwählt sein, als Geisel zu gehen.


[334]

Während wir noch diskutierten, halfen die Eingeborenen unseren Männern. Aber als wir nach vielen Anstrengungen sahen, dass sich das Schiff noch nicht rührte, gaben wir ihnen zu verstehen, dass sie noch weitere Stammesbrüder zu Hilfe rufen möchten. (Die Schilluk glaubten wahrscheinlich, dass sie das Schiff, sobald es erst wieder frei wäre, mitnehmen dürften.) In weniger als einer halben Stunde tauchten weitere drei Boote mit bewaffneten Männern auf. Es waren dann insgesamt fünfzig Männer, die versuchten, das Schiff frei zu bekommen. Kaum dass das Schiff sich bewegte, blieben alle stehen und wollten ihre Glasperlen. Wir zeigten sie ihnen. Aber sie misstrauten uns und wollten sie gleich. Nachdem wir sie ihnen gegeben hatten, verließen sie unser Schiff und machten sich auf und davon. Das war die Arbeit am 30. Am Spätnachmittag rufen und rufen wir um Hilfe, aber niemand kommt uns zu Hilfe. Was ist zu tun? Wir befinden uns auf dem Fluss mitten unter zwei mächtigen Volksstämmen. Unsere Situation war ernst. Aber auf unserem Schiff (das Eigentum der Mission in Khartum ist) befindet sich eine wunderschöne Kapelle, in der ein Bild von Maria hängt. Könnte vielleicht diese unsere gute Mutter ihre vier Söhne ihrem Schicksal überlassen, die doch ihren Sohn auch diesen armen Völkern bekannt machen wollen? Nein, die gute Mutter kam uns zu Hilfe, indem sie uns eingab, wie wir uns aus dieser misslichen Situation befreien könnten.


[335]

Am Morgen des 31. bauten wir mit den fünfzehn Rudern eine Art Floß zusammen, auf das wir dreißig Kisten stellten, um das Boot zu erleichtern. Dann wurde durch die Kraft der unermüdlichen nubischen Mannschaft das Schiff in tieferes Wasser geschoben. Anschließend wurde es wieder mit unendlicher Mühe neu beladen. Das dauerte zehn Stunden. Schließlich fuhren wir wieder weiter und dankten dem Herrn und Maria. Jene Schilluk ließen wir enttäuscht zurück. Wir sahen, wie es unter ihnen ein Hin- und Hergehen gab, das uns gar nicht gefiel. Der Herr sei gepriesen, dessen wunderbare Hilfe wir auf allen unseren Reisen erfahren haben.


[336]

Von Khartum bis ins Gebiet der Kich gehen alle Männer und Frauen ganz nackt, mit Ausnahme der verheirateten Frauen bzw. der Schwangeren. Diese legen sich um die Hüften ein Ziegen- oder Tigerfell. Sie schlafen in der Asche, sie bestreichen ihren ganzen Körper mit Asche und gehen immer bewaffnet mit Lanze, Pfeil und Bogen und Schild. Bei unseren Erkundigungen haben wir herausgefunden, dass die Sprache, die am meisten in den unbekannten Regionen Zentralafrikas gesprochen wird, die Sprache der Dinka ist. Sie wird nicht nur von diesem Stamm gesprochen, sondern auch von zehn oder zwölf anderen Stämmen. Wir halten uns deshalb hier unter den Kich auf, um diese Sprache zu studieren, unternehmen aber gleichzeitig weitere Erkundigungen in Richtung Äquator. Wir glauben, dass wir dann bei diesem Stamm mit der Verkündigung des Evangeliums beginnen werden, ganz im Sinne des großen Planes unseres Oberen Don Mazza.


[337]

Ich habe begonnen, meine medizinischen Kenntnisse anzuwenden. Zu dieser Stunde habe ich alle Kranken der umliegenden Orte als Patienten bei mir. Wenn sie geheilt sind, kommen sie zu mir und bespucken mich, nehmen vor allem meine Hände und spucken in sie hinein. Das ist das Zeichen ihrer tiefsten Dankbarkeit. Von der Sprache der Dinka stammle ich schon 522 Worte, ja sogar 523, denn in diesem Moment lerne ich ‚a-gnáo‘, das heißt Katze. Es ist eine unsagbare Mühe, jedes Wort von den Lippen der Eingeborenen abzulesen. Aber das möge genügen, mein lieber Don Pietro. Durch dieses kleine Stück Papier können Sie sich nicht im Entferntesten eine Vorstellung davon machen, was wir alles beobachtet haben. Ich werde [später mehr] schreiben ... Meine Gefährten lassen Sie herzlich grüßen. Sie sind dankbar, dass die Vorsehung Sie gerufen hat, eine so vorzügliche Herde zu weiden.


[338]

Ich habe die große Freude, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass wir trotz der Missgeschicke dieser langen Reise und trotz der glühenden afrikanischen Sonne uns einer bewundernswerten Gesundheit erfreuen. Von den zweiundzwanzig Missionaren der Mission in Khartum, die seit zehn Jahren besteht, sind bereits sechzehn gestorben. Die meisten von ihnen in den ersten Monaten. Wir sind jederzeit zum Sterben bereit. Neben dem Klima wird der Tod durch das Fehlen von Ärzten und Medikamenten verursacht. Aber Ruhm sei dem Herrn! Ich grüße Sie von ganzem Herzen. Mit der ersten Post werde ich Ihnen etwas aus Zentralafrika mitgeben. Grüßen Sie mir Ihre Mama, die gute Elisa und die ganze Familie, den Klerus, dessen Gebet ich mich empfehle, die Julia Pomaroli, den Ingenieur Mastella und seine Frau, wenn Sie nach Modena schreiben. Glauben Sie mir von ganzem Herzen.

Ihr ergebenster

Daniel Comboni


[339]

PS: In der kommenden Woche werden wir eine Erkundung durchführen bei dem kriegerischen Stamm der Tuit, am 6. Längengrad. Wir haben den Häuptling dieses Stammes hierher zu den Kich kommen lassen. Nachdem wir ihm ein Päckchen mit Glasperlen und Kreuzchen geschenkt hatten, sagte er uns, dass wir zu seinem Stamm kommen können, wann immer wir wollen, er werde seine Untertanen darauf vorbereiten. Er gab uns noch den Hinweis, nicht in die Hütten einzutreten, denn dort wohne ein Geist, der Menschen fresse. Wir haben ihm versichert, dass wir diesen in die Flucht schlagen werden. Nein, antwortete er, er verschlingt alles. Wir werden sehen. Jetzt, da wir anfangen, in dieser Sprache zu stammeln, haben wir das Verlangen, uns in die Menge der bewaffneten Gruppen zu begeben und ihnen von Gott zu erzählen. In der Frühe kommen schon einige zur Messe, andere kommen, um unterrichtet zu werden. Viele üben schon das Kreuzzeichen. Um von ihnen geliebt zu werden, hilft uns sehr die Nächstenliebe, die wir üben, vor allem durch die Betreuung der Kranken.


[340]

Hier liegen die Lebenden und die Toten auf Asche. Das ist ihre ganze Medizin. Es gibt hier beklagenswerte Leiden aller Art unter den Volksstämmen Zentralafrikas. Oh, wenn doch die vielen tüchtigen Priester der Diözese Brescia, die jetzt apathisch in ihren vier Wänden leben, die Millionen von Seelen sehen könnten, die noch im Dunkeln und im Schatten des Todes sitzen! Wenn sie mit einem Schlag in die unbekannten Gegenden Afrikas fliegen könnten, wäre ich sicher, sie würden zu ebenso vielen Aposteln Afrikas werden. Aber ich vertraue auf die göttliche Vorsehung, dass sie auch die großherzigen Herzen der Priester von Brescia aufrütteln wird. Und der Gedanke, dass sie so begierig und großherzig sich für das Vaterland einsetzen, überzeugt mich, dass sie es noch mehr tun würden für die Sache Gottes, für das Wachsen des Reiches Gottes. Aber um das zu Stande zu bringen, bräuchte es einen entsprechenden zündenden Funken.


[341]

O, ich hoffe, dass das Beispiel der Missionare des Mazza-Instituts in Verona und jenes des Seminars von S. Calocero in Mailand auch die begeisterten und frommen Herzen meiner Brescianer Landsleute und Brüder bewege, sich den großen Unternehmungen zur Verbreitung des Reiches Gottes anzuschließen. Ich bitte Sie, dem Herrn Bischof meine untertänigsten Grüße zu übermitteln. Aber für jetzt reicht es, mein lieber D. Pietro. Schreiben Sie mir. Wie wohltuend sind doch die Zeichen von den Lieben in der Ferne. Sehr freuen würden mich Nachrichten über Ihre gegenwärtige Lage, über das schwere Amt, zu dem sie berufen wurden. Alles interessiert mich. Leben Sie wohl.
 


35
Dott. Benedetto Patuzzi
0
dai Kich
15. 3.1858
[342]

was für eine große Entdeckung hat Ihr ferner Freund an diesem Tag gemacht. Heute habe ich festgestellt, dass die Zeit wirklich ein Edelmann ist. Und wisst Ihr auch warum? Weil ich heute festgestellt habe, dass ich mit großen Schritten dabei bin, alt zu werden. O, mein Lieber! Genau heute bin ich 27 Jahre alt geworden. Mir scheint es sei gestern gewesen, als ich noch ein junger Bursche war. Es scheint mir vorgestern gewesen zu sein, als ich auf dem Schoß meiner Mutter saß und lernte, das Kreuzzeichen zu machen und als ich aus dem berühmten Tesöltal, wo ich die ersten Atemzüge des Lebens machte, mich allein auf den Weg machte in den Schoss der besten patriarchalischen Familie, um mir die ersten Grundkenntnisse der italienischen Sprache von dem berühmten Grammatiklehrer D. Pietro, Eurem lieben Onkel, zu erwerben. Mit der Geduld eines Hiob, mit der Beständigkeit eines Deutschen und oft mit einem weniger angenehmen Hieb aus Legnago unterrichtete er mich für beachtliche 75 Centimes im Monat mit Hingabe und Energie.


[343]

O was für unschuldige und süße Erinnerungen an jene Zeiten ... Aber auch Ihr, mein lieber Benedikt, nähert Euch mit großen Schritten dem Alter Eurer ehrwürdigen Vorfahren ... Also, da wir beide, ich und Ihr, so rasch alt werden, möchte ich, dass wir diesen Tag dazu nutzen, um Erlebnisse aus unserer Jugendzeit aufzufrischen, so wie das zwei glorreiche Kriegsveteranen Napoleons tun würden. Diese zwei würden sich treffen und sich stundenlang über die mühevollen Anstrengungen, die Reisen, die Kämpfe und die Triumphe unterhalten. Heute also bin ich der Protagonist. Ich werde beginnen, sie mit meinen Erlebnissen zu unterhalten. Dann, wenn Sie meine Erzählungen angehört haben, sind Sie an der Reihe, mir Ihre Erlebnisse zu erzählen. Aber ich werde nicht auf alle Details meiner Abenteuer eingehen. Ich werde Ihnen nur eine kurze Zusammenfassung von meiner Reise auf dem Bahr-el-Abiad geben in der Hoffnung, dass Sie Gefallen haben werden an den Dingen, die einer Ihrer ehrlichen Freunde erlebt hat. In jenen frohen Momenten dachte er auch an Sie; und es schien ihm, als seien Sie ein Reisegefährte, der an den vielfältigen und unterschiedlichen Eindrücken teilnehmen durfte.


[344]

Ehe ich zu meinem kurzen Reisebericht auf dem Bahr-el-Abiad komme, muss ich vorausschicken, dass der Nil, auf dem ich von Kairo bis Korosko und von Berber bis Khartum gereist bin, von zwei großen Flüssen gebildet wird. Bei den Arabern sind sie bekannt unter den Namen Bahr-el-Azek, oder Blauer Fluss, und dem Bahr-el-Abiad, oder Weißer Fluss. Sie werden wegen der Farbe ihres Wassers so genannt. Sie fließen bei Omdurman in der Nähe von Khartum zusammen und bilden von dort an den eigentlichen Nil. Nach einigen Tausenden von Meilen durch Nubien und Ägypten mündet er in mehreren Flussarmen ins Mittelmeer.


[345]

Die Quellen des Blauen Flusses sind seit der Antike bekannt. Es sind die Berge von Abessinien nicht weit vom Dembeasee. Sie wurden schon immer irrtümlicherweise als die Quellen des wahren Nils betrachtet. Auf diesem Fluss reiste im Jahre 1855 unser D. Giovanni Beltrame bis zum 10. Grad nördlicher Länge. Er wollte einen geeigneten Platz finden für eine Mission nach dem großen Plan unseres Oberen D. Nicola Mazza. Aber aus verschiedenen berechtigten Gründen erwiesen sich alle Plätze am Blauen Fluss als ungeeignet. Deshalb entschied der Superior [Don Mazza], dass wir mit dieser Expedition versuchen sollten, seinen Plan am Weißen Fluss zu verwirklichen.


[346]

Ich muss noch vorausschicken, dass dieser größte, majestätischste Fluss, der länger ist als der Blaue Fluss, schon ein anderes Mal von anderen befahren wurde, vor allem von dem Missionar D. Angelo Vinco aus unserem Institut. Die Ufer sind also in gewissem Sinn nicht mehr ganz unbekannt. Aber niemand wagte sich in das Landesinnere vor, wo sich in endlosen Weiten die großen Volksstämme befinden. Auch wenn man von ihnen die Namen kennt, weil ihre Gebiete bis an den Fluss reichen, so kann man doch mit vollem Recht sagen, dass die Volksstämme des geheimnisvollen Weißen Flusses unbekannt sind, denn man weiß nichts Sicheres über ihre Gebräuche, über das Volk, über ihre Art der Regierung, über die Religion und ähnliches.


[347]

So sieht die Wirklichkeit aus. Unsere Aufgabe ist es, in einem der Stämme Zentralafrikas, den wir für geeignet halten, den Missionsplan unseres Superiors zu verwirklichen. Dabei würden wir an den Ufern des Weißen Flusses beginnen. Bei diesem Werk werden uns die beiden Institute für Schwarzafrikaner und Schwarzafrikanerinnen zugutekommen, die der große Mann Gottes [D. Mazza] in Verona aufbaut. Es sind glückliche Pflanzstätten für den künftigen Aufbau der Missionen in Zentralafrika.


[348]

Zu diesem Zweck starteten wir vier am 21. Januar nach einer herzlichen Verabschiedung von unserem lieben Gefährten D. Alessandro Dal Bosco, der in Khartum als unser Prokurator zurückblieb. Khartum soll zugleich Zentrum der Kommunikation zwischen Europa und den Stämmen sein, bei denen wir uns vermutlich niederlassen werden. Wir vier sind D. Giovanni Beltrame, Oberer der Mission, D. Francesco Oliboni, D. Angelo Melotti und ich. Begleitet wurden wir von Don Matthäus Kirchner, Missionar der Missionsstation in Khartum, der vom Apostolischen Vikar, der sich gerade in Europa aufhielt, beauftragt war, an seiner Stelle die beiden Missionsstationen Heiligkreuz und Kondokoro zu besuchen.


[349]

Das Schiff, das uns auf dieser gefährlichen Reise transportieren sollte, war die Stella Matutina. Sie gehört der Mission in Khartum und war eines der größten und elegantesten Schiffe, die je auf dem majestätischen Weißen Fluss gefahren sind. Es war mit einer Mannschaft von vierzehn Mann ausgestattet, die unter Leitung eines erfahrenen Kapitäns stand. Dieser hatte diese Reise schon einmal gemacht. Wir haben immer wieder festgestellt, wie erfahren und kompetent er beim anstrengenden Steuern des Schiffes auf diesem großen Fluss war. Nach einem kurzen Gegenwind aus dem Norden ließen wir den Blauen Fluss hinter uns und bogen an der äußersten Spitze von Omdurman in den Weißen Fluss ein. Hier bei Omdurman fließen die beiden Flüsse zusammen. Sie behalten aber noch über vier Meilen ihre je eigene Farbe bei. Jetzt waren wir auf dem Weißen Fluss, der sich in seiner ganzen Größe und Schönheit vor uns auftat.


[350]

Ein starker Wind trieb uns rasch über jene bewegten Wellen. Auch wenn sie uns entgegenschlugen, schienen sie sich in aller Demut vor unserer Stella Matutina zurückzuziehen. Majestätisch wie sie war, kam sie mit einer Geschwindigkeit voran, ähnlich wie unsere Dampfer auf dem Gardasee. Die weiten Ufer sind bedeckt mit einer üppigen, grünen, vielfältigen Vegetation und bieten einen farbenfrohen Anblick. Dort weiden große Herden von Rindern und Ziegen. Und weiter landeinwärts erheben gewaltige Mimosenbäume ihre Zweige zum Himmel. Über ihnen flattern frank und frei unendliche Schwärme von wunderschönen Vögeln.


[351]

Der erste Stamm, dem man nach Khartum begegnet, ist der Stamm der Hassaniden, der an beiden Seiten des Flusses wohnt. Seine Angehörigen betreiben Viehzucht, aus der sie sich ihre wichtigsten Nahrungsmittel gewinnen. Diese Nomaden sind immer mit einer Lanze bewaffnet. Wie die Nubier, die hier und dort in der Wüste wohnen, tragen sie an den nackten Arm gebunden ein Messer bei sich, das sie für alle möglichen Dinge benutzen. Es war genau auf dem Gebiet dieses Stammes, als wir am zweiten Tag Halt machten, um uns ein Rind zu erstehen, denn der Kapitän hatte uns darauf aufmerksam gemacht, dass wir mehrere Tage lang keine Möglichkeit haben würden, uns mit Proviant für uns und die Mannschaft zu versorgen. Über diesen Stamm kann ich Ihnen gar nichts sagen, nur dass es Nomaden sind. Auch wenn es einige Dörfer oder Ortschaften gibt, ziehen sie herum auf der Suche nach besserem und nahrhafterem Futter für ihre Tiere.


[352]

Jenseits des 14. Längengrades leben zwei weitere kleine Stämme, nämlich jener der Schamkàb am linken Ufer des Flusses und jener der Lawins am rechten Flussufer. Nach diesen beginnt weiter südlich das Gebiet des Volksstammes der Baghara, das sich auf dem linken Ufer vom 14. bis 12. Nördlichen Längengrad und auf der rechten Seite vom 13. bis 12. Grad erstreckt. Zwischen dem 13. und 14. Grad lebt der Nomadenstamm der Abu-rof. Über ihn kann ich nichts mit Sicherheit sagen, außer dass es ihn gibt. Hier entlang der Ufer, die von den Baghara und Teile davon von den Schilluk bewohnt sind, wird die Landschaft immer interessanter und wunderbarer. Die Dörfer und Hütten beginnen zu verschwinden. Alles ist in Schweigen gehüllt. Unsere Stella Matutina ist die einzige, die über die ruhigen Wasser gleitet. Wir beobachten von der Brücke des Schiffes aus das wunderbare Schauspiel einer jungfräulichen Natur, die noch nie beschädigt wurde. Dort lächelt uns dieser bewundernswerte Teil des Flusses entgegen.


[353]

Seine Ufer sind auf lange Strecken bedeckt mit einer imponierenden und üppigen Vegetation, die noch nie gebremst noch von menschlicher Hand verändert wurde. Dichter, undurchdringlicher Urwald, der bis jetzt noch nicht erforscht wurde, wird gebildet von gigantischen Mimosenbäumen und grünen Nabak-Bäumen. Sie stehen bis weit hinein landeinwärts und bilden einen endlosen und vielfarbigen, bezaubernden Urwald. Dieser bietet den großen Herden von Gazellen und Antilopen und anderen wilden Tieren sicheren Unterschlupf. Wir sehen, wie sie frei herumlaufen, ohne Furcht vor feindlichen Bedrohungen. In diesen Wäldern an den Ufern finden sich bisweilen liebliche Blattgewächse, die mit ihren Blättern Gebilde wie kleine Hütten bilden, unter denen man sich vor dem Regen flüchten könnte. Hunderte von bezaubernden Inseln folgen eine der anderen, eine schöner anzusehen als die andere. Sie sind eingehüllt in ein glänzendes Grün und geben den Anschein von fruchtbaren Gärten. Diese Inseln sind bewachsen von schattenspendenden Mimosen und Akazien, die kaum einen Strahl der glühenden afrikanischen Hitze durchlassen. Sie bilden für ungefähr zweihundert Meilen ein Archipel von unsagbarer Fruchtbarkeit und Schönheit.


[354]

Unendliche Schwärme von Vögeln aller Größe und Farbe, (Ibisse mit weißen und schwarzen Federn und einem langen, gebogenen Schnabel, weiße Pelikane mit majestätischem Hals, Papageien mit goldenen Federn, Königsadler und Wildenten, Abusin und Königskraniche, Abumarcub und Aghiron und Marabus etc. etc.) fliegen ohne Furcht hin und her und lassen sich auf den Zweigen nieder oder stehen am Ufer mit dem Kopf zum Himmel gewandt. Ja, es hat den Anschein, als ob sie den Gott der Flüsse und Wälder lobpreisen, der diese für sie geschaffen hat. Affen aller Art springen in dem Wald umher. Sie schwingen sich von Ast zu Ast, schreien, rennen zum Fluss, um zu trinken, bleiben stehen. Riesige Krokodile liegen faul am Ufern oder an einer sandigen Stelle ausgestreckt. Wenn wir an ihnen vorbeifahren, schleifen sie sich schwerfällig zum Fluss, in dem sie sich verstecken. Ungeheuer große Flusspferde erheben zu Hunderten ihre gewaltigen Köpfe aus dem Wasser und schnauben und stoßen brüllende Laute aus. Dabei stoßen sie bisweilen mit ihrem Rücken an unser Schiff und stürzen sich dann wieder mit Getöse in den Fluss.


[355]

O mein Lieber, ich weiß gar nicht, wie ich Dir auch nur eine annähernde Idee von dem wunderbaren Schauspiel geben soll, dessen Zeugen wir einige Tage lang bei den Baghara und Schilluk gewesen sind. Unsere Dahabiya [Schiff] glitt rasch auf den klaren Fluten dahin. Nur ab und zu fuhr ein Boot mit Afrikanern vorbei, die mit Lanzen bewaffnet waren. Wenn sie uns sahen, ergriffen sie gleich die Flucht oder versteckten sich unter den üppigen Zweigen der Bäume, die weit in den Fluss hereinreichen. Manchmal gehen sie sogar an Land und verstecken sich im Wald. Ab und zu gibt es auch ein Boot mit Baghara, die uns heimlich aus ihrem Versteck im Schilf beobachten. Sie haben immer die Lanzen in der Hand. Auch begegnen wir manchen Schilluk. Nachdem sie uns mit dem normalen Gruß „Gabbabah“ begrüßt haben, ziehen sie sich fluchtartig in den Wald zurück. Es war ein geradezu kurioses Spektakel, als wir auf einer Insel eine große Herde von Rindern sahen, die erschraken, als sie unser Schiff bemerkten und sich deshalb ins Wasser stürzten, um an das andere Ufer zu gelangen. Ihre Hirten versuchten vergeblich, sie mit ihren Lanzen daran zu hindern. Auf den Rücken ihrer Tiere durchquerten sie fluchtartig den Fluss.


[356]

Aber da plötzlich stößt unsere Stella Matutina auf eine Klippe. Und dann, kaum dass sie wieder flott war zum Weiterfahren, stößt sie bei der Furt Abuzeit leicht auf eine Sandbank. Dort ist nämlich der Fluss sehr breit und nicht tief. Die Männer der Mannschaft müssen in den Fluss steigen und sind gezwungen, mit der Kraft ihrer Schultern das Schiff voranzuschieben. Es ist unglaublich, welche Mühe und Anstrengung es die unermüdlichen Nubier kostet, das Schiff aus dem seichten Wasser zu ziehen, vor allem wenn sich die Untiefe auf einige Meilen hinzieht. Einmal kommen wir mit der Kraft des günstigen Windes gut voran, dann aber wieder sehr langsam wegen der Untiefen, weil wir immer wieder auf versteckte Sandbänke auflaufen. Inzwischen haben wir das weite Gebiet des Stammes der Baghara hinter uns gelassen und befinden uns bereits inmitten der Dörfer der beiden großen Stämme der Dinka auf dem rechten und der Schilluk auf dem linken Ufer des Flusses.


[357]

Baghara würde in unserer Sprache „Vaccai“ [Viehzüchter] bedeuten. Sie werden deshalb so genannt, weil diese Völker sich ganz besonders der Viehzucht widmen. Für sie versehen diese Tiere den gleichen Dienst wie bei uns die Zug- und Lasttiere. Sie liegen oft mit dem Nachbarstamm der Schilluk im Krieg. Diese wiederum haben nicht genügend Kühe, um die Heiraten zu bezahlen oder ihre Familien zu ernähren. Sie rotten sich zu großen kriegerischen Einheiten zusammen. Auf ihren schnellen Booten verstecken sie sich unter den weit ausladenden Zweigen der Bäume der nahe gelegenen Inseln und warten auf die Baghara, die ihre Herden zur Tränke führen. Hier fallen sie über sie her, laden die Tiere auf ihre Boote und verschwinden, ehe die unglücklichen Hirten Hilfe aus den nahen Lagern rufen können.


[358]

Die Baghara hingegen rächen sich dann manchmal dadurch, dass sie sie zu Sklaven machen und auf den Sklavenmärkten in Kordofan und Khartum verkaufen. Wir befinden uns also jetzt an der Seite des mächtigen Stammes der Schilluk. Diese sind immer mit einer Lanze und einem großen Stock aus Ebenholz bewaffnet. Sie sind gut gebaut, von hoher, bisweilen beeindruckender Statur. Viele führen Raubüberfälle aus. Den dritten Teil davon müssen sie dem König abgeben, der unsichtbar in einem Dorf nicht weit von Denab lebt. Das Dorf ist in Form eines Labyrinthes angelegt. Er selbst schläft nie zwei Nächte hintereinander in derselben Hütte. Über dieses Volk und seine Grausamkeit berichtet und schreibt man schlimme Dinge. Wir jedoch hatten dank der Hilfe Gottes nichts Böses von ihnen erfahren bei unserer Fahrt durch ihr Gebiet, obwohl sie Gelegenheit gehabt hätten, uns niederzumetzeln.


[359]

Es geschah vor allem kurz nach der Furt von Mocàca-el-Kelb, dass unser Schiff von einem günstigen Wind in eine schlammige Untiefe getrieben wurde. Den wiederholten Anstrengungen der Männer unserer Mannschaft gelang es nicht, das Schiff frei zu bekommen. Es war in der Nacht des 27. auf den 28. Januar. Wir sahen die brennenden Feuer der Schilluk am linken Ufer, die nichts tuend mit ihren Frauen herumstanden. Ihre Boote lagen am Ufer vor Anker. Auf der rechten Seite standen viele Dinka. Als sie unser Schiff sahen, verzogen sie sich landeinwärts. Fast noch mehr taten dies die Schilluk.


[360]

Am Morgen des 28. steigen die Männer unserer Mannschaft wieder in den Fluss und versuchen, das Schiff flott zu ziehen, aber ihre Versuche haben keinen Erfolg. So blieb uns nichts anderes übrig, als die nahen Schilluk zu Hilfe zu rufen. Der Kapitän ruft ihnen mit lauter Stimme zu, aber niemand rührt sich. Die Rufe werden mit großer Lautstärke wiederholt. Und siehe da, es löst sich ein Boot mit zwölf bewaffneten Männern vom Ufer. Und in weniger als fünf Minuten sind sie an Bord unseres Schiffes. Mit Schreien versuchen wir ihnen klar zu machen, dass wir gern ihre Hilfe in Anspruch nähmen, um das Schiff frei zu ziehen. Sie antworten, dass sie erst ans Ufer zurückkehren möchten, um mit dem Häuptling zu vereinbaren, wie viel sie für ihre Hilfsdienste verlangen sollen. Aus diesem Grund verlangten sie, dass zwei von uns als Geiseln mitgingen. Nach einem wiederholten Nein des Kapitäns erhielten sie einige Hand voll Glasperlen und versuchten dann, mit der Kraft ihrer Schultern das Schiff frei zu bekommen. Da sie aber für solche Operationen keine Erfahrung hatten, waren ihre Bemühungen erfolglos.


[361]

Also gab der Kapitän ihnen zu verstehen, sie möchten weitere Boote und andere Stammesbrüder rufen, sie würden einen guten Lohn erhalten. In weniger als einer Viertelstunde erschienen weitere drei Boote mit bewaffneten Männern, die ganz durcheinander und ohne Ordnung daran gingen, unserer Mannschaft zu helfen, das Schiff frei zu ziehen. Alle zusammen gingen fünfzig Mann ans Werk. Und siehe da, schließlich gelang es ihnen, das Schiff zu bewegen. Aber anstatt das begonnene Werk durch weitere Kraftanstrengung fortzuführen, blieben diese misstrauischen Männer stehen und verlangten ihren Lohn in Glasperlen. Wir zeigen ihnen die Glasperlen und ermutigen sie, weiter zu arbeiten. Aber sie weigern sich. Schließlich legten wir ihnen ihren Lohn in die Hände. Diese jedoch, als sie die Perlen in den Händen hatten, kehrten umgehend an das Ufer zurück, wo sie den erhaltenen Lohn unter sich aufteilten. Sie ließen uns ganz verlegen zurück. Unsere Männer der Mannschaft versuchten immer wieder, das Schiff zu bewegen, aber es half nichts. So verging der ganze Tag.


[362]

Gegen Abend hielten wir bei uns eine Art Sitzung, um zu beraten, wie wir das Schiff flott bringen können. Aber wir kamen zu keiner befriedigenden Lösung. Um ehrlich zu sein, unsere Situation war äußerst kritisch. Wir befanden uns inmitten von zwei kriegerischen Stämmen, von denen einer räuberischer und gefürchteter ist als der andere. Ein Teil des Stammes der Schilluk lebt von Raubzügen. Sie sind verpflichtet, ein Drittel der Beute ihrem König abzugeben, wie ich oben schon sagte. Dieser Stamm befindet sich ständig im Krieg. Die Schilluk werden sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen, ihre eigene Situation zu verbessern. Die vorbeifahrende Stella Matutina zieht als das schönste Schiff, das man im Sudan gesehen hat, eine große Zahl von Neugierigen an. Hinzu kommen die schaurigen Geschichten, die uns in Khartum über die Schilluk erzählt worden sind. Und nun sagt mir, was haben wir wohl in dieser Notsituation gedacht?


[363]

Die Idee, gefangen genommen, ausgeraubt und vor den hochmütigen König geführt zu werden, der sich einbildet, nach dem König von Abessinien der größte Monarch in der Welt zu sein, ließ uns fern aller Entmutigung davon träumen, unter den Schilluk eine Mission zu beginnen. Aber man braucht sich niemals zu fürchten, wenn jene mit heiliger Sorge über uns wacht, die sich Königin der Apostel nennt. Wie hätte diese unsere Mutter ihren Schutz verweigern und ihren vier Söhnen nicht zu Hilfe eilen können, die versuchen, sie unter diesen barbarischen Völkern bekannt zu machen und lieben zu lehren, dort, wo noch nie das Licht der Wahrheit geleuchtet hat und wo noch nie das Kreuz ihres göttlichen Sohnes aufgepflanzt wurde.


[364]

Am Morgen des folgenden Tages wenden wir uns erneut und voll Vertrauen an unsere große Mutter. Wir feien die hl. Messe in der sehr schönen Kapelle, die sich auf der Heckseite des Schiffes befindet und der Mutter Gottes geweiht ist. Dann denken wir nach und entscheiden. Hier ist die Lösung, durch die wir versuchen, das Schiff aus der Untiefe heraus zu ziehen. Mit den sechzehn großen Rudern des Schiffes, mit Tischen und Brettern und anderen Hölzern wurde ein Floss zusammengebaut. Es wurde ins Wasser gelassen und dann wurden die Kisten, die nicht wasserempfindlich sind, aus dem Schiff auf das Floss gesetzt, um das Schiff zu erleichtern. Mit vereinten Kräften gelang es der Mannschaft, es aus dieser sumpfigen Untiefe herauszuziehen. Dann wurde es gedreht und an eine tiefere Stelle gezogen. Dort wurden die Kisten mit unheimlicher Anstrengung wieder auf das Schiff geladen. Um fünf Uhr nachmittags, also 43 Stunden nach unserem gefährlichen Auflaufen auf der Sandbank, setzten wir mit der Freude jener, die einen Triumph erlangt hatten, die Segel. Dabei schauten uns eine große Schar Dinka zu, die sich am Ufer über unser Glück freuten.


[365]

Die Schilluk flohen also, und wir wussten nicht genau warum. Ungefähr eine Stunde später lief das Schiff erneut auf eine Sandbank auf. Aber unterstützt von einem günstigen Wind gelang es uns, es frei zu kommen. Öfter fährt die Stella Matutina auf irgendeine Klippe und weicht zurück. Öfter sitzen wir an der Reling oder auf einem Tisch, wenn sich das Schiff unvorhergesehen dreht. Wir fallen herunter und tagelang bleiben uns die Flecken an Knie, am Arm oder am Bein erhalten, die uns an diesen Moment erinnern.


[366]

Wir setzten unsere Reise entlang der Ufer der Schilluk fort. Nach einer Insel tauchte eine lange Reihe von Dörfern auf, eines nach dem anderen auf einer Länge von vier Meilen und nicht mehr als eine halbe Meile vom Ufer entfernt. Die Hütten sind gut gebaut in Form eines Zylinders aus Erde und Schilf. Das Dach ist aus Stroh und in Form eines sich verengenden Konus. Das Ganze bot einen herrlichen Anblick. Und jene Einfachheit, Gemeinsamkeit und ein wenig Handel, den sie mit Kordofan und mit Sennar betreiben, erweckte den Eindruck, dass die Bewohner dieser Hütten glückliche Menschen sein müssten. Aber sie sind es nicht, denn es fehlt ihnen die Kenntnis dessen, der die Quelle des wahren Glückes ist. Diese gewaltige Zahl von Dörfern bildet die große Stadt Kako, vor der wir Halt machten. Die Leute bemerkten unsere Ankunft und in weniger als zehn Minuten hatte sich eine große Zahl von Menschen vor uns eingefunden; es waren vor allem Frauen und Kinder. Sie brachten große Tongefäße mit, und andere trugen kleinere Gefäße aus Erde oder aus Kürbis, und Matten aus Stroh oder Schilf, Körbe mit Durrakorn, Bohnen, Sesam, Gemüse, Eier, Hühner und andere Objekte, die sie zum Verkauf anboten. In kürzester Zeit war das Ufer überfüllt mit Menschen, und ein beachtlicher Markt war entstanden.


[367]

Was den Anblick so anziehend machte, war die Vielfalt, die man in dieser Menge wahrnahm. Da gab es Personen der verschiedenen Rassen, die sich durch unterschiedliche Farben und an den Gesichtszügen erkennen. Da war der Schwarze Dinka und Schilluk, der bräunliche Afrikaner aus Kordofan, der braune Baghara, die Kupferfarbe der Abu-Gerid, der gelbliche Typ der Hassaniden. Zu all dem müsst Ihr euch noch die verschiedenen Arten vorstellen, wie sie sich schmücken und die Haut bemalen, vor allem das Gesicht und den Kopf. Hinzu kommen die Schreie, das Geschwätz, das Gedränge, das ständige Kommen und Gehen; dann habt ihr eine Idee, wie der Markt in Kako aussieht.


[368]

Nachdem unsere Mannschaft und unser Hausdiener einige notwendige Einkäufe getätigt hatten, verließen wir mit gemischten Gefühlen diese unglücklichen Menschen. Wir dachten an ihren bedauerlichen Zustand, in dem sie sich befinden, da sie das Licht der Wahrheit noch nicht kennen. Schon seit einigen Tagen war der Zauber der Natur vorbei, den ich vorher erwähnt habe. Das rechte Ufer des Flusses begann sich als wüstenartig zu zeigen. Nur auf der linken Seite erkennt man in der Ferne Akazien, Mimosen, Tamarinden, zu denen sich einige majestätische Doleb-Palmen gesellen, die entlang der Dörfer in den Himmel ragen. Es gibt auch einige Baobab-Bäume, die inmitten einer weiten Ebene stolz ihre Zweige ausstrecken.


[369]

Am Ufer zeigten sich weiterhin die bewaffneten Schilluk, die sich mit Asche bestreichen. Oder sie bemalen auf bizarre Weise ihr Gesicht oder ihren ganzen Körper mit einem mehr oder weniger kräftigen Rot. Die Haare bestreichen sie mit Asche und Lehm, so dass sie wie erschreckende Gespenster aussehen. Am 1. Februar glitten wir langsam dahin, weil wir wegen dem sehr starken Wind die Segel nicht ganz öffnen konnten. Wir sahen an uns eine ganze Kette von ungefähr dreißig Dörfern vorbeigleiten, die unter dem Namen Denab bekannt sind. Man sagt, dass eines davon, drei Meilen vom Flussufer entfernt, die Residenz des Königs der Schilluk sei. Er lebt, man bekommt ihn aber nicht zu Gesicht. Er verbringe nie zwei Nächte hintereinander im selben Raum oder in derselben Hütte, denn er fürchtet, von seinen Abweichlern ermordet zu werden.


[370]

Er glaubt, nach dem König von Abessinien der größte König auf dieser Erde zu sein. Deshalb gibt er niemandem Audienzen, außer dem König von Abessinien, der seinerseits ja gar nicht weiß, dass dieser Stamm existiert, noch sein König. Nur seine Frauen und einige seiner Minister, die den Auftrag haben, die Steuern einzutreiben, dürfen vor ihm erscheinen. Sie dürfen sich aber vor ihm nur auf den Knien rutschend und mit dem Gesicht zum Boden gewandt präsentieren. Die Schilluk sind hochgewachsene Gestalten, untersetzt, robust und kriegerisch. Sie tragen immer die Lanze und den Schild bei sich und sind immer bereit, sich in den Kampf zu stürzen und zu rauben. Genug zu diesem mächtigen Stamm. Auf der rechten Seite des Flusses, gegenüber dem großen Ufer der Schilluk, wohnen die Dinka. Obwohl intelligenter, sind sie doch schwächer als die Schilluk. Also halten sie sich so weit als möglich fern von den räuberischen und mörderischen Schilluk, die jede Art von Raub praktizieren. Vor allem handeln sie mit Frauen und Kindern. Sie verkaufen sie an die Giallaba, die sie als Objekte für den Handel in den Städten Nubien benutzen.


[371]

Die Dinka sind ein großer Stamm Afrikas. Sie unterscheiden sich leicht von jenen anderen Stämmen durch ihre breite und vorstehende Stirn, durch den flachen, zu den Schläfen hin abfallenden Schädel, den langen und mageren Körper. Ihre Sprache ist die in Zentralafrika am meisten verbreitetste Sprache am Bahr-el-Abiad. Es ist der Stamm, auf den wir von Europa aus am meisten ein Auge werfen.


[372]

Jetzt aber wollen wir vor allem eingehende Erkundungen unternehmen und dann wird zu seiner Zeit auch über den trockenen Schollen des noch völlig unbekannten Stammes der Dinka der Stern des Evangeliums leuchten. In der Nähe des Sobat machten wir in Huae Halt, um einen Ochsen zu kaufen. Der Häuptling dieses Ortes wurde von uns eingeladen, aufs Schiff zu kommen. Er kam zögerlich und voller Furcht. Wir empfingen ihn mit allen nur erdenklichen Zeichen der Freundschaft. Davon schien er sich überzeugen zu lassen. Er trat in unseren Raum ein, schaute ganz erstaunt in der Runde herum und lief mit erhobenen Armen umher. Wir zeigten ihm auch die schön geschmückte Kapelle. Er schien von ihr fast magnetisiert. Und ganz überwältigt hielt er sich die Hände vors Gesicht und zog sich zurück. Wir führten ihn vor einen Spiegel. Man kann es nicht beschreiben, welche Gesten und Grimassen er schnitt, welche Schreie er ausstieß und in was für ein Gelächter er ausbrach, als er sich vor dem Spiegel sah.


[373]

Nachdem er so viele sonderbare Dinge erlebt hatte, ist er sicherlich so verwundert von uns gegangen, dass er wohl glauben musste, vom Himmel gekommen zu sein. Wir fuhren von dort weiter, indem wir die Segel setzten, und kamen noch in dieser Nacht an der Mündung des Sobat vorbei. Er ist ein beachtlicher Nebenfluss des Weißen Flusses und sicherlich größer als unser Po in Italien. Sein Ursprung ist unbekannt. Man weiß nur, dass er vom 5. Grad an parallel in östlicher Richtung zum Weißen Fluss herabkommt, dem er (mit seinen Wassern) Tribut zahlt. Und genau an dieser Einmündung macht der majestätische Bahr-el-Abiad eine perfekte Wende nach Westen für eine Strecke von hundertfünfzig Meilen. (9. Längengrad 15 Minuten). Und dieser Teil ist flankiert auf der linken Seite von dem Stamm der Gianghèh und auf der rechten von dem großen Sumpfgebiet der Nuer. Um dieses Gebiet herum fuhren wir 350 Meilen. Bei diesem kurzen Vorbeifahren sahen wir eine Herde von riesigen Elefanten, die an den Fluss zur Tränke gekommen waren und jetzt in den Wald zurückkehrten.


[374]

Wir sahen Tausende von Büffeln von der Größe eines Rindes. Sie flohen, als sie uns vorbeifahren sahen. Es sah aus, als ob ein ungeordnetes Heer sich in die Flucht stürzte. Nach einer Stunde zerriss der Wind das Hauptsegel, so dass wir gezwungen waren, in der Nähe einer Insel mit über dreihundert Flusspferden zu halten. Sie machten uns mit ihrem gewaltigen und bedrohlichen Brüllen fast taub.


[375]

Nachdem die Mannschaft das Segel wieder geflickt hatte, brachen wir gegen Abend auf. Am folgenden Morgen befanden wir uns in der Mündung des majestätischen Flusses Ghazàl, dort wo er sich mit dem Weißen Fluss vereinigt. An der Ecke, wo sie zusammenfließen, bildet sich ein wunderschöner See, dessen Ufer grün sind von Schilf und Papyrusstauden, die in den Wellen schaukelnd der wohltuenden Stille eine bezaubernde Schönheit verleihen. Ich erwähnte Papyrus. Ihr kennt es sehr gut, weil es in der Antike die Menschen zum Schreiben benutzten. Der Stamm dieser Pflanze hat eine Höhe von fünf bis sieben Fuß, er ist eher dreieckig als zylindrisch. An der Wurzel ist er so dick wie drei Finger, oben ist er mehr als ein Finger dick. Er wird gekrönt von einem grünen Federbusch, so grün wie das Zuckerrohr, ganz ähnlich unserem Fenchel. Daneben sahen wir auch ganze Inseln voll mit Wäldern und diesen Papyrusstauden. Sie scheinen die Nähe des Wassers und sumpfige Flächen zu lieben.


[376]

Der Rest unserer Reise verlief eher langweilig, vor allem weil wir wegen der vielen großen Flusswindungen nicht recht vorankamen. Dadurch hatten wir immer wieder Gegenwind, so dass die Mannschaft gezwungen war, die Seile zu nehmen und das Schiff zu ziehen. Der Anblick der Ufer wurde immer trauriger und armseliger. Die wunderschönen Ambai- und Papyrus-Wälder wurden immer weniger. Es kamen immer mehr endlose Flächen, die mit trockenem und verbranntem Schilfrohr bedeckt waren. Am Abend betrachteten wir die berühmten nächtlichen Feuer. Die Nuer brennen nämlich riesige Flächen von Schilfrohr und dürres Gras nieder, um neues Land zur Aussaat vor der Regenzeit zu gewinnen. Der dichte und viele Rauch, der vom Wind getragen wurde, bedeckte die Pflanzen des ganzen Waldes und erweckte den Eindruck einer weit entfernten Bergkette, die als Krone am düsteren Horizont aufragt. Die Flammen des entzündeten Feuers erheben sich bald majestätisch, bald werden sie klein und kriechen am Boden wie kleine Wellen dahin auf der Suche nach neuem Zunder. Wenn sie diesen in den Schilfflächen erreicht haben, erheben sie sich noch gewaltiger und ausgedehnter, zischen und knistern und lodern schreckenerregend.


[377]

Wir haben mehrere Nächte lang dieses wunderbare Spektakel erlebt. Davon können sich wahrscheinlich nur die modernsten Kriegshelden eine blasse Vorstellung machen, die den Brand Moskaus erlebten. Mir kam es vor, als ob sich der Gott der Heerscharen vom Himmel herabneigte und umhüllt von nebligen Wolken die Blitze seines göttlichen Zornes vom Himmel her auf seine Feinde schleuderte. Die Monotonie dieser Reise jenseits des Ghazal wurde von Zeit zu Zeit unterbrochen von gewaltigen Schwärmen von Millionen und Abermillionen Vögeln, die bei ihrem Vorbeifliegen für einen kurzen Augenblick sogar das Licht der Sonne verdunkelten, ganz ähnlich, wie wenn an einem schönen Nachmittag ein Gewitter heranzieht. Dann gibt es die gewaltigen Schwärme von Königspelikanen und Ibissen, die zu Tausenden am Ufer erscheinen und mit ihrem wenig erfreulichen Gekreische und Geschnatter einen ohrenbetäubenden Lärm verursachen. Ich möchte nicht verschweigen, dass wir auf einer Länge von drei Meilen an Wäldern von Ebenholz vorbei fuhren, die überfüllt waren von Ibissen.


[378]

Zu den wunderbaren Dingen, die wir sehen konnten, gehörte auch eine große Herde von Hunderten von wilden Büffeln, die bei unserem Vorbeifahren aufgeschreckt wurden und über die weite Ebene dahin stürmten. Dabei wirbelten sie die graue Asche des verbrannten Schilfes auf, so dass der Horizont verdunkelt wurde. Außerdem war es hier am 8. Grad, wo wir die meisten Flusspferde gesehen haben. Es war ein beeindruckender Anblick. Hunderte von gewaltigen Flusspferden, die ihre Mäuler aufrissen, dunkle Laute ausstießen, ihre großen Köpfe aus dem Wasser streckten und wieder untertauchten, und dabei brachten sie das Wasser in stark wirbelnde Bewegung, ganz ähnlich, wie wenn im Meer ein Sturm hereinbricht. Manchmal näherten sie sich in bedrohlicher Weise und manchmal ließen sie unser Schiff über ihren Rücken gleiten, so dass dieses von ihren gewaltigen Rücken erschüttert wurde. Das Flusspferd ist ein unförmiges, riesiges Tier. Es ist ungefähr viermal so groß wie bei uns ein Rind. Es hat einen Kopf, in Proportion ähnlich wie ein Stier, enorme und harte Zähne, am größten sind die Hauzähne, bisweilen unproportional groß, und ganz weiß. Die Form des übrigen Körpers erinnert an ein Schwein, auch wenn es nur am Schwanz borstig ist. Es hat eine glatte Haut. Diese ist zwei oder drei Finger dick. Sie ist also von einer Lanze, einer Harpune oder einem Geschoss kaum zu durchdringen; nur an gewissen Partien des Maules ist das möglich. Sein Grunzen hört sich an wie in der Ferne abgegebene Pistolenschüsse. Das Grunzen ist laut, dass es an den Ufern widerhallt. Es ist schon aus der Ferne zu hören. Wenn es aus dem Wasser auftaucht, erscheint die Bewegung seines Kopfes und seines Halses wie die eines Kampfpferdes im vollen Lauf. Vielleicht war das der Grund, warum man es Flusspferd nennt.


[379]

Ich habe einige von den Afrikanern gefangene Flusspferde gesehen. Außer den Harpunen, die sie bei der Jagd dieser gewaltigen Bewohner des Weißen Flusses benutzen, machen die Schwarzen ganz tiefe Gruben und bedecken sie mit Zweigen und grünem Laub. Dann warten sie, bis das Flusspferd in der Nacht zum Weiden an Land kommt. Während es nun glaubt, reichlich Futter gefunden zu haben, fällt es erbärmlich in die Grube, in der eine gute Anzahl von Schwarzen das unglückliche Opfer mit ihren Harpunen und Lanzen tötet.


[380]

Der riesige Stamm der Nuer, der sich zwischen der Mündung des Bahr-el-Ghazal bis zum 7. Grad ausbreitet, umfasst außer der oben erwähnten Insel auch noch einen großen Teil des Landes westlich des Flusses. Und genau an diesem Ufer, bei Fandah-Eliab, war es, wo wir ein noch eigenartigeres Erlebnis hatten als in Kaco. Die Nuer pflanzen Durrakorn und andere Hülsenfrüchte an, um damit mit ihren Nachbarstämmen Handel zu treiben. Auch wenn sie kleiner als die Dinka und die Schilluk sind, sind sie besser ernährt und untersetzt. Sie sind weniger faul und nicht so bequem, dafür beweglicher und klüger [cleverer]. Durch ihren Handel sind sie etwas reicher und können sich deshalb für die vielfältigen bizarren Weisen, sich zu schmücken, mehr leisten. Auch wenn sie alle nackt herumlaufen, tragen sie doch verschiedene Halsketten und Armbänder und Ringe an den Füßen und kleine Ringe an den Ohren. Darüber hinaus reiben sie sich den ganzen Körper mit Asche ein und bemalen sich das Gesicht und die Schläfen mit seltsamen Farben. Die einen haben den Kopf kahl geschoren, die anderen tragen eine Binde oder eine Kette aus kleinen Muscheln um den Kopf, andere wieder ziehen das Haar hoch und färben es rot, oder sie ordnen das Haar in Form einer Krone auf dem Kopf. Manche setzen sich eine Art Perücke auf aus weißlichem Ton oder versteifen die Haare mit Asche. Und von dieser Perücke lassen sie nach hinten ein Gebilde wie ein gekrümmtes Horn abstehen, das zum Lachen anregt.


[381]

Bei den Frauen fällt der reichliche und sehr seltsame Schmuck auf. Außer den Schmuck, den auch die Männer benutzen, ausgenommen die Perücken, haben manche von ihnen ihre Tiger- und Ziegenfelle bestickt, die sie sich um die Hüften binden. Die Kupfer- oder Eisenblättchen, die daran befestigt sind, klingen dann beim Laufen, ähnlich wie bei uns im Karneval die Clowns mit ihren Glöckchen. Andere wieder schmücken sich die Ohren mit Dutzenden von kleinen Ringen, die sie in die Ohrläppchen hängen. Andere tragen lange Ringe aus Eisendraht, die von den Ohren auf die Schultern herabbaumeln. Wieder andere durchbohren sich die Oberlippe und ziehen einen Eisendraht durch, der eine Handbreit herunterhängt und an dem sie blaue Glasstückchen anbringen. Wenn sie nun sprechen, hüpfen diese Stücke je nach Bewegung des Mundes auf und ab. Stellt Euch also noch andere kuriose Dinge vor, die ich gar nicht mehr alle beschreiben möchte. Die Frauen erscheinen mir wie arme Seelen aus dem Fegfeuer und noch schlimmer.


[382]

So, jetzt reicht es. Ihr werdet schon müde sein vom Hören und ich vom Schreiben. Nachdem wir den Stamm der Nuer hinter uns gelassen und in das Gebiet des Stammes der Kich gekommen sind, hielten wir am 7. Längengrad an. Von hier aus schreibe ich. Aus den Beobachtungen, die wir angestellt haben, haben wir geschlossen, dass die bekannteste Sprache die der Dinka ist. Sie wird nicht nur von den Dinka gesprochen, sondern von vielen anderen Stämmen Zentralafrikas, wie den Nuer, Kich, Tutuit, Eliab, Arol, Giok etc. Hier, wo wir Halt gemacht haben, ist Heiligkreuz. Hier lebt ein Missionar aus Khartum. Und hier wollen wir uns bemühen, die Sprache der Dinka von den einheimischen Lippen zu erlernen. Zugleich aber werden wir weitere Erkundungen durchführen. Und dann gehen wir zu den Stämmen, die uns am geeignetsten erscheinen, um das Kreuz Christi aufzupflanzen.


[383]

Ich hoffe, Ihr erfreut Euch guter Gesundheit, so wie wir hier alle. Ich grüße Euch im Namen meiner Gefährten und vor allem im Namen von Don Oliboni. Mit ihm gehe ich manchmal am Abend in den Wald, um Flechten zu suchen für den würdigsten Herrn Professor Massalongo. Diese Beschäftigung dient uns als kleine Erholung nach den täglichen Anstrengungen. Ich möchte Euch auch noch sagen, dass mir das Andenken, das Ihr mir in dem Traktat über Medizin von Buscan hinterlassen habt, sehr nützlich ist. Ich nehme es oft zur Hand. Ich kann es nicht durchblättern, ohne an meinen lieben Freund Benedikt und seine liebenswürdige Familie zu denken.


[384]

Lebwohl, mein Freund! Ich hätte noch vieles zu sagen. Aber die Müdigkeit hat mir alles aus dem Gedächtnis genommen. Und dann ist es auch etwas umständlich, hier zu schreiben, denn hier gibt es weder Tische noch Stühle, noch Schreibtische, wie Ihr sie habt. Hier muss man sich auf den Boden kauern unter einem Baum oder, wenn man kann und es Licht gibt, dient eine Kiste als ein praktischer Schreibtisch. Entschuldigt bitte all jene Ungenauigkeiten, die Euch das Lesen meines Briefes erschweren werden.


[385]

Setzt Eure Brille auf und achtet darauf, dieses Blatt nicht zu lesen, ohne neben Euch eine jener Margeriten zu stellen, – als Tonikum für den Magen und Stärkungsmittel – die Ihr voriges Jahr nach der Prozession der Virgen del Carmen zu Ehren des großartigen Professors Massalongo und des liebenswürdigen Don Bortolo zur Schau gestellt habt. Genug! Meine herzlichen Grüße an Euch alle. Und wisst, dass ich nie aufhöre, Euer Euch ergebener Freund D. Daniel Comboni zu sein.

Euer ergebenster

D. Daniel Comboni


[386]

PS: Mit diesem Brief hatte ich nicht die Absicht, Euch eine ausführliche Beschreibung meiner Reise auf dem Weißen Fluss zu geben und auf all das zu sprechen zu kommen, das Objekt unserer Beobachtung war. Das würde viel zu weit führen. Ich wollte Euch nur eine Idee davon vermitteln. Über den Stamm, bei dem wir uns im Moment befinden, sage ich Euch nichts. Ich möchte erst Erfahrungen über diesen Ort sammeln. Dann werde ich Euch gewichtigere Informationen über diese bestialischen Bräuche geben. Außerdem, bis jetzt habt Ihr mich nur als einfachen Reisenden in Zentralafrika mit Euren Gedanken begleitet. Von jetzt an werdet Ihr mich als Missionar sehen und werdet Nachrichten von mir als Missionar erfahren, so hoffe ich. Lebwohl, mein Lieber. Als Arzt werdet Ihr sicher wissen wollen, welche Krankheiten hier vorherrschen in diesem von Vater Ham verfluchten Land. Ich erlaube mir noch kein Urteil, weil es das Gegenteil wäre von dem der Reisenden.


[387]

Sie sagen nämlich, dass es in Afrika nur Fieber, Ruhr und Skorbut gibt. Arme Kerle! Auch in Europa gibt es nichts als Fieber. Auch der ethische Mensch stirbt an Fieber; wer an einer Herzmuskelentzündung leidet, stirbt an Fieber; wer an Hepatitis leidet, stirbt an Fieber, denn das Fieber begleitet all diese Krankheiten. Aber welches sind die Ursachen, die diese Fieber hervorrufen? Sicher, es ist die Schwindsucht, die Hepatitis etc. Ihr könnt Euch also vorstellen, wie mir zu Mute ist, aber ich brauche erst noch längere Erfahrung, um mir ein Urteil zu erlauben. Mein Urteil werde ich Euch dann mitteilen, so Gott mir das Leben gibt.

Grüßt mir herzlich D. Battistino, D. Bortolo, den Professor Massalongo und alle.

Euer ergebenster

D. Daniel

Apostolischer Missionar
 


[388]

Grüßt mir ergebenst die hoch verehrte Frau Marietta, Frau Angelina, Herrn Giovanni Horetzki.


36
Dott. Benedetto Patuzzi
0
dai Kich
27. 3.1858
[389]

als ich den beigefügten Brief schrieb, erfreuten wir uns alle bester Gesundheit. Wer hätte sich gedacht, dass der Robusteste von uns in wenigen Tagen nicht mehr bei uns sein und uns im Schmerz zurück lassen würde. Don Francesco Oliboni, der mir noch vor wenigen Tagen aufgetragen hatte, Sie zu grüßen, wurde von einer starken und verschleppten Gastritis erfasst, die mit einer diskreten Entzündung der Brust [Anmerkung: Lungenentzündung?] verbunden war. Diese beiden Krankheiten hatten sich zu einem entscheidenden Übel verbunden. Gestern Nachmittag gegen fünf Uhr entschlief er ganz Gott ergeben und zufrieden. Wir spüren die Schwere dieses Verlustes, denn er war für die Mission eine große Hilfe.


[390]

Aber Gott sei tausend Mal gebenedeit. Wir aber, weit entfernt davon, den Mut zu verlieren, werden keine Mühen und Anstrengungen scheuen, um an der Bekehrung Afrikas mitzuwirken und um den großen Plan unseres Superiors zu verwirklichen. Dieser Plan ist das geeignetste Mittel, dieses Volk aus der Finsternis und aus dem Schatten des Todes herauszuführen, über dessen Haupt noch der flammende Fluch des ältesten der Patriarchen über die Söhne Hams hängt, auch wenn man dieses Mittel hier vor Ort überdenken muss.


[391]

Ich kann mir gut vorstellen, dass es wegen dem Tod unseres Mitbruders Don Francesco Oliboni in Verona Gerede geben wird. Es wäre besser gewesen, – werden sie sagen – wenn er als Professor geblieben wäre und seine siebenhundert Fiorini im Jahr verdient hätte, als nach Afrika gegangen zu sein, um dort sein Leben zu verlieren. Wer weiß, was sie nicht alles noch sagen werden! Die Welt muss halt auf ihre Weise schwätzen. Nachdem die Dinge sich ereignet haben, redet man von dem, was man vorher hätte tun sollen. Ja, da ist es leicht reden (im Nachhinein). Aber wir argumentieren auf eine ganz andere Art und Weise.


[392]

Gott, der das Schicksal des Menschen lenkt, hat ihn nach Afrika gerufen und wollte, dass er nichts für die Mission getan hat. Er hat uns über zehn Jahre lang nachdenken lassen, hat um Rat gefragt etc. und ist dann aus dieser Welt geschieden mit einem Lächeln auf den Lippen und mit Freude im Herzen und hat dem Himmel gedankt, dass er ihn für würdig gehalten hat, für Christus zu sterben. Der Herr sei gelobt in Ewigkeit.


[393]

Ich hätte Euch viele Dinge zu erzählen. Aber der Tod unseres Don Checco [gemeint ist Francesco Oliboni] hat meinen Schultern eine gewaltige Last aufgeladen. Ich trage sie aber bereitwillig. Ihr aber werdet mich entschuldigen und verstehen, dass meine Seele im Moment ein wenig durcheinander ist und mein Gedächtnis schwächt. Der erste, der von Krankheit erfasst wurde, war ich selbst beim Stamm der Schilluk auf dem Schiff. Es war ein hohes Fieber. Aber Gott hat mich davon befreit. Der zweite war Don Francesco und der starb. Der dritte war Don Beltrame, aber der ist momentan wohlauf. Der vierte war unser Künstler, der sich jetzt auf dem Weg der Besserung befindet. Wir alle sind vom afrikanischen Klima gezeichnet. Aber der Herr sei gepriesen. Euch geht es sicherlich gut, auch Eurer Familie und der liebenswürdigen Frau Annetta.


[394]

Ich hatte die Absicht, dem sehr verehrten Don Bortolo zu schreiben, aber im Moment ist es mir nicht möglich. Überbringt ihm meine ergebensten Grüße. Wenn Ihr mir schreibt, frankiert die Briefe nicht, denn unser Prokurator muss sie sowieso in Khartum bezahlen. Auch ich frankiere sie nicht, denn es wird auf alle Fälle Euch treffen, das Porto zu bezahlen. In dieser Übereinstimmung schreibt mir also häufig, vielleicht, wenn Gott es Euch eingibt, jedes Mal, wenn ein Dampfer von Triest am 10. und 27. jeden Monats abfährt.

Lebwohl, mein Lieber. Seid überzeugt, dass ich immer Euer ergebenster

Don Daniel Comboni

bin.


 


37
Don Pietro Grana
0
dai Kich
27. 3.1858

Nr. 37 (35) AN DON PIETRO GRANA

ACR, A, c. 15/40

Beim Stamm der Kich, 27. März 1858

Mein lieber Don Pietro,

[395]

als ich den beigefügten Brief schrieb, waren wir alle kräftig und gesund. Wer hätte je gedacht, dass uns seit gestern der Kräftigste unter uns fehlen würde? Nachdem er zehn Jahre in diesem gesegneten Afrika gelebt hat, ist Don Francesco Oliboni Opfer seines ersten Fieberanfalles geworden. Der Herr sei gelobt für immer. Er starb voller Ergebung und mit jener Freude, die auf dem Antlitz eine Menschen leuchtet, der weiß, dass er zum ewigen Hochzeitsmahl im Paradies zugelassen wird. Der erste, den das Fieber befallen hatte, war ich. Aber dank der Hilfe des Himmels und mit vorbeugenden Maßnahmen habe ich Fieberanfälle bereits mehr als dreimal überstanden.


[396]

Der zweite war Don Oliboni, der dritte Don Beltrame. Ich fürchte, dass er mehrere Monate unter dem Fieber zu leiden haben wird, auch wenn er sich schon daran gewöhnt hat. Der vierte ist unser Handwerker, der gerade dabei ist, sich davon zu erholen. Der Herr sei gelobt. Ich wünsche mir Nachrichten darüber, wie es Ihnen geht. Der Herr schenke Ihnen Gesundheit, er segne Sie und Ihre geliebte Herde [gemeint ist die Pfarrgemeinde]. Das sind die Wünsche Ihres treuen Freundes

D. Daniel


 


38
Suo padre
0
dai Kich
29. 3.1858
[397]

allen, denen ich bis zum 26. des Monats schrieb, habe ich wahrheitsgemäß versichert, dass wir uns alle bester Gesundheit erfreuen. Und dafür danken wir dem Himmel. Jetzt muss ich aber die Szene wechseln und eine andere Sprache anwenden, denn der Herr, der Gott der Barmherzigkeit, hat wirklich damit angefangen, uns als seine wahren Diener und Apostel zu behandeln. O, der Herr sei gelobt in Ewigkeit.


[398]

Ich muss gestehen, dass ich der erste war, der von dem furchtbaren afrikanischen Fieber befallen wurde. Es war auf dem Schiff im Gebiet der Schilluk. Nach sechs Tagen war ich aber wieder gesund. Ich gestehe, dass auch Don Giovanni und der Schmied Isidoro vom Fieber befallen wurden. Aber auch sie haben es glücklicherweise überwunden. Wir hatten wirklich Glück, während viele Missionare der Gesellschaft Mariens beim ersten Fieberanfall, der meistens fatal ist, starben. Gott aber hat es gefallen, uns intensiver zu besuchen.


[399]

Erschreckt nicht, lieber Vater! Die gute Seele des Don Francesco Oliboni ist zu Gott heimgekehrt, für den er seinen Vater, einen der bedeutendsten Lehrstühle des Lizeums in Verona und seine Heimat verlassen hatte. Der Herr sei gelobt in Ewigkeit. Am Nachmittag des 19. März, Fest des Hl. Josef, spürte er zunehmende Kopfschmerzen und ein ungewöhnliches Unwohlsein im Magen. Es schien unbedeutend zu sein. Nachdem er etwas Magnesium und Tamarinde genommen hatte, fühlte er sich etwas wohler. Am 20. hatte sich sein Zustand aber noch nicht wesentlich verbessert. Er entschloss sich, etwas Rizinus-Öl zu nehmen. Danach fühlte er sich erleichtert. Aber sein Pulsschlag und sein Atmen gefielen mir gar nicht. Vom 19. März an spürte er, dass er tatsächlich sterben müsse. Er regelte alle seine Angelegenheiten so, als ob er am nächsten Tag sterben würde. Am 22. wurde er von heftigen Fieberanfällen geschüttelt, so dass die letzte Stunde gekommen schien. Als er sah, dass sich sein Zustand so verschlechterte, bat er um die Sterbesakramente.


[400]

Am Morgen hatte er gebeichtet und die hl. Kommunion empfangen. Bevor er aber die Krankensalbung empfing, richtete er an uns, die wir um sein Krankenlager versammelt waren, mit der ihm eigenen Intelligenz und Beredsamkeit und mit der Kraft, die ihm der Geist Gottes kurz vor dem Tode schenkte, eine kleine Ansprache. Er empfahl uns, stark und tapfer zu bleiben in dem großen Unternehmen, den großen Plan des Superiors zu verwirklichen, den Oberen zu lieben und seinen Anweisungen zum Ruhme Gottes nachzukommen, und keine Mühe zu scheuen, Seelen für den Himmel zu gewinnen etc. etc.


[401]

Gott befohlen, sagte er. Wir werden uns auf dieser Erde nicht mehr sehen, aber ich werde im Geist immer mit Euch verbunden sein. Ich werde bei Gott für Euch beten, für unsere Mission, und wir werden immer unzertrennliche Brüder im Geiste sein. Gott befohlen! Dann empfing er bei vollem Bewusstsein die Krankensalbung und dabei antwortete er auf die Bitten des Ritus der Krankensalbung. Danach wich das Fieber allmählich, und innerhalb von zwei Stunden fühlte er sich recht wohl. Er hatte in seinem Leben nie einen Aderlass erlebt, und deshalb ging er auch nicht auf unsere Bitten ein, einen Aderlass durchzuführen. Er meinte nämlich, dass er ihn nicht überstehen würde. Als er sich am 22. nicht wohl fühlte, bat er selber um den Aderlass, zuvor aber wollte er die Krankensalbung [noch einmal] empfangen. Ich kannte ihn gut und wusste, dass er seit einiger Zeit an einer Entzündung in der Brust litt, die er sich bei den Anstrengungen der Reise geholt hatte. Außerdem litt er seit Jahren an einer Gastritis. Ich stimmte also seinem Wunsch zu, auch wenn es schon zu spät war. Gleich nach dem Aderlass spendete ich ihm die Krankensalbung. Danach wich das Fieber langsam. Am Morgen des nächsten Tages nahmen wir den zweiten Aderlass vor.


[402]

Den 23. März verbrachte er recht gut. Und wir wollten es einfach nicht wahrhaben, dass er sterben müsse. Aber er sagte: „Ich muss sterben.“ Am 24. wurde er erneut von einem noch heftigeren Fieberanfall als am 22. befallen. Gegen Abend erteilten wir ihm den päpstlichen Segen. Danach fühlte er sich wieder etwas besser, aber das Fieber wich nicht mehr, sondern befiel ihn noch intensiver. Ich versuchte alles, was die medizinische Kunst in einem solchen Fall anrät. Sein Krankheitszustand schwankte auf und ab. Am 26. schien er alle nur erdenklichen Übel ertragen zu müssen. Aber wie soll man hier Erleichterung schaffen, das Fieber senken, wenn man kein Eis zur Verfügung hat, das mir geholfen hätte, das Fieber zu senken.


[403]

Gott rief ihn zu sich. Wir waren voller Trauer und begannen, ihn dem Herrgott zu empfehlen, auch wenn uns sein Verlust großen Schaden zufügte. Das große Unternehmen, das uns Gott anvertraut hatte, musste nun auf den kranken Schultern von drei Mann ruhen. Aber Gott vermag alles. Er sei gelobt. Während sich gegen Mittag sein Zustand verschlechterte und während wir drei ihm beistanden, fiel er ins Delirium. Zwei Stunden verblieb er so. Dann fiel er in den Todeskampf. In Gegenwart von uns dreien und nach vielen Zuwendungen, die wir ihm gaben, nach vielen Tränen, die wir vergossen, gab er um 16.00 Uhr nachmittags im Alter von 33 Jahren weniger drei Tagen Gott am 26. März seine Seele zurück.


[404]

Vollkommene Ergebung, lebendiger Glaube, unerschütterliches Vertrauen, bewundernswerte Frömmigkeit, tiefe Sehnsucht, sich mit dem unsichtbaren Gott vereinigen zu können, das waren die Gefühle und Empfindungen, mit denen er sich auf den letzten Gang vorbereitete. Wer ihn lebend gekannt hat, wer um seine Fähigkeiten und Tugenden wusste, die ihn auszeichneten, der kann sich den Schmerz und den Verlust vorstellen, den uns sein Tod gebracht hat. Es geschehe jedoch der göttliche Wille in Ewigkeit.


[405]

Er hat nie mehr als drei Stunden in der Nacht geschlafen, den Rest benutzte er zum Gebet und zur Meditation. Er fastete hart. Er durchquerte die ganze Wüste Nubiens und trank dabei am Morgen nur einen einfachen Kaffee ohne Zucker. Am Abend nahm er nur das Abendessen ein, ohne Wasser zu trinken oder sonstige Nahrung zu sich zu nehmen. Außer dem Breviergebet betete er jeden Tag die Bußpsalmen, die Gradualpsalmen, das Breviergebet des Werktages, ganz abgesehen von den Gebeten, die er mit uns betete. Er war der Friedfertigste unter uns, immer gütig, immer freundlich, alles in allem ein Heiliger. Ja, er hatte das Glück, so zu sterben, wie Jesus Christus geboren wurde, nämlich in einem Stall. Als wir zu den Kich kamen, wurde uns nichts anderes angeboten als ein Stall, der sonst den Kühen als Unterkunft dient. Dort hausten wir alle fünf seit dem 18. Februar bis zum 26. März.


[406]

Am Morgen des 27. März haben Don Angelo und ich ihn gewaschen, angekleidet, in den Sarg gelegt und den Sarg zugenagelt. Nach dem Requiem haben wir ihn zum Grab begleitet, das wir im nahen Wald haben ausheben lassen. Eine kurze Lebensbeschreibung gaben wir in eine gut verschlossene Flasche und diese wiederum in eine größere Flasche, ebenfalls gut verschlossen. Dann begruben wir ihn und stellten ein Kreuz auf sein Grab. Nach einigen Nächten haben Hyänen zweimal die Erde bis auf den Sarg weggescharrt, um den Leichnam zu fressen. Da aber der Sarg aus gutem Holz war, konnten sie nichts ausrichten. Es ist also einer unserer Brüder gestorben, lieber Vater, aber sein Tod entmutigt uns nicht, sondern ermutigt uns vielmehr, mit umso mehr Mut zu dem großen Unternehmen zu stehen.


[407]

Zweifelt nicht, lieber Vater, ich bin Missionar geworden, um mich für die Ehre Gottes abzumühen und mein Leben für das Wohl der Seelen einzusetzen. Auch wenn ich alle meine Gefährten als Tote sehen würde, würde ich – sofern mir die Klugheit und andere Gründe nicht davon abraten – stark bleiben und alles dafür einsetzen, den großen Plan des Superiors [gemeint ist Don Mazza] zu verwirklichen. Ich verspreche Euch außerdem – und das ist eine Regel, die wir Missionare einhalten, – folgendes: Falls wir ganz offensichtlich feststellen, dass unsere Kräfte nicht ausreichen, um diesem Klima standzuhalten, werden wir mit einer Expedition zurückkehren, um uns in unserer Heimat abzumühen. Der Herr möge es fügen nach seinem Willen. Ihr aber bleibt inzwischen froh und macht euch keine Sorgen. Ein Opfer unter uns vier war vorauszusehen. Es geschehe Gottes Wille.


[408]

Wir haben den Häuptling des Stammes der Tuit rufen lassen, um ihn dafür zu gewinnen, uns in seinem Stamm niederzulassen zu dürfen. Wir haben ihm einige Geschenke überreicht und er sagte, wir könnten zu seinem Stamm gehen, wann immer wir wollen, auch in alle Hütten, außer in die seinen. Und warum willst Du, dass wir nicht in Deine Hütten gehen, fragen wir. Darauf antwortete er: In meinen Hütten ist ein Geist, der Menschen verschlingt. Wir werden ihn vertreiben, erklärten wir ihm. Das ist unmöglich. Er verschlingt alles. Wir werden sehen. Seit ich bei den Kich angekommen bin, habe ich mich medizinisch betätigt. Und wisst Ihr, welche Komplimente mir diese Menschen alle Augenblicke machen? Sobald die Schwarzen die Medizin getrunken haben, nehmen sie meine Hände und spucken in sie, dann spucken sie freundlich und graziös auf meine Schultern und Arme. Und als ich mich einmal dagegen wehrte, richtete eine Frau ihre Augen so starr auf mich, als ob sie mich fressen wollte. Das Anspucken ist bei diesem Stamm das deutlichste Zeichen ihrer Dankbarkeit. Hier gibt es eine Unmenge von Mücken, die sehr lästig sind, aber in der Regenzeit muss es noch viel schlimmer sein. Es ist erstaunlich, was für einen Schaden die Ameisen anrichten. Eine Hütte kann nicht länger als ein Jahr stehen, dann ist sie schon von den Ameisen zerstört. Am ersten Tag, als wir unsere Kisten in die Hütte stellten, kamen gleich die Ameisen und fielen über sie her. Wenn wir nicht mit großer Schläue ihre Nester, die sie zwischen den Hölzern anlegten, zerstört hätten, dann wären unsere Kisten jetzt schon aufgefressen. Ich kann Euch nur sagen, dass es in den großen Ebenen der Kich auf einer Fläche von mehr als vierhundert Meilen im Durchmesser Erdhügel gibt, die so groß sind wie die Zimmer, in denen Ihr wohnt. Sie sind von den Ameisen erbaut. Es sind Zehntausende und mehr, denn alle zehn Schritte ist ein solcher Hügel.


[409]

Was diesen Stamm betrifft, sage ich Euch, dass die Menschen sehr furchtsam, träge und überhaupt seltsame Typen sind. Ihre Ebenen haben einen sehr fruchtbaren Boden. Wären sie in der Hand einer europäischen Kolonie, könnte es das Paradies auf Erden sein. Aber sie bringen nur Dornen hervor, weil die Bewohner das Land nicht bebauen. Die Kich begnügen sich damit, unsagbaren Hunger zu leiden, statt zu arbeiten. Die Rinderherden gehören einigen wenigen Eigentümern. Die Kich selber leben nur von den Früchten der Bäume, die aber viel gröber sind als unsere Brombeeren. Bei dieser großen Hitze essen sie drei bis vier Tage nichts und dann sättigen sie sich mit den Früchten und von dem, was sie so nebenbei gestohlen haben. Seht, unter was für einer Misere jene leben, die noch nicht vom Licht des Glaubens erleuchtet wurden. Man sieht also immer diese Leute, die nichts tun und mit ihrer Lanze in der Hand herumstehen. Hier gibt es massenweise Spinnen und Skorpione. Ja, selbst am Tag, als Don Francesco starb, fiel vom Dach ein Skorpion auf mich und stach mir mächtig in den Finger. Ich nahm die Lanzenspitze, ritzte die Haut an der Stelle auf, wo er mich gestochen hatte, goss Ammoniak hinein und in zehn Minuten war ich geheilt. Ich muss Euch auch noch sagen, dass ich Milch sehr mag, sie nur sehr selten trinke, weil die unzähligen Kühe, die es hier gibt, kaum ihren Kälbern Milch geben können. Diese trinken eineinhalb Jahre lang Muttermilch. Der Grund dafür, so meine ich, ist das fehlende Gras. Alles ist voller Dornen. Und davon müssen sie leben.


[410]

Die Gewitter und Unwetter sind hier in Zentralafrika etwas Großartiges. Die Gewitter sind so gewaltig, dass sie sich in einem Moment zusammenbrauen, so dass sie sogar die Hütten und Bäume zu Boden werfen. In der Luft bilden sich rasch drehende Windhosen voller Staub in Form von Zylindern. Das mag jetzt genügen, lieber Vater. Betet zum Herrn für mich und uns. Gott wird Euch ganz gewiss segnen. Denkt daran, Gott segnet seine Knechte. Ihr gehört dazu, denn Ihr habt sein Kreuz angenommen. Umarmt es, drückt es an Eure Brust, küsst es, denn es ist der wertvollste Schatz. Sonst aber bleibt froh, ruhig, seid vergnügt. Ja, ich möchte, dass Ihr auch weiterhin das Instrument spielt, denn wenn ich nach Verona zurückkomme, sofern ich nicht sterbe, möchte ich Euch spielen hören.


[411]

Fünf Fieberanfälle habe ich überstanden. Um ehrlich zu sein, sie waren mir recht unangenehm. Aber es geschehe der Wille Gottes. Ich bitte Euch, seid froh, auch wenn ich Euch längere Zeit keinen Brief schreiben kann, weil es keine Gelegenheit gibt, ihn abzuschicken. Vielleicht ergibt sich eine Gelegenheit, wenn ein nubisches Schiff hier vorbeifährt. Aber das weiß ich nicht. Der Herr möge es fügen. Ich lese gern Eure Briefe, die Ihr mir seit Anfang an geschrieben habt, um mich bei guter Laune zu halten. Lest auch Ihr die meinen, die ich Euch bisher geschickt habe, so als ob Ihr sie eben erhalten hättet.


[412]

Ich verspüre eine große Freude darüber, dass Ihr Euch über meinen Besuch im Heiligen Land gefreut habt. Auch ich, lieber Vater, habe dieses geheimnisvolle Land in meiner Erinnerung. Mit meinen Gedanken wandere ich oft zu den heiligen Orten. Und gerade jetzt, in der Karwoche, habe ich all die Orte der Geheimnisse der Passion unseres Herrn Jesus Christus vor Augen.


[413]

Es reicht, dass ich Euch sage, dass man mit Worten die Gefühle nicht ausdrücken kann, die man empfindet, wenn man diese Orte betritt, die durch die Gegenwart des anbetungswürdigen Erlösers geheiligt wurden. Das möge nun genügen, lieber Vater. Lebt wohl! Seid froh, denkt an mich und daran, dass ich immer an Euch denke und an Euer großes Opfer. Lest die Briefe, die ich Euch schicke, und dann verschließt sie und schickt sie an den Adressaten weiter. Um die Portokosten zu sparen, habe ich viele Briefe nach Verona geschickt, von wo aus sie Euch erreichen werden.


[414]

Ich habe sie an Frau Rosina Faccioli in Sartori in Cittadella in Verona geschickt, die das Porto zahlen kann; und sie tut es ja auch gern. Den Rest habe ich an Euch geschickt. Es tut mir leid, dass es ein etwas dicker Brief geworden ist. Aber Gottes Wille geschehe. Lebt wohl, liebster Vater. Grüßt mir alle Verwandten und Freunde. Empfehlt mich dem Consigliere, dem Economo Spirituale etc. Diesen beiden schicke ich den heiligen Segen. Euch gebe ich tausend herzliche Küsse.

Euer Euch ergebener Sohn

Daniel Comboni

Apostolischer Missionar in Zentralafrika

PS: Nachträglich möchte ich Euch noch mitteilen, dass wir drei uns bester Gesundheit erfreuen. Wir hoffen, dass es auch in Zukunft so sein wird, denn die Regenfälle haben bereits begonnen. Bis zur Stunde habt Ihr Euren Sohn nur als einen einfachen Reisenden erlebt. In Zukunft werdet Ihr ihn als Missionar erfahren. Er wird Euch ständig mit Informationen über die Mission auf dem Laufenden halten. Lebt wohl!


 


39
Suo padre
0
dai Kich
20.11.1858
[415]

es sind schon sieben Monate vergangen, in denen ich Euch nicht schreiben und keine Zeile schicken konnte. Die Winde aus dem Süden hinderten die Schiffe der Kaufleute aus Khartum daran, über die undurchdringliche Barriere der Wälder vorzudringen, die die unter ägyptischer Herrschaft stehenden Gebiete in Nubien von den schwarzafrikanischen Stämmen trennen. Dort aber mitten drin befinden wir uns. Schließlich kam ein Dampfschiff, das schon 1857 von Kairo abgefahren war, als wir noch in Alexandria (Ägypten) waren. Es stand unter der Leitung von Herrn Lafarque, einem französischen Händler der Elfenbeinküste. Er befuhr zum ersten Mal die berühmten Gewässer des Weißen Flusses. Er brachte uns ein größeres Päckchen mit Briefen aus Europa. Unter ihnen war auch Euer Brief, in dem Ihr mir vom Tod meiner Mutter berichtet habt.


[416]

Ach, gibt es meine Mutter nicht mehr? Hat der unerbittliche Tod den Faden der Tage meiner guten Mutter abgeschnitten? Jetzt seid Ihr ganz allein, nachdem Ihr einmal sieben Kinder um euch gesehen habt, die von derjenigen liebkost und geliebt wurden, die Gott Euch als untrennbare Gefährtin Eurer Tage gegeben hatte. Ja, durch Gottes Barmherzigkeit ist es so. Der ewige Gott, der es so gefügt hat, sei gepriesen. Die göttliche Vorsehung sei gepriesen, die sich gewürdigt hat, uns auf dieser Erde der Verbannung und der Tränen zu besuchen.


[417]

Oh, mein herzlich geliebter Vater, mit welchen Worten müssten wir der göttlichen Barmherzigkeit danken, die trotz unserer Schuld sich würdigt, auf uns zu schauen, uns zu besuchen, uns mit Wohltaten zu überhäufen? … Meine Seele war überaus getröstet, als sie von Eurer Ergebung in den göttlichen Willen las, der Euch von dem getrennt hat, was Euer Glück in dieser Welt war. Ich weiß, dass in gewissen Momenten menschlicher Schwäche Ihr dem Druck der Melancholie zu erliegen droht, aber ich bin auch überzeugt, dass die Gnade des Herrn, die wertvolle Hilfe der Unbefleckten Jungfrau Maria, die wohltuenden Worte jener Personen, die Euch menschliche Zuwendung schenken, Euch aufrichten und zu den nobelsten Gedanken bewegen und Euch ermutigen werden, jene göttliche Hand zu preisen, die sich wohlwollend würdigte, Euch zu besuchen.


[418]

Gott sei Dank, dass meine Gedanken mit den Euren glücklicherweise übereinstimmen. Gott hat uns diese gute Mutter und Frau gegeben; Gott hat sie uns wieder genommen. Wir wollen durch sie dem Herrn ein großherziges Opfer anbieten. Wir freuen uns zutiefst, weil Gott sie zu sich gerufen hat, um ihr den wohlverdienten Lohn für ihre Leiden und Opfer zu geben, die sie während ihres langen Lebens erduldet und gebracht hat. Uns wollte er in seiner Barmherzigkeit eine glückliche Gelegenheit bieten, etwas aus Liebe zu ihm zu leiden. Ja, mein lieber Vater, sie hat aufgehört auf dieser Erde zu weinen; jetzt aber ist sie bereits in der Glorie des Himmels; dort genießt sie zusammen mit ihren Kindern die Freude des Paradieses, das nie enden wird. Sie wartet darauf, dass wir, wenn wir den Kampf dieser Erdenpilgerschaft überstanden haben, uns ihnen zugesellen werden.


[419]

Ich bin voller Freude, denn jetzt ist sie mir näher als zuvor. Und Ihr, freut Euch ebenso, dass der Herr die glühenden Fürbitten unserer Lieben, die jetzt für uns und unser Heil am Throne Gottes beten, erhören wird. Freuen wir uns beide, ja beglückwünschen wir uns gegenseitig, denn es scheint, dass sich Gott in seiner unendlichen Barmherzigkeit würdigt, uns die untrüglichen Zeichen seiner Liebe zu geben, aus denen wir erkennen, dass er uns wie seine Kinder zärtlich liebt und für die Glorie des Himmels bestimmt hat. Wir sind äußerst glücklich zu schätzen, da Gott uns großherzig und gütig Mittel und Gelegenheiten bietet, aus Liebe zu ihm zu leiden.


[420]

Um zu erkennen, dass dies so ist, werft einen Blick auf die Ordnung der Vorsehung, auf die Art und Weise, wie Gott auf seine treuen Knechte schaut, denen er die ewige Seligkeit bereithält. Die Kirche Christi hat auf der Erde begonnen, wuchs und verbreitete sich unter Verlusten und Opfern ihrer Söhne, unter Verfolgungen und dem Blut ihrer Märtyrer und Päpste. Selbst ihr Haupt und Gründer, Jesus Christus, ist an einem berüchtigten Kreuzesstamm gestorben als Opfer der Wut einer grausamen und ruchlosen Nation. Die Apostel erlitten das gleiche Schicksal wie ihr göttlicher Meister.


[421]

Alle Missionen, wo der Glaube verbreitet wurde, wurden gepflanzt, wuchsen und breiteten sich mächtig aus in der Welt. Dabei kochten die mächtigen Herrscher vor Wut. Leiden und Verfolgungen brachten die Gläubigen um. Man liest von keinem Heiligen, der nicht ein Leben unter Dornen in harter Arbeit und Widerwärtigkeiten geführt hätte. Von den gerechten Menschen, die wir kennen, gibt es keinen, der nicht Leid ertragen hätte und von Schmerz bedrängt und verachtet worden wäre. Ja, die Palme des Himmels kann man nicht erlangen ohne Leid, Bedrängnis und Opfer. Und jene, die mit solchen himmlischen Gunsterweisen beschenkt werden, können mit vollem Recht selig auf dieser Erde genannt werden, denn sie erfreuen sich der Seligpreisung der Heiligen, für die es die höchste Freude war, für den Ruhm Gottes schweres Leid zu ertragen.


[422]

Und diese besonderen Begünstigungen, diese erhabenen Privilegien, mit denen Gott seine Knechte auszeichnen wollte, um sie von der zahllosen Schar der Söhne dieser Welt zu unterscheiden, die sich damit abgeben, auf dieser Welt die volle Glückseligkeit aufzubauen, diese Gunsterweise und Privilegien wollte Gott auch uns erweisen. Aber wir, liebster Vater, sind solcher Geschenke nicht würdig. Wir sind nicht würdig, aus Liebe zu Christus etwas zu leiden.


[423]

Aber Gott, der der Herr aller Dinge ist, möchte uns ohne jeglichen Verdienst unsererseits sein Wohlwollen zukommen lassen. Also Mut, mein liebster Vater; wir stehen jetzt auf dem Schlachtfeld inmitten der Streitmacht dieser armseligen Erde. Heutzutage sind wir umgeben und angegriffen von mächtigen und wütenden Feinden. Die menschliche Armseligkeit möchte uns verführen, hier unten ein vergängliches Glück zu suchen. Wir aber nehmen als kämpfende Helden mit Großmut die Widerwärtigkeiten, die Leiden und das Verlassensein an.


[424]

Die menschliche Armseligkeit bemüht sich, uns den Frieden des Herzens und die Hoffnung auf ein besseres Leben zu nehmen. Und wir, an der Seite des gekreuzigten Jesus, der für uns leidet, tanzen vor Freude inmitten eines unglücklichen Schicksals und halten jenen wertvollen Frieden aufrecht, den der wahre Knecht nur am Fuße des Kreuzes und im Weinen finden kann. Wir stehen auf dem Schlachtfeld, sage ich Euch noch einmal. Wir müssen uns im Kampf als stark erweisen. Große Siege und Triumphe kann man nur durch große Mühen, Anstrengungen und Leiden erlangen. Anregen und ermutigen möge uns deshalb die Größe des Lohnes, der uns im Himmel erwartet. Aber die Größe der Schwierigkeiten des Kampfes darf uns nicht entmutigen und niederdrücken.


[425]

Wir haben Christus selbst auf unserer Seite. Er kämpft mit uns und für uns und leidet mit uns. Und wir, begleitet und unterstützt von einem so großherzigen Kapitän und Herrn, werden nicht nur in Freude und Durchstehvermögen jene Mühen und Leiden auf uns nehmen, die uns der Herr schickt, sondern es wird uns zur Gewohnheit werden, um noch größere zu bitten, denn durch sie und die Verachtung der ganzen Welt kann man die Glorie des Himmels erlangen.


[426]

Also Mut, werde ich Euch immer wieder zurufen, da uns nur noch wenig Zeit in unserem Leben bleibt und die schmeichelhafte und eitle Welt sich ja bald den Blicken unserer Augen entziehen wird. Wir stehen kurz vor dem Eintritt in das ewige Leben, das uns erwartet. Um das, was ich Euch jetzt sage, zu bekräftigen, zitiere ich die Aussagen von drei Heiligen. Damit möchte ich Euch überzeugen, dass wir selig zu preisen sind auf dieser Erde, vor allem, weil Gott möchte, dass wir unsere Lippen an den (bitteren) Kelch der Widerwärtigkeiten und Leiden drücken.


[427]

Der heilige Augustinus behauptet: Das Leiden und Erdulden von Widerwärtigkeiten in diesem Leben ist ein Zeichen dafür, dass wir für die Glorie der Seligen bestimmt sind. Coniectura est, cum te Deus immensis persecutionibus corripit, te in electorum suorum numerum destinasse.


[428]

Chrysostomus fügt hinzu: Es ist wirklich eine große Gnade, für würdig gehalten zu werden, für Christus etwas leiden zu dürfen. Es ist dies eine echte Krone. Es ist ein künftiger Lohn, der nicht geringer ist als das Paradies. Est gratia vere maxima dignum censeri propter Christum aliquid pati: est corona vere perfecta, et merces futura retributione non minor.


[429]

Der heilige Petrus Alcantara hat in seinem Leben Dornen und Leiden erfahren. Wenige Tage, nachdem er seine Seele dem Herrn zurückgegeben hatte, erschien er der heiligen Teresa in Spanien und sagte zu ihr: O glückliche Buße, o süße Leiden und Mühen, die ihr mir ermöglicht, einen so großen Lohn zu erlangen. O felix poenitentia, quae tantam mihi promeruit gloriam! So haben die Söhne Gottes gesprochen, so denken die wahren Nachfolger Christi.


[430]

Versuchen auch wir, es so zu verstehen. Werfen wir uns ganz und gar in die liebevollen Arme der göttlichen Vorsehung und kämpfen wir tapfer bis zum Tod im Schatten des Banners des Kreuzes. Die wertvolle Krone der ewigen Belohnung wird unser sein.


[431]

Jetzt, da ich Euch schreibe, erfreue ich mich bester Gesundheit. Vom 6. April bis Mitte August hat sich der Herr gewürdigt, mich mit starken und langen Fieberanfällen zu besuchen, die meine Kräfte extrem erschöpft haben. Aber ab Mitte August habe ich mich wieder erholt, so dass ich im September eine Erkundungsreise zu den Gogh im Westen des Weißen Flusses unternehmen konnte. Am Tag, nachdem ich die Briefe aus Europa erhalten hatte, das war am 14. dieses Monats, wurde ich von einem sehr starken Fieberanfall geschüttelt. Er dauerte fünf Tage. Ich dachte, es ginge schon dem Ende zu.


[432]

Aber auch dieses Mal wollte mich Gott noch nicht bei sich haben. Das gleiche Los traf dann auch den geliebten Don Angelo, unseren Superior. Mit Ausnahme einiger leichterer Fieberanfälle, die er zu Beginn der Regenzeit erlitt, erfreute sich auch Beltrame, unser Superior, einer guten Gesundheit, und tut es noch. Der Herr sei gelobt. Im Moment befinden wir uns alle drei wirklich in guter gesundheitlicher Verfassung und sind bereit, mit Gottes Hilfe zur Ehre Christi alle Mühen auf uns zu nehmen.


[433]

Ich möchte Euch vieles über diese Länder hier erzählen und über das, was wir getan haben und in Zukunft noch vorhaben. Aber darüber werde ich Euch mit mehr Ruhe schreiben, wenn es unsere Beschäftigungen mir erlauben. Für jetzt sollt Ihr wissen, dass in vier Monaten fünf Missionare gestorben sind. Unter ihnen befand sich der Apostolische Provikar D. Ignaz Knoblecher und D. Joseph Gostner, Vorsteher der Missionsstation. Diese Todesfälle haben die Zahl der Arbeiter des Evangeliums dieser Mission arg vermindert. Die Umstände verlangen, dass einige von uns, vielleicht sogar alle, nach Khartum zurückgehen müssen. Die Missionsstation dort ruht auf den Schultern unseres Prokurators D. Alessandro.


[434]

Gestorben ist auch der Schmied, den wir aus Verona mitgebracht hatten. Der Herr sei gepriesen! Erschreckt nicht! Unser Leben liegt in Gottes Hand. Er tue das, was er will. Wir haben uns voll und ganz Ihm geopfert. Er sei gepriesen! Hier stirbt man (unverhofft) vom Abend auf den Morgen. Hier hat man keine Zeit, sich auf den Tod vorzubereiten. Man muss immer vorbereitet sein. Ein Fieberanfall schwächt dich in wenigen Stunden so sehr, dass Du am Rande des Grabes stehst. Betet also für uns, dass wir immer in der Gnade Gottes sind und bereit, von einem Moment auf den anderen zu sterben.


[435]

Ich habe am 13. dieses Monats alle Eure Briefe erhalten und auch jene von Mama vom Dezember vergangenen Jahres bis zum 7. August des laufenden Jahres. Ich habe noch zwei Briefe vom Pfarrer von Voltino erhalten, einen von Antonio Risanti, einen vom Obergefreiten [Caporale] etc. und eine freundliche Postkarte von Herrn Pietro Ragusini, die mich alle sehr erfreut haben. Grüßt sie alle von mir ganz herzlich. Sobald ich Zeit habe, werde ich allen schreiben. D. Giovanni und D. Angelo tragen mir auf, Euch von ganzem Herzen zu grüßen. Wir reden oft von Euch.


[436]

O, es ist ein Glück für Euch, für Christus leiden zu dürfen. Ihr seid wirklich beneidenswert. Grüßt mir die Familie Patuzzi, D. Bem und besonders den Herrn Luigi und den Herrn Beppo, den Freund Antonio Risatti, den Herrn Doktor Candido, den sehr freundlichen Herrn Pietro und seinen Onkel, Herrn Bortolo Carboni, den Herrn Checchino und Barbara Rambottini, an die ich mich immer gern erinnere; den Maler, den Herrn Consigliere und seine Familie, von der ich auch Post bekommen habe, den Erzpriester von Tremosine, Don Luigi, den Pfarrer von Voltino, dem ich sicher schreiben werde, die Frau Mariana Perini, Bettamini von Bassanega, die Gärtner von Tesöl und Supino, die Frau Minica mit ihren Töchtern, die guten Familien von Pietro Roensa, Carlo, Herrn Vincenzo Carrettoni, D. Pietro Grana, unsere Verwandten mütterlicherseits von Limone, Bogliaco und Maderno, den berühmten Caporale, den auch D. Angelo grüßen lässt, und Salsani etc. etc.


[437]

Lebt wohl, geliebter Vater! Der Herr sei immer mit Euch. Das sind die Wünsche dessen, der Euch liebt. Das sind die Seufzer dessen, der Euch herzlich umarmt, der Euch tausend liebevolle Küsse gibt und sich als Euer Euch liebender und dankbarer Sohn erklärt.

Daniel Comboni

Diener der Schwarzafrikaner im armen Zentralafrika



 


[438]

PS: Ich denke, die beiden Heiligenbildchen, die ich zur Erinnerung an mich beilege, werden Euch gefallen. Mit diesen habe ich Euch der Patronin und Königin Afrikas Maria, der Unbefleckt Empfangenen, geweiht. In ihren Händen seid Ihr besser geborgen, als wenn Ihr auf dem Thron eines großen Reiches sitzen würdet. Sie möge immer Eure Stärke sein. Das andere beigefügte schwarze Heiligenbildchen gebt bitte dem Onkel Josef. Ich teile Euch auch mit, dass ich für Euch und die arme Mama 56 hl. Messen zelebriert habe, die Euch inneren Frieden bringen mögen. Und da ich ahnte, dass Mama sterben würde, habe ich vom 17. Juli an besonders für sie 17 hl. Messen zelebriert. Darüber bin ich jetzt richtig froh. Am Tag nach der Ankunft der Briefe schlug D. Giovanni vor, dass wir alle die hl. Messe für die Seelenruhe der Mama zelebrierten. Überlasst es also in Zukunft mir, dass ich, wann immer es uns möglich ist, hl. Messen für Mama zelebriere. Ich appliziere jedoch die Messen immer „sub conditione" für den Fall, dass sie sie nötig hat, denn sonst möchte ich, dass der Segen meiner hl. Messen Euch und den Seelen Eurer verstorbenen Verwandten zugutekomme. Sie ist im Paradies [Himmel], wo sie für uns betet. Lebt wohl, tausendmal lebt wohl im Namen Jesu Christi.


[439]

Wie ich aus verschiedenen Briefen entnommen habe, möchten einige, dass unsere Berichte gedruckt werden. Das ist nicht nötig, da unser Institut alles drucken lässt. Alles, was wir bisher geschrieben haben und was von Bedeutung ist, haben sie bereits drucken lassen.


[440]

Sobald sich eine günstige Gelegenheit ergibt, schicken wir dem Institut einen Elefantenzahn. Es sind Tiere von enormer Größe, wie man sie noch nicht gesehen hat. Der Elefant, dem dieser Zahn gehörte, wurde bei den Gogh getötet, wo D. Giovanni und ich im vergangenen September hin gepilgert sind. Dieser Zahn wiegt 121 Rotoli, das entspricht einem Gewicht von mehr als sechs Bresciani [ca. 107 Kilogramm]. O, welche Menge an wilden Tieren sieht man hier! Sicherlich hätte Herr Ventura Girardi seine helle Freude daran und würde sich inmitten dieser Einsamkeit wie im Paradiese fühlen. Er träumt doch Tag und Nacht von Vögeln und fliegendem Getier. Aber das möge genügen.


[441]

PS: Eines möchte ich Euch noch in Erinnerung rufen. Es ist die berühmte und wahre Aussage unseres Herrn Jesus Christus. Denkt darüber nach und ruft sie Euch immer wieder in Erinnerung. Es lohnt sich, dass wir sie in Ehren halten. Sie lautet: Beati qui lugent, das heißt: Selig, die trauern.


 


40
Eustachio Comboni
0
dai Kich
24.11.1858
[442]

mein Eustachio! Ich bin ohne Mutter! … Einst hatte ich sie, aber jetzt habe ich sie nicht mehr … Gepriesen sei der Herr der Barmherzigkeit, dem es gefallen hatte, sich meiner zu erinnern. Obwohl ich mit Entschlossenheit der Welt den Rücken gekehrt habe, um das Heil der Seele sicherzustellen, indem ich mich einem Lebensstand weihte, der dem unseres Herrn Jesus und der Apostel ganz ähnlich ist, und obwohl ich mit der göttlichen Gnade die Natur überwunden habe, indem ich mich von dem, was mir in der Welt am liebsten war, trennte, um dem Herrn ganz frei zu dienen, habe ich trotzdem sehr deutlich den Aufschrei der schwachen Natur empfunden und weinte bitterlich über den großen Verlust.


[443]

Der Herr aber sei gelobt. Er hat es so gefügt. Ich bete in aller Demut seine göttlichen Ratschlüsse an. Ihm hat es gefallen, meine liebe, arme Mutter zu sich zu rufen. An sie denke ich mit großer Liebe, denn sie, die Arme, hat mich getragen, hat Mühen für mich auf sich genommen und Opfer für mich gebracht. Ihm hat es gefallen, meinen lieben Vater in schmerzhafter Einsamkeit allein zurückzulassen. Obgleich ergeben in den göttlichen Willen, hat ihn sein großes Empfindungsvermögen in eine tiefe Niedergeschlagenheit geführt.


[444]

Aber Gott will es so. Er sei gepriesen. Der Verlust der Mutter verwirrt mich sehr; ebenso die Vereinsamung des Vaters. Aber schüttle deine Traurigkeit ab, meine Seele, richte deinen Blick nach oben, denn der Mensch ist nicht für diese Welt geschaffen. O, mein lieber Eustachio, dieser wohltuende Gedanke vertreibt nicht nur die Nebel der Unsicherheit aus meiner Seele, sondern erfüllt meine Seele mit unsagbarer Freude.


[445]

Ja, ich danke dem Herrn, dass er mich und meinen Vater heimgesucht hat. Habe ich denn nicht die Welt verlassen, um dem Herrn zu dienen? Hat mir mein Vater nicht seine großherzige Zustimmung gegeben mit dem einzigen Ziel, dem Willen Gottes zu gehorchen, und so eine neue Gelegenheit erhalten, seinen Geist Gott zu opfern, um seine Seele zu retten? Ist nicht der direkteste und sicherste Weg, seine Seele zu retten, jener der Bedrängnisse, des Leidens, der Selbstverleugnung, indem man Gott alle Idole des eigenen Herzens opfert?


[446]

Ja, mein lieber Cousin; dieses ist eine kräftige Aussage des Erlösers: Quid prodest homini etc. „Was nützt es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen, wenn er aber seine Seele verliert? Und wenn er sie verliert, was kann er geben, um sie wieder zurückzugewinnen?“… Diese wahre Aussage hat die Oberhand in vielen Seelen gewonnen, die sich vorher in die Dinge dieser Welt verstrickt hatten; diese Aussage – so wiederhole ich - hat viele, die die Dinge dieser Welt vergötzt haben, vor dem ewigen Tod bewahrt. Jene Aussage hat die Herzen vieler Menschen verändert, jener die sich die Glückseligkeit auf dieser Welt verschaffen wollten; sie hat viele Seelen für das Kreuz gewonnen. Diese Aussage, von der unsagbaren ewigen Wahrheit ausgesprochen, gekleidet in die Kleidung der armseligen menschlichen Natur, um uns den Weg zum Himmel zu weisen, sie ermutigt meinen Geist, sie erhebt ihn über die Dinge dieser Erde, sie legt in meine Seele das Verlangen nach neuen Widerwärtigkeiten, denn ich bin nur allzu sehr davon überzeugt, dass sie das beste Mittel sind, über die Welt zu triumphieren und Gott zu gewinnen.


[447]

Gepriesen sei jene Hand, die uns reinigt im Schmelztiegel der Abtötungen, der Plagen und Leiden dieses Lebens. Das Leben ist letztlich nur ein Hauch, der sich rasch auflöst. Mir und meinem Vater bleibt nur noch wenig Zeit zu leben; und wenn Ihr erlaubt, dass ich es sage, das gilt auch für Euch. Wir sind heute schon alt, und bald müssen wir Rechenschaft ablegen über die Talente, die Gott uns anvertraut hat. Mein ganzes Vertrauen ruht in Gott, der alles sieht, der alles vermag und der uns liebt.


[448]

Aber glaube nicht etwa, wenn ich alles auf Gott beziehe, dass ich die Bemühungen und Anstrengungen der Menschen nicht schätze, die sie aus Liebe zu Gott auf sich nehmen. Der Herr bedient sich der Menschen als Zweitursachen, um seine göttlichen Pläne umzusetzen. Ja, der Herr bedient sich auch Eures Lebens, lieber Cousin, Eurer Familie, um die verlassene Seele meines Vaters zu trösten.


[449]

O, wie tiefe Dankbarkeit empfinde ich in meinem Herzen Euch gegenüber, da ich aus den Briefen meines Vaters erfuhr, wie viel liebevolle Zuwendung Ihr ihm gerade in den schwierigsten Momenten des Verlustes geschenkt habt, die er und ich ….

[Anmerkung: Der Brief ist nicht ganz vollständig.]