Die Stille Gottes ist immer ein Teil der Erfahrung jener Personen, die den Weg des Glaubens gehen. Das Buch über die Stille Gottes im Leben von Mutter Teresa von Kalkutta  hat Papst Benedikt XVI. zu einer Überlegung angeregt. P. Antonio Furioli analisiert diese Erfahrung, die Teil des apostolischen Lebens ist, und führt auch Comboni als Beispiel an.

Einleitung  

Das Licht erfüllt jeden Menschen mit Leben und macht ihn dadurch zu dem, was er wirklich ist – nämlich zu einer Person, die sich selbst und ihresgleichen als lebendes, bewusstes und freies Wesen wahrnimmt und fähig ist, mit anderen in Beziehung zu treten, usw.…  Licht ist gleichbedeutend mit Bewusstsein, Vertraulichkeit, Zuverlässigkeit, Eintracht, Einheit, Vertrautheit, Einfachheit, usw. während Finsternis mit Geheimnis, Furcht, Unzuverlässigkeit, Trennung, Absonderung und Unwissenheit gleichgesetzt wird.

Der griechische Hades, die römische Unterwelt, die normannische Walhalla, die hebräische Scheol oder die christliche Hölle sind Orte von undurchdringlicher Finsternis und ewiger, feindlicher Dunkelheit. Frostige Einsamkeit trennt hier das Leben, lässt es für immer in völliger Armut erstarren, kein Blick wird hier je dem eines anderen begegnen. Es ist der Ort des unwiderruflichen Alleinseins, oder der ewigen Unfähigkeit zu Beziehung, Gemeinschaft oder Solidarität.

Auch in der Bibel finden sich wichtige Aussagen darüber: „Sie, die saßen in Dunkelheit und Finsternis, gefangen in Elend und Eisen“, (Ps 107,10). Besonders tief und schmerzlich ist die Erfahrung des Ijob, des ersten vorchristlichen Mystikers, der die dunkle Nacht des Glaubenden durchlebte: „Bevor ich fortgehe ohne Wiederkehr ins Land des Dunkels und des Todesschattens, ins Land, so finster wie die Nacht, wo Todesschatten herrscht und keine Ordnung, und wenn es leuchtet, ist es wie tiefe Nacht“ (Ijob 10,21-22) oder der großen Beter Israels: „Du hast mir die Freunde und Gefährten entfremdet; mein Vertrauter ist nur noch die Finsternis“ (Ps 87, 19).

Licht und Finsternis in Metaphern

 „Gott sprach: ‚Es werde Licht’. Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. Gott schied das Licht von der Finsternis und Gott nannte das Licht ‚Tag’ und die Finsternis nannte er ‚Nacht’ (Gen 1, 3-5).  Dem Hexameron[1] ist die Nacht völlig unbekannt und fremd. Die Dunkelheit und die finstere Nacht hat Gott weder erschaffen noch beabsichtigt, denn sie symbolisieren das Böse. Sie sind eine Missgeburt der schöpferischen und erfinderischen Tat Gottes! Sie sind nicht seine Geschöpfe, sie haben keinen Anteil an der Fülle seiner Zuwendung zu den Menschen. „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und leer, Finsternis lag über der Urflut (dem Abgrund) und Gottes Geist schwebte über dem Wasser“ (Gen 1, 1-2). Finsternis und Abgrund (Urflut) sind hier zwei negative Wirklichkeiten, die sich gleichzeitig anziehen und abstoßen. Laut Genesis scheint die Finsternis schon vor dem schöpferischen und ordnenden Werk des Pantokrators da zu sein. Sie symbolisiert das ursprüngliche Chaos, das die Schöpfung beherrschte. Sie ist eine umstürzlerische Wirklichkeit, die sich jener harmonischen Ordnung widersetzt, die allen Dingen den vom Schöpfer bestimmten Platz zuweist. Die Nacht und die Finsternis sind Zeichen für das Nichtsein; für das vom Ganzen ‘losgelöste’ Nichts, unfähig, natürliche Lebenswärme[2] auszustrahlen, das nur in Gott seinen Ursprung hat. Die Finsternis ist Symbol für Negativität, Verwirrung, Ausdruckslosigkeit, für ein formloses, vom höchsten Baumeister, dem weisen  Pantokrator des Alls, nicht gewolltes Gebilde. Finsternis vermittelt die Idee von etwas im Geheimen Angezetteltem zum Schaden des Unschuldigen und Wehrlosen. Sie symbolisiert aufgezwungenes Schweigen und die Unfähigkeit, Beziehung herzustellen. Der Morgen und der Abend bestimmen und begrenzen die sich überstürzende Reihenfolge der Schöpfung: „Es wurde Abend, und es wurde Morgen: erster Tag“ (Gen. 1, 5). Sie bestimmen das geniale Gleichmaß von Bewegungen der schöpferischen Tat Gottes.  Sobald die Nacht zu Ende geht und sich langsam in das Schweigen des Schlafes zurückzieht, bricht frisch und munter der Morgen an und beginnt seine ihm angeborene fieberhafte Tätigkeit. Die Macht der Nacht ist unfähig, dem Morgen dauerhaften Widerstand zu leisten. Die zynische und höhnische Nacht in der johanneischen Bedeutung des Wortes (vgl. Joh 1, 4-9) erscheint nur bei ihrem Einbruch, aber ihre Verfolgungsjagd nach dem gehetzten Menschen ist seitdem kontinuierlich und unaufhaltsam. Jwhe ist der Herr des Morgens, der unangefochtene Herrscher über das reine, klare und durchsichtige Licht „das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet“ (Joh 1, 9), während Satan der Fürst der Finsternis und der verborgenen Pläne ist. Satan ist von seiner Natur her gemeinschaftsunfähig. „Was haben Licht und Finsternis gemeinsam?“ (2Kor 6, 14), fragt sich in seiner unaufhörlichen Sinnsuche empört ein großer Erforscher und Kenner der Heiligen Texte Israels, Paulus von Tarsus, Lieblingsschüler des Gamaliel[3], eines berühmten Lehrers der Thora.  

Die Nacht ist nicht einfach passiver Mangel an Licht. Psychologen wissen nur zu genau, dass jede, wenn auch nur scheinbare Form von „Passivität“, einen stillen aber aktiven Widerstand gegen die Kommunikation verbirgt. Die Dunkelheit, von der hier die Rede ist, ist eine verzweifelte Flucht in die eigene Innenwelt, gleichsam in ein unentwirrbares Labyrinth. Da man sich dem Licht nicht entziehen kann, und um sich zu verbergen, hüllt man sich in eine schuldhafte Dunkelheit ein und legt dadurch eine dämonische Haltung an den Tag. Dabei ist man sich seiner Verweigerung sich zu öffnen, um ein  eifersüchtig verborgen gehaltenes Geheimnis preiszugeben, voll bewusst.

Beim Letzten Abendmahl war der Raum (vgl. Mk 14, 15; Lk 22, 12), in dem Jesus die Eucharistie einsetzte, von Licht erfüllt. Gerade bei jener Gelegenheit ergriff Satan von Judas Besitz (Lk 22, 3). Von da an konnte Judas nicht mehr im Lichtglanz verblieben: „Er ging sofort hinaus. Es war aber Nacht“ (Joh 13, 30). Die tiefe Dunkelheit der düsteren Nacht des Bösen verschlang Judas gierig, ohne ihn jemals wieder freizugeben. Dadurch wurde sie zum Komplizen seines schrecklichen und unmitteilbaren Geheimnisses, den Menschensohn zu verraten (vgl. Lk 22, 6.48).

Auch der Verrat des Petrus geschah mitten in der Nacht (vgl. Joh 18, 17.25-27),  als ob die dichte Finsternis als schamloser Schoß einer unheilvollen und perversen Wirklichkeit zu Diensten gestanden wäre: „Das ist eure Stunde, jetzt hat die Finsternis die Macht“ (Lk 22, 53). Jesus warnt uns da vor einer geschichtlich unumstößlichen Tatsache, von der wir täglich sprachlose und ohnmächtige Zeugen sind[4]: „Die Kinder dieser Welt, (….) sind klüger als die Kinder des Lichtes“ (Lk 16, 9). „Das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst“ (Joh 1, 5). „Ich bin das Licht, das in die Welt gekommen ist, damit jeder, der an mich glaubt,  nicht in der Finsternis bleibt“ (Joh 12, 46). Wenn uns das einerseits wegen unserer Mitwisserschaft Leid verursacht, so gibt uns Paulus andererseits die verlorene Hoffnung zurück, indem er uns versichert, dass auch wir von Christus erleuchtet worden sind, um von Finsternis ganz in Licht verwandelt zu werden: „Ihr alle seid Söhne des Lichtes und Söhne des Tages; wir gehören nicht der Nacht und nicht der Finsternis“ (1Thess 5, 5), da Gott „in unzugänglichem Licht wohnt“ (1Tim 6, 16)

Sinn und Wert der Nacht des Geistes

Wer sich damit begnügt, das mystische Leben nur von außen zu betrachten, dem könnte es als eine glückliche Insel erscheinen, als eine Art beneidenswertes „Paradies auf Erden“, in dem der Gläubige, von Gnade überströmend, nichts anderes zu tun braucht, als es demütig und dankbar anzunehmen und sich bis zur gleichgestaltenden Einung mit Gott leiten zu lassen. Das „mystische Leben“ so zu interpretieren, entspräche aber nicht der Wirklichkeit und würde eine irreführende Idee vermitteln. Um sich davon zu überzeugen, braucht man nur auf das maßgebliche Magisterium der Kirchenlehrer-Mystiker zu hören. Die Freude, die Gott den Mystikern geschenkt hat, gibt uns nur eine blasse Idee von jenen Freuden, die in der endgültigen Eschatologie eine trostreiche Wirklichkeit sein werden. Vorher aber mussten die Mystiker  überaus schmerzhafte und schwierige Läuterungen annehmen und durchstehen[5]. Es wäre reine Überheblichkeit, mystisches Leben anzustreben, ohne vorher eine strenge und rigorose Askese auf sich zu nehmen. Je härter aber das Leben wird und die Beherrschung der ungeordneten Triebe zunimmt, desto wichtiger wird gleichzeitig die Gnade Gottes. Die göttlichen Gnadenerweise sind unverwechselbar: Sie treffen das Herz wie ernste Ermahnungen, die man nicht mehr vergisst. Wer immer sich an fühlbare Freuden klammert, dem wird Gott seine reinsten und erhabensten Freuden verweigern, bleibt der Gläubige aber treu, wird ihn Gott innig mit sich vereinen.

Jesus hatte die Jünger aller Zeiten vor leichten aber trügerischen Illusionen gewarnt: „Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen“(Joh 3, 3; siehe auch 4-8). Unerlässliche Vorbedingung der Wiedergeburt ist also der Tod: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt,  bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht. Wer an seinem Leben hängt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering  achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben“ (Joh 12, 24-25). Sich selbst absterben, um dann in Christus wiedergeboren zu werden, ist eine wesentliche Bedingung für alle Christen. Ermäßigungen oder Abkürzungen gibt es nicht. Die Mystiker sind davon nicht ausgenommen, denn gerade das mystische Leben ist eine ganz besondere Form der Gotteinung und man gelangt ohne gründliche und ständige innere Entblößung nicht dorthin[6]. Die Mystiker werden viel mehr als die anderen Gläubigen den strengen Erfordernissen der evangelischen Askese unterworfen: „Um zur Gotteinung zu gelangen, muss die Seele diese dunkle Nacht durchschreiten, das heißt, sich von den Trieben freimachen und auf alle Genüsse verzichten, die von den sinnlichen Dingen kommen, und zwar aus folgenden Gründen: Alle Anhänglichkeiten an die Geschöpfe sind dichte Finsternis vor Gott. Solange die Seele von dieser verhüllt ist, kann sie nicht vom reinen und einfachen Licht Gottes erleuchtet und von ihm in Besitz genommen werden. Sie muss sich in erster Linie davon befreien, denn das Licht und die Finsternis können nicht beisammen sein“[7]. Der Gläubige wird sich bemühen, nach der geistigen Armut zu streben und die Sinne zu reinigen mit dem ehrlichen Wunsch, ohne äußere Stütze oder innerem Trost Gott entgegenzugehen[8]. Je mehr sich jemand von sich selbst freimacht, desto stärker wird in ihm der Drang nach dem unaussprechlichen Geheimnis Gottes, der eine reine, geistige, frohe und von Liebe erfüllte Erkenntnis schenkt, die den Durst der Seele löscht[9]. Ohne Unterlass von der Liebe gedrängt, weitet sich das Herz. Der Herr beugt sich über den geliebten Jünger und offenbart sich ihm in einer bis dahin ungekannten Innigkeit: „Meine Nacht kennt keine Finsternis, alles wird vom Licht erhellt“[10]. Diese innige Vereinigung mit Ihm wird ihm die Kraft und die Ausdauer schenken, die überaus harten Prüfungen zu ertragen und ihnen voll Mut zu begegnen. Die unwiderstehliche Anziehungskraft der Gegenwart Gottes spüren, ist ein Zeichen dafür, dass das mystische Leben bereits begonnen hat. Es muss aber daran erinnert werden, dass uns die Gnade Gottes ohne unser Zutun nirgendwohin führt. Den einzigartigen Gnaden Gottes muss eine unvergleichliche Großmut entsprechen.

In der „Schule der Mystiker“ versuchen wir zu verstehen, worin das mystische Leben besteht und welches die charakteristischen Bedingungen sind, um diesen hindernisreichen Weg bis zum Ende zu gehen, der zur gleichgestaltenden Einung mit Gott führt.

Für den hl. Johannes vom Kreuz hat das mystische Leben einen zweifachen belehrenden Aspekt, den wir so beschreiben könnten:

  1. Ein ethisch-sozialer Aspekt, der die Gläubigen daran erinnert, dass sie Gott immer wohlgefälliger werden sollen (vgl. Lev 11, 44). Auf dieser Ebene wird sich der Gläubige seiner Sünden immer mehr bewusst, weil sie Gott überaus missfallen, was für ihn eine langsame innere Agonie bedeutet[11]. Er liebt Gott so sehr, dass er gerne sein Leben für ihn hingeben würde, auch um einen einzigen Blick von ihm, obwohl er weiß, dass er ihn nicht ertragen könnte (vgl. Ex 33, 20).
  2. Ein asketisch-geistiger Aspekt, der die Unvereinbarkeit der Liebe Gottes mit der Eigenliebe hervorhebt[12]. Dieser Aspekt beleuchtet die Verbindung zwischen Läuterung und mystischer Kontemplation, zwischen dem Weg der Läuterung und jenem der Einung. Wir sollen nicht nur das bedenken, was Gott von uns Sündern verlangt, wohl aber jene grundlegende Voraussetzung, um in jene Lebensweise eingeführt zu werden, die er für seine Freunde bereithält (vgl. Joh 15, 15). Gott kann sie nicht in wirksamer Weise an sich ziehen, ohne sie seiner immer wohlgefälliger zu machen, das heißt, sie „capax Dei“ zu machen[13]. Es wäre ein großer Fehler, sich dieser Logik entziehen zu wollen oder von einem leichteren Mittel zu träumen, das diese langsame und für den Menschen schwierige Bekehrung ersetzen könnte. Am Ende werden nur jene, die „ein reines Herz haben“ (Mt 5, 8) zugelassen werden, das leuchtende und freundliche Angesicht Gottes zu betrachten: „Wer rechtschaffen ist, darf sein Angesicht schauen“[14] (vgl. Ps 11, 7; 17, 15). Diese Askese ist sehr anspruchsvoll, aber die tiefe Freude, die sie schenkt, ist eine Vorwegnahme jener unfassbaren Freude, an der wir durch die Gotteinung am Tage der endgültigen Parousie, der Ankunft des Herrn, teilhaben werden: „Es wird keine Nacht mehr geben und sie brauchen weder das Licht einer Lampe noch das Licht der Sonne. Denn der Herr, ihr Gott, wird über ihnen leuchten und sie werden herrschen in alle Ewigkeit“ (Offb 22, 5). Er wird uns seine reichen Gaben übergeben und wir werden ihn schauen, wie er wirklich ist: „In  deinem Licht schauen wir das Licht“ (Ps 36, 9).

Im Verlauf der passiven Läuterung erlebt der Gläubige immer wieder tiefe Todesängste, die ihn den überaus schmerzlichen und reinigenden Charakter der geistigen Nacht spüren lassen. Für die Gläubigen, die nicht zu einer solchen Höhe der Gotteinung berufen sind, wird die Nacht der Läuterung kurz sein, aber häufig über sie hereinbrechen[15]. Wen aber Gott zu einer sehr tiefen Vereinigung mit ihm führen will und denen die Gnade gegeben wird, sich bereitwillig und großherzig darauf einzulassen, für den wird die Nacht des Geistes lang und schmerzlich sein: „Meine Seele sehnt sich nach dir in der Nacht“ (Jes 26, 9). Zu Beginn des mystischen Lebens verlangt Gott vom Gläubigen die  bedingungslose Hingabe seiner selbst. Heroische Fügsamkeit wird verlangt, dem Herrn auch nicht das geringste Opfer zu verweigern. In diesen Besonderheiten zeigt sich jenes Geheimnis des Schmerzes und der Freude, das das Leben des Gläubigen kennzeichnet.

Ziele der geistigen Nacht

Die Nacht der Sinne und des Geistes kennzeichnet die passive Läuterung. Die Nacht der Sinne ist nichts anderes als die erste Teilstrecke eines langen Glaubensweges, die der Gläubige zurücklegen muss, um zur umgestaltenden Gotteinung zu gelangen. Die Läuterung der Kräfte des Sinnenbereichs ist bereits eine große Gnade. Solange aber dieses göttliche Feuer, das verzehrt aber nicht verzehrt wird (vgl. Ex 3, 2), den Gläubigen nicht gereinigt hat, ist er unwürdig und unfähig, sich Gott zu nähern. Diese schmerzliche Phase der passiven Reinigung hat die langsame aber stufenweise Gleichgestaltung des Gläubigen mit Gott zum Ziel. Das Mittel, dessen sich Gott paradoxerweise bedient, um den Gläubigen zu reinigen, ist gerade die Kontemplation, die er leidenschaftlich mit all seinen Kräften anstrebt. Das letzte Ziel seiner Bestrebungen wird zum grausamen Werkzeug seiner innersten Leiden: „Über dieses von Gutem und Herrlichkeit und zarter Gottesliebe zum Menschen erfüllte Hauchen habe ich nie gerne gesprochen und möchte es auch jetzt nicht. Denn ich sehe klar, dass ich es nicht im Geringsten zu sagen verstünde, und wenn ich es sagte, erschiene es so, als wäre das alles. Denn es ist ein Hauch, den Gott zur Seele hin atmet, indem er ihr durch dieses Erwachen zur hohen Erkenntnis der Gottheit nach Maßgabe der Gewahrwerdung und Einsicht in Gott den Heiligen Geist zuhaucht, womit er sie zutiefst in den Heiligen Geist hineinsaugt, und mit gründlicher Einmaligkeit und Zartheit verliebt macht, nach dem Maß dessen, was sie in Gott gesehen hat. Denn da der Hauch von Gutem und Herrlichkeit erfüllt ist, erfüllte der Heilige Geist die Menschenseele mit Gutem und Herrlichkeit, wodurch er sie in den Tiefen Gottes über alle Sprache und allen Sinn  hinaus in sich verliebt machte.“[16]

Das ununterbrochene tiefe Verlangen und der innere Eifer, zur Gotteinung zu gelangen, sind für die dem Gläubigen anhaftende Gebrechlichkeit so anspruchsvoll, dass es ihm anfangs schweres Leiden verursacht. „Der Herr macht sie frei von ihren Fähigkeiten, ihrer spirituellen wie fühlbaren, äußeren und inneren Zuneigungen. Er lässt den Verstand im Dunkeln, den Willen in Trockenheit, die Erinnerung leer. Er wirft die Gefühle der Seele in tiefstes Leid, in Bitterkeit und Angst. Er entzieht der Seele das Empfinden und das Wohlgefühl, die sie früher für geistige Güter empfand. Ein solcher Entzug ist eine der erforderlichen Bedingungen, um die Seele in die spirituelle Form des Geistes, die Liebesvereinigung, zu führen und sich mit ihr zu vereinen. Das bewirkt der Herr in ihr durch die  reine und dunkle Kontemplation“[17]. Der Schmerz, den der Gläubige empfindet, ist so intensiv, dass er sogar den Eindruck hat, dass Gott gegen ihn ist und er selbst sich gegen Gott aufgelehnt hat. Der Gläubige hat sogar das Gefühl, dass Gott ihn verlassen hat: „Niemand sah deine Spuren“ (Ps 77,20). Dieses Gefühlt der Trostlosigkeit und des Schmerzes lässt ihn mit kaum kontrollierbarem Ärger ausrufen: „Warum stellst du mich vor dich als Zielscheibe hin? Bin ich dir denn zur Last geworden“ (Ijob 7, 20)? „Sobald der Herr einen Menschen ruft, erwartet er von ihm, die Bereitschaft zu sterben“, schrieb Dietrich Bonhoeffer[18] inmitten des II. Weltkrieges. Das Leiden hat den Zweck, den Gläubigen innerlich zu stärken, indem er ihn seine angeborene Gebrechlichkeit in einer solchen Weise erfahren lässt, dass er keinen Widerstand leisten kann, an der Härte der Prüfung zu zerbrechen. Die Sinne und die Fähigkeiten der Seele sind vernichtet und überwältigt, so dass einen so tiefen Schmerz verursachen, dass der Gläubige, hätte er die Wahl, zweifelsohne den Tod jener langsamen und unaufhörlichen Agonie  vorziehen würde: „Erwürgt zu werden, zöge ich vor, den Tod diesem Totengerippe“ (Ijob 7, 15). Niemand könnte eine solche Agonie ertragen, würde er nicht von einer besonderen Gnade gestützt. Diese Gnade kommt ihm von der Gotteinung.

Die bisherigen vom Gläubigen verrichteten Arbeiten erscheinen plötzlich in ihrer harten Wirklichkeit und das Gute, das er getan zu haben glaubte, scheint plötzlich im Nichts zu verschwinden. Sein Tun, das bis dorthin unangefochten in seiner Erinnerung ein glückliches Dasein geführt hatte, seine Vorstellungskraft,  seine Gefühlswelt, seine Beziehungen …. sind plötzlich wie ausgelöscht. Ein bodenloser Abgrund tut sich vor ihm auf, eine schreckliche, existenzielle Leere, tiefe Armut und großes persönliches Elend. Die Gesamteinsicht nimmt nur Unsicherheit und innere Verwirrung wahr, weil Gott das Empfindungsvermögen des Gläubigen mit Trockenheit reinigt. Das menschliche Vermögen tappt im Verlauf des Freiwerdens von seinen sinnlichen und wirksamen Fähigkeiten in absolutem Dunkel. Es ist eine unsagbare Qual, voller Zweifel, Sorgen und Ängsten. Auf diese Weise läutert Gott den Gläubigen, indem er alle jene Werte, die seine sinnliche und affektive Welt ausmachen, beschneidet, an ihnen herumfeilt, sie vernichtet und verbrennt. Diese Reinigung verfolgt einen doppelten Zweck:

  1. es ist ein Freimachen, das das Denkvermögen von allen rein menschlichen Überlegungen befreit,  um es mit den Werten, den Methoden, den Urteilen, den Kriterien Gottes vertraut zu machen; 
  2. es geht um die Reinigung der vom Stolz verursachten Verwundungen, vom Strebertum und macht das Herz rein und bereit, mit Offenheit zu handeln.

Der Weg ist lang und schwierig, aber man muss diesem passiven Läuterungsprozess Gottes mit demütiger und ständiger Großmut entsprechen, ohne sich aufzubäumen oder Gott etwas zu verweigern: wir müssen sein raues Handeln in uns annehmen.  Nur wenige harren bis zum Ende aus[19]. Wo aber der Mensch scheitert, kommt ihm Gott zu Hilfe. Alles was Gott vom Gläubigen verlangt, ist sich ihm blindlings hinzugeben, ihm Vertrauen zu schenken und mit Ijob zu sagen: „Er mag mich töten, ich harre auf ihn“ (Ijob 13, 15), oder wie das Gebetbuch des israelitischen Volkes anrät: „Hoffe auf den Herrn und sei stark! Hab festen Mut und hoffe auf den Herrn“ (Ps  27, 14).

            Dieser lange und schmerzliche Läuterungsprozess ist das Werk Gottes. Er darf deswegen nicht als schuldhafte Nachlässigkeit oder als Lauheit des Gläubigen angesehen werden als Folge schwindenden Eifers oder aus anderen Gründen. Der Gläubige selbst weiß sich diesen Prozess  anfangs nicht zu erklären und spürt seine Vorteile nicht. An die fühlbaren Tröstungen gewöhnt, sucht er solche weiterhin. Da er aber keine mehr verspürt, empfindet er ihr Fehlen als eine Orientierungslosigkeit, als Leere und Unbehagen. Harrt er aber weiterhin tapfer aus, wird er bald ein bisher nicht gekanntes Wohlbefinden spüren[20]. Die einzige hilfreiche Stütze in dieser Situation der Trostlosigkeit ist der stärkende und beruhigende Glaube: „So wie Gott für unser Erkenntnisvermögen Finsternis ist, so macht er unser Erkenntnisvermögen auch blind und lichtlos.  Und so offenbart sich Gott dem Menschen nur durch dieses Mittel in göttlichem Licht, das alle Erkenntnis übersteigt. Und deshalb ist der Mensch umso mehr eins mit Gott, je mehr Glauben er hat. (…) ‘Wer sich mit Gott vereinen will, muss glauben’ (Hebr 11,6), das heißt, er muss seinen Weg zu ihm im Glauben gehen. Das muss mit einem ausschließlich im Glaubensdunkel befindlichen  und blind gewordenen Erkenntnisvermögen geschehen, denn in dieser Finsternis verbindet sich das Erkenntnisvermögen mit Gott und in ihr ist Gott verborgen.“[21]

            Die Dunkelheit der mystischen Trockenheit behindert nicht das Wirken Gottes im Gläubigen, sondern fördert und intensiviert es vielmehr. Der Eifer und das Verlangen, Gott zu dienen, wie er es verdient, sind so stark, dass sich der Gläubige über sich selbst empört, da er sich unfähig und unzulänglich fühlt, die eigenen, auch ehrlichen Bestrebungen zu verwirklichen. Er spürt kein selbstherrliches Wohlgefallen mehr für sich selbst und ist auch nicht mehr auf der Suche nach der Zustimmung der anderen, so wie er vorher besorgt war um ihr Urteil und ihr Wohlwollen. Der Gläubige übergibt sich willig Jesus Christus und will nur mehr, was Er will. Er wird  nur mehr das eine Ziel vor Augen haben, im Leben und im Tod innig mit ihm verbunden zu sein.

            Der Gläubige hat manchmal das schmerzliche Gefühl, als wolle ihn Gott auf alle mögliche Weise demütigen, verärgern, ans Kreuz schlagen. Die daraus resultierende Qual übersteigt alles Leid, was der Gläubige bisher zu ertragen hatte. Tief bewegt, beginnt der Gläubige die Worte der Heiligen Schrift zu verstehen, nach denen niemand dem Zorn Gottes widerstehen kann: „Wie lange noch, Herr? Willst du auf ewig zürnen? Wie lange noch wird dein Eifer lodern wie Feuer? (Ps 79, 5): „Würdest du, Herr, unsere Sünden beachten, Herr, wer könnte bestehen?“ (Ps 130, 3; vgl 2Kor 20, 6; Röm 9, 19ff; Apg 6, 17).

            Tag für Tag spürt der Gläubige immer schmerzlicher den unerfüllbaren Wunsch, Gott zu lieben und ihm gebührend zu dienen. Auf diese grausame Prüfung antwortet er, indem er sich in Liebe Gott unterwirft. Eingetaucht in die lange Nacht der Trockenheit, erlebt der Gläubige das verzehrende Feuer der passiven Läuterung, das ihn langsam wie in einem unerbittlichen Todeskampf verzehrt. Doch plötzlich und völlig unerwartet überflutet den Gläubigen, noch ganz eingetaucht in Dunkelheit und Prüfung, das göttliche Licht, nimmt von ihm Besitz und erfüllt ihn, wo doch erst sein Wille noch unter Trockenheit und Trostlosigkeit litt und er sich seiner Vereinigung mit Ihm nicht bewusst war; „Die Finsternis vor ihren Augen mache ich zu Licht“ (Jes 42, 16)[22]. Mit dieser Tag für Tag nach mehr Innigkeit verlangenden Liebe wird er endlich Gott zu verstehen beginnen: „Meine Leidenschaften sind besiegt worden. Es gibt nichts mehr in mir zu läutern. Es ist nur noch das Gurgeln lebendigen Wassers vernehmbar, das lautlos in mir rauscht und mir zuruft: ‚Komm zum Vater.’“[23] Diese schmerzliche Agonie, dieser mystische Tod[24], sind die schönste Krönung des Gläubigen.

Teresa der Armen: Ein Licht in der Dunkelheit

Agnes Gonxha Bojaxhio (Skopje, 26. August 1910 – Kalkutta, 5. September 1997),  wurde 1948 aus Liebe zu den Allerletzten zur Teresa der Armen. Sie teilte deren materielle und spirituelle Armut so konkret, dass sie sich selbst in schrecklicher Dunkelheit verlassen fühlte und Qualen einer tiefen, inneren Einsamkeit durchlitt. In einem gramerfüllten Gebetsdialog mit Jesus hört Mutter Teresa folgende Worte: „Du bist die untauglichste, schwächste und sündhafteste Person, aber gerade deswegen will ich dich für meine Herrlichkeit einsetzen. Willst du dich dem etwa verweigern?“[25] Mutter Teresa hat sich bis zu einem solchen Grad mit den Ärmsten unter den Armen identifiziert, dass sie das lebendige Gefühl, nicht geliebt zu werden und anderen zur Last zu fallen, mit ihnen teilte. Sie hat das Ideal des unerschütterlichen Glaubens verkörpert, das sich in der demütigen Diakonie an den Armen ganz in Liebe verwandelt, denen mehr gegeben werden muss, da sie Sakrament des leidenden Christus sind und ihn besser als jeder andere verkörpert: „In mir herrscht eine schreckliche Finsternis, als ob alles erstorben wäre. Ich lebe in diesem Zustand seitdem ich mit meiner Arbeit begonnen habe. (…) ich befinde mich in einem Tunnel (…) ich wispere die Gebete der Gemeinschaft und versuche jedem Wort die ihm eigene Süßigkeit zu entnehmen, aber mein Gebet der Einigung ist erstorben, ich bete nicht mehr.“  Mutter Teresa hat bis zur letzten Konsequenz die Liebe zu Christus und zu den Armen gelebt, ohne von einem spürbaren Glauben an Gott getragen zu werden: „Du hast mich zurückgewiesen, weggeworfen, nicht gewollt und nicht geliebt. Ich rufe, ich klammere mich fest, ich will, aber niemand  antwortet. Niemand, niemand. Ich bin allein… Wo ist mein Glaube?... Sogar in der Tiefe finde ich nur Leere und Dunkelheit. Mein Gott, wie tut diese unbekannte Qual weh… Für was plage ich mich ab? Wenn es keinen Gott gibt, dann auch keine Seele. Dann bist auch du, Jesus, nicht wirklich… Ich habe keinen Glauben. Keinen Glauben, keine Liebe, keinen Eifer. Das Heil der Seelen interessiert mich nicht, der Himmel bedeutet mir nichts… Ich habe nichts, nicht einmal die Sicherheit von Gottes Gegenwart.“[26] Wie konnte Mutter Teresa die Dunkelheit des Glaubens[27] mit ihrem unerschöpflichen Einsatz für die anderen verbinden? Ihre eigene Existenz gibt darauf die Antwort: um ein neues und größeres Werk in der Kirche entstehen  zu lassen, denn nichts kommt ans Licht, das nicht vorher um einen teuren Preis erkauft worden wäre. In einem Schreiben an ihre Schwestern, in denen sie ihnen Richtlinien gibt, die ihnen bei ihrem Einsatz helfen sollten, bringt Mutter Teresa der Armen das Leiden mit dem Glauben und der Mitarbeit am universalen Erlösungsplan Gottes für die Menschheit in Verbindung: „ (…) ohne Leiden wäre unsere Arbeit nur sozialer Einsatz, sicher sehr lobenswert und nützlich, aber es wäre nicht das Werk Jesu Christi, es wäre nicht Teil der Erlösung. Jesus wollte uns helfen, indem er uns an seinem Leben, seiner Einsamkeit, seiner Agonie, ja sogar an seinem Tod  teilhaben lassen wollte.“

Während der Versammlung (Agorà) der Jugend in Montorso bei Loreto (vom 1. – 2. September 2007) äußerte sich Benedikt XVI. gerade zu diesem Punkt: „Auch wir Gläubigen kennen das Schweigen Gottes. Kürzlich wurde ein Buch[28] über die inneren Erfahrungen von Mutter Teresa veröffentlicht. Was wir bereits wussten, kommt darin noch klarer ans Tageslicht: Trotz ihrer tiefen Liebe und Glaubenskraft litt Mutter Teresa unter dem Schweigen Gottes.“[29] Das vom Papst angedeutete Thema über die Erfahrung des sich hinziehenden Schweigens Gottes, unter dem Mutter Teresa litt, führt uns in die Mitte der Problematik, die wir hier zu beschreiben versuchen, nämlich, in die Problematik eines Gottes, der schweigt und sich zurückzieht, „der sich verbirgt.“[30] „Das Schweigen und die Leere sind so intensiv, dass ich schaue, aber nicht sehe, hinhorche, aber nichts vernehme.“[31] Es handelt sich um eine schmerzliche Anwesenheit- Abwesenheit Gottes, der sicher in der Seele da ist, auch wenn sie ihn nicht wahrnimmt. Das ist wie ein inneres Martyrium für den, der Gott nicht spürt, und so eine schreckliche und unerträgliche Leere empfindet: „(…) sobald ich versuche, meine Gedanken zum Himmel zu erheben, ist die Leere so erdrückend, dass eben diese Gedanken wie verschärfte Dolche zurückkommen und meine Seele verwunden. Man sagt mir, dass Gott mich liebt. Doch die Dunkelheit, die Kälte und die Leere sind so groß, dass nichts meine Seele berührt. War es vielleicht falsch, dass ich seinem Ruf blindlings gefolgt bin?“[32]

Anlässlich der Vorbereitung zum dritten christlichen Jahrtausend hatte Johannes Paul II. bereits das Thema der dunklen Nacht oder der Prüfung des Glaubens berührt: „(…), eine große Hilfe in Hinblick auf dieses Geheimnis kommt uns vom großartigen Erbe, das die »gelebte Theologie« der Heiligen darstellt. Sie geben uns wertvolle Hinweise, die Intuition des Glaubens leichter anzunehmen, und zwar kraft der besonderen Erleuchtungen, die manche von ihnen vom Heiligen Geist empfangen haben oder kraft der Erfahrung, die sie selbst mit jenen schrecklichen Stadien der Prüfung gemacht haben, welche die mystische Tradition als »finstere Nacht« beschreibt. Nicht selten haben die Heiligen Erfahrungen gemacht, die jenen ähnlich sind, die Jesus am Kreuz erlitten hat, eine paradoxe Verflechtung von Seligkeit und Schmerz. Im Dialog der Göttlichen Vorsehung zeigt Gott-Vater der Katharina von Siena, dass in den heiligen Seelen Freude und Leiden gleichzeitig da sein können: »Die Seele fühlt Glückseligkeit und Schmerz zugleich: sie leidet unter den Sünden des Nächsten, erlebt Seligkeit in der Gotteinung und in der Liebe, die sie empfangen hat. Sie folgt dem unbefleckten Lamm, dem Eingeborenen Sohn, der am Kreuz glückselig war und zugleich gelitten hat«. In gleicher Weise lebt Theresia von Lisieux ihren Todeskampf gemeinsam mit dem Todeskampf Jesu, und kann so bei sich selbst das Paradoxon des glückseligen und angstvollen Jesus feststellen: »Unser Herr erlebte im Garten Getsemani alle Freuden der Dreifaltigkeit, und doch war sein Todeskampf nicht weniger schmerzhaft. Es ist ein Geheimnis, doch ich versichere euch, dass ich aus eigener Erfahrung etwas davon verstehe«.“[33] Nicht selten haben die Heiligen in ihrer Seele die Todesangst Christi am Kreuz durchgemacht: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Ps 22). Mutter Teresa ist mit Christus gerade dank ihres großen Glaubens und ihrer starken Liebe verbunden, so dass sie Jesu Leiden im Garten Getsemani und am Kreuz miterlebt. Es ist die tiefe Dunkelheit der Perioden geistiger Trockenheit, innerer Trostlosigkeit, fehlenden Gebetseifers, der Erfahrung der Ferne und sogar der Abwesenheit Gottes: „Herr, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich war die Tochter deiner Liebe, die jetzt die am meisten gehasste geworden ist, die du weggestoßen und als ungewollt und ungeliebt weggeworfen hast. Ich rufe, ich halte mich fest, aber niemand antwortet mir. Niemand, niemand. Allein… Wo ist mein Glaube? Sogar in der Tiefe nichts als Leere und Dunkelheit. Mein Gott, wie schmerzlich ist diese unbekannte Qual… Ich habe keinen Glauben. Ich wage nicht die Worte und Gedanken auszusprechen, die sich in meinem Herzen anhäufen und mir eine unsagbare Todesangst verursachen.“[34]

Aus Liebe zu den Armen hatte Teresa das Bewusstsein um ihre Gotteinung und den Trost geopfert, und litt einerseits unter dem schrecklichen Schmerz dieses Verlustes, andererseits unter einem unerträglichen Verlangen nach Gott, einem unlöschbaren Durst nach Gott: „Wenn Dir mein Leid, meine Dunkelheit und Trennung von dir auch nur einen Tropfen Trost spendet, mein Jesus, dann tu mit mir was du willst… Präge meiner Seele und meinem Leben die Leiden deines Herzens ein… Ich will Deinen Durst mit jedem Blutstropfen, den du in mir findest, stillen. Du brauchst Dich nicht zu beeilen, bald zurückzukehren:  ich bin bereit, ewig auf dich zu warten“. „Ich will Gott lieben, wie er von niemandem bis jetzt geliebt worden ist. (…) Sollte ich einmal eine Heilige werden, dann werde ich sicher eine Heilige der Dunkelheit sein. Ich werde weiterhin vom Paradies abwesend sein, um jenen Licht zu spenden, die auf Erden in Dunkelheit leben. Ich will ewig leiden, wenn das möglich ist.“[35] Ihre Solidarität mit den Ärmsten der Armen, besonders mit Dem, der reich war, aus Liebe aber arm wurde (vgl. 2Kor 8,9), geht bis zu den letzten Konsequenzen: „Ich liebe jetzt die Dunkelheit, denn ich glaube, dass sie ein Teil, ein ganz kleiner Teil der Dunkelheit und der Leiden Jesu auf Erden ist… Heute empfinde ich eine tiefe Freude darüber, dass Jesus nicht mehr über seinen Todeskampf hinaus leiden kann, dass er ihn aber durch mich erleiden will.“

Die apostolische Nacht

Für den hl. Johannes vom Kreuz und die hl. Teresa von Jesus, der „Lehrerin der Kirche und des geistlichen Lebens[36], ist das mystische Leben wesentlich ein Gebetsleben. Wir müssen aber, ohne das Magisterium solcher Kirchenlehrer in Frage zu stellen, unseren Horizont erweitern, wollen wir nicht die weite Palette der mystischen Erfahrungen auf diese einzige, wenn auch sehr wichtige Typologie reduzieren. Zudem würde man Gefahr laufen, bei der geistlichen Begleitung der Gläubigen eine solche Strenge anzuwenden, dass selbst Gottes Handeln gehindert oder vereitelt werden könnte, der doch der Urheber  und Verteiler aller Charismen ist.

In der Kirche gibt es nicht nur das mystische Leben, das aus Kontemplation und Gebet besteht, es gibt auch eine apostolische Mystik wie jene von Paulus, dem ersten Ideologen einer Missionstheologie und eines langsamen aber nicht mehr umkehrbaren Prozesses von Inkulturation der Kirche (vgl. Ap 17, 22-28), oder von Heiligen wie Bartolomé de las Casas, Turibio de Mogrovejo, Vinzenz von Paul, Maria von der Menschwerdung, Paulus vom Kreuz[37] Giustino de Jacobis, Daniel Comboni, Charles de Foucauld,… und von vielen anderen großen Mystikern, obwohl ihr geistiger Weg nicht auf jenen klassischen und von den großen Kirchenlehrern und Mystikern des Karmel kodifizierten zurückgeführt werden kann[38].

In der ersten Hälfte des XVII. Jahrhunderts behandelte Michel Wadding[39] nach der Beschreibung der passiven Läuterung der Kontemplativen, den bestehenden Unterschied zwischen dieser und den harten Prüfungen, denen die Missionare ausgesetzt waren: „Alle, die von Gott anders behandelt werden, lässt er unter großer Trostlosigkeit leiden; aber die häufigsten Läuterungsmittel sind Verfolgungen, Verachtung, ständige Reisebeschwerden, Gefahren zu Wasser und zu Land [40], Verleumdungen, Eifersüchteleien, Opposition. Einen solchen Weg gingen Paulus, Athanasius, Thomas, Bonaventura, Ignatius, Franz Xaver, usw…“[41]. Diese letzte Überlegung des irischen Jesuitenmissionars, der Mexiko als Adoptivheimat angenommen hatte, ist von grundlegender Bedeutung, da nach ihm die apostolischen Arbeiter von Gott auf andere Weise Prüfungen unterworfen werden, die aber nicht weniger realistisch sind als die Prüfungen jener, die sich ausschließlich der Kontemplation und dem Gebet widmen. Der originellste und wertvollste Aspekt der sorgfältigen Untersuchungen der Lehre von Michel Wadding[42] besteht gerade in der Gleichstellung der passiven Läuterung mit den apostolischen Leiden, um den Missionar in die gottgewirkte Kontemplation einzuführen[43]. Hören wir, was der Autor selber sagt: „Ich kannte mehrere solcher Missionare, denen Gott einen hohen Grad an gottgewirkter Kontemplation gewährte und in ihren armseligen Hütten die reiche Ernte ausschüttete, die sie mit so viel Eifer auf den weit verstreuten Missionsstationen ausgesät hatten…“[44] Nach M. Wadding[45] gibt es wichtige mystische Gnaden im Leben von Missionaren, die  gleichzeitig auch eine wichtige Stütze in ihren Mühen und eine Belohnung für sie sind. Im apostolischen Dienst erstrahlt die Liebe Gottes in einem so reinen und intensiven Glanz, dass er mit der Kontemplation der größten Mystiker der Kirche vergleichbar ist.

Die Widrigkeiten, die die Missionare bei der Verkündigung des Evangeliums auf sich nehmen mussten, haben nicht nur den Zweck verfolgt, sie gründlich zu läutern, sondern darüber hinaus ihnen auch zu helfen, sich ihrer Grenzen bewusst zu werden, und sie in den verschiedenen Tugenden zu ertüchtigen. Dieses Freiwerden genügte jedoch noch nicht; die von ständigen Mühen geprüften und verfolgten Apostel sind an dem Punkt angelangt, an dem sie sich als „Abschaum der Welt, von allen verstoßen“ betrachten (1Kor 4, 13). Der Völkerapostel wurde in seinem Leben allen möglichen Prüfungen unterworfen und sein Körper wurde wegen seiner Krankheit noch gebrechlicher: „es wurde mir ein Stachel ins Fleisch gestoßen, ein Bote des Satans, der mich mit Fäusten schlagen soll“ (2Kor 12, 7). Auf seine Bitte hin, ihn vom ständigen Leiden zu befreien: „Wer wird mich aus diesem dem Tod verfallenen Leib retten?“ (Rm 7, 24), erhielt er die eher harsche Antwort: „Meine Gnade genügt dir; denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit“ (2Kor 12, 9).

Gott Vater will, dass jeder Glaubensbote seinem Eingeborenen Sohn gleichförmig gemacht wird, der „sich entäußerte und wie ein Sklave wurde“ (Phil 2, 7), um die Welt zu retten. In der Tat, so wie Christus die Welt durch die schmerzliche Erfahrung seiner Verlassenheit am Kreuz erlöst hat, so müssen auch jene, die sich dem apostolischen Dienst in den Missionen widmen, das gleiche Mysterium des Leidens und des Todes durchmachen: „so erweist an uns der Tod, an euch aber das Leben seine Macht“ (2Kor 4, 12). Diese Tatsache kann für jene Missionare eine Lehre und eine Ermutigung sein, die in der Nacht des Geistes ihre Arbeit verrichten, ohne irgendwelchen Trost von Seiten des Meisters spüren, den sie mit so viel Elfer verkünden. Der Missionar, den der Herr an seiner Passion teilhaben lässt, kann sich die Worte des Paulus zu Eigen machen: „Ich bin mit Christus gekreuzigt worden; nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2, 20). Hätten wir Christen eine Ahnung, welcher Preis für die Heiligkeit der Kirche bezahlt wird, würden wir die „wunderbaren Taten“ der wagemutigen Glaubenszeugen und ihre bedingungslose Treue zu Christus und zur Kirche viel höher schätzen.

Das mystische Leben drückt der Arbeit des Apostels den Stempel Christ auf, so dass Christus den Apostel nicht nur an seinem Plan der universalen Erlösung teilhaben lässt, sondern darüber hinaus sich mit ihm vereinigt und durch ihn wirkt. In Hinblick auf dieses spezifische Ziel formt Gott den Apostel nach dem Bilde Christi, des Apostels des Vaters schlechthin (vgl. Hebr 3, 1), um aus ihm ein geeignetes Werkzeug für die Erlösung aller Völker zu machen. Der Apostel muss sich von jeder Form narzisstischen Geltungsdrangs und von zu individualistischen Ideen  in „seiner“ pastoralen Arbeit freimachen.

Die Läuterung behält sich der Heiligen Geist selber vor. Diese geschieht mittels inniger Kontemplation, durch die apostolische Tätigkeit selbst, als auch durch heftige Widerstände der Menschen (vgl. Joh 15, 20), durch Unverständnis und Krankheiten. Die Heilsfrüchte sind dabei aber stets ansehnlich, aber nur Gott kann das Urheberrecht beanspruchen. Christus, der sich des Apostels für das Heil der Menschen bedient, offenbart sich als der Gute Hirt, den es nachzuahmen, und als der sichere Weg, den es ohne Zögern bis zum Ende zurückzulegen gilt.

Die zahllosen Entbehrungen, die der Missionar auf sich nehmen muss, haben nicht eine tiefere und vollkommenere Kontemplation zum Ziel, wie in den klassischen Regeln der asketischen und mystischen Theologie dargelegt, sondern befähigen den Apostel, immer fügsamer, geeigneter und bereitwilliger für die Mission Jesu Christi zu werden, der mit Hilfe der bereiten Mitarbeit des Apostels seinen Erlösungsplan für die gesamte Menschheit verwirklichen wird.

Die apostolische Nacht des Heiligen Daniel Comboni

Comboni spürte gleich zu Beginn seines Missionslebens (1857) am eigenen Leib die Läuterung, die Gott von ihm mit wachsender Eindringlichkeit forderte. In einem Brief an seinen Heimatpfarrer sprach er vom schweren Opfer, das ihm die Trennung von seinen alten Eltern verursachte, war er doch das einzige ihnen verbliebene Kind einer großen Kinderschar. „Zwei große Schwierigkeiten erschrecken und hindern mich, in die Mission zu gehen, und beide sind außergewöhnlich. Die erste betrifft den Gedanken, die zwei armen Eltern zu verlassen, die keinen anderen Trost auf dieser Welt haben als einen einzigen Sohn.[46] Im Glauben aber fand er den Mut des Apostels, der dem rufenden Meister nachfolgt: „Ich bin ein Märtyrer aus Liebe zu den am meisten verlassenen Seelen der Welt und ihr werdet Märtyrer aus Liebe zu Gott, indem ihr für das Seelenheil euren einzigen Sohn freigebt. Habt Mut, meine lieben Eltern.“[47] Comboni litt sehr unter dieser schmerzlichen Trennung, klagte aber nie darüber, vielmehr pries er Gott und dankte ihm: „Gepriesen sei der Herr, der mich auf dem Kreuzweg begleitet hat.“[48] Anlässlich der traurigen Nachricht vom Tod seiner Mutter schrieb er an seinen Vater Luigi, der nun allein in dem großen, leeren Haus in Limone sul Garda wohnte: „Meine Mutter ist also nicht mehr da?... Der unerbittliche Tod hat also die Tage meiner guten Mutter beendet?... Ihr steht nun ganz allein da, obwohl ihr einmal inmitten von sieben glücklichen Kindern gelebt hattet, umsorgt und geliebt von der Frau, die Gott auserwählt hatte, eure unzertrennliche Lebensgefährtin zu sein?... Ja; so hat es die göttliche Vorsehung gewollt. Gott sei ewig gepriesen, der alles so gefügt hat; gepriesen sei jene weise Hand, die sich gewürdigt hat, euch in diesem Tal der Verbannung und der Tränen heimzusuchen.“[49]

Auf diese Weise bereitete Gott Comboni auf seine Missionsarbeit in Afrika vor. Er läuterte ihn mit schwierigen Entscheidungen und dem Verzicht auf die heiligsten und natürlichsten  Gefühle. Gott härtete ihn ab, damit sein Missionseinsatz für die Völker Afrikas Christi eigene Handlung werde. Angesichts der Anforderungen seines Missionsberufes ad Gentes, hatte Comboni frühzeitig erkannt[50], dass er ganz neu anfangen musste: er musste wiedergeboren werden (vgl. Joh 3, 3), er musste wie ein Kind werden (vgl. Mt 18, 3), und schließlich auf alles verzichten, wirklich auf alles, einschließlich auf seine Eltern (vgl. Mt 10, 37; 16, 24; Lk 14, 26; Joh 12, 24-26). Es ging um eine Mission der Selbstentäußerung, des demütigen Dienstes für das Kommen des Reiches Gottes unter den Menschen. Allmählich veränderten diese Gefühle Comboni, machten ihn zu „einem neuen Menschen“ auf dem Felsenfundament des Glaubens, ohne aber sich selbst zu verherrlichen oder dem aufflammenden Feuer des etwas naiven und fundamentalistischen Neulings anheimzufallen. Comboni wusste nur zu gut aus eigener Erfahrung, dass es vor allem der Gnade Gottes bedurfte, um den Völkern im Allgemeinen und jenen Afrikas im Besonderen Christus zu bringen. Auch  wenn Christus sein Blut für  das Heil aller Völker vergossen hatte, so sind sich doch nicht alle dieser außerordentlichen Heilstat bewusst. Die leidvolle Klage, die allen Propheten und Aposteln gemeinsam ist, wiederholt sich und aktualisiert sich ständig: „Wer hat unserer Kunde geglaubt?“ (Jes 53, 1). Die Apostel spüren am eigenen Leib die Ablehnung des Evangeliums von Seiten eines großen Teils der Menschheit: „Doch nicht alle sind dem Evangelium gehorsam geworden“ (Röm 10, 16). Deshalb wird eine noch stärkere Motivation und ein noch größerer Einsatz verlangt, um überall und allen das Evangelium Christi zu verkünden. Aus diesem Missionseifer heraus hinterlegte Comboni für alle kommenden Comboni-Missionare, die wie er in der Arena der Erstevangelisierung auftreten würden, in den Regeln des Instituts (1871) das kostbarstes und wichtigstes Erbe: „Die Kandidaten werden zu dieser grundlegenden Verfügbarkeit erzogen, indem sie Jesus Christus mit liebendem Herzen stets im Blick behalten und sich bemühen, immer besser zu verstehen, was ihnen Gott sagen will, der zum Heil der Menschen selbst am Kreuz gestorben ist.“[51] Diese Worte erinnern an viel ältere und maßgebende Aussagen, die aber in überraschender Weise mit diesen übereinstimmen: „Wer das Leiden Christi wirklich ehren will, muss Christus mit den Augen des Herzens anschauen, um in seinem Fleisch das eigene Fleisch wiederzuerkennen (…). Niemandem wird der Sieg des Kreuzes verweigert (…). Das heilige Blut Christi hat das Feuer jenes Flammenschwertes gelöscht, das den Zutritt zum Reich des Lebens versperrte.“[52]

Diese Überzeugung erfüllte sein Herz, seine Seele und seinen Geist mit einem tiefen inneren Schmerz: „Willst du eine Wunde heilen, Er ist Arzt. Wenn du vor Fieber brennst, Er ist Quelle. Wenn dich die Bosheit erdrückt, Er ist Gerechtigkeit. Wenn du Hilfe brauchst, Er ist Stärke. Wenn du den Tod fürchtest, Er ist Leben. Sobald du dich nach dem Himmel sehnst, Er ist Weg. Wenn du die Finsternis fliehst, Er ist Licht. Wenn du hungrig bist, Er ist Speise.“[53] Die volle innere Zustimmung Combonis zu dem von der Gnade Christi den Afrikaner vorbehaltenen Erlösungsplan führte ihn dazu, sein Leben der gemeinsamen Sache zu weihen und es mit jenen zu teilen, die als die Ärmsten unter den Armen seiner Zeit galten, da ihnen jener Reichtum fehlte, der allein sie zu Kindern Gottes machen konnte: der Glaube. Mancher Lichtstrahl würde im Verlauf seiner 50 Lebensjahre (1831-1881) die tiefe Nacht seiner Seele aufreißen, aber es würden nur flüchtige Strahlen von kurzer Dauer sein. Die Nacht würde dann wieder als unbestrittene Herrscherin über ihn  kommen, um seinen Glauben auf die Probe zu stellen: „Ich habe ernstlich überlegt, ob ich, angesichts meiner Nichtigkeit und Schwäche, der afrikanischen Mission, die sicher die schwierigste und dornigste der Welt ist, noch nützlich sein kann, oder ob ich ihr zum Schaden gereiche. Denn ich bin jetzt wegen der dauernden Mühen, Entbehrungen, Krankheiten, Fieberanfällen, Herzeleid, Auseinandersetzungen und Widersprüche, besonders während der letzten schrecklichen Dürreperiode und der Epidemie, viel empfindlicher Schicksalsschlägen gegenüber geworden und empfinde große Schwäche, wenn es gilt, Kreuze auf mich zu nehmen. Aber nachdem man immer nur auf Gott und seine Gnade vertrauen soll, und jener, der auf sich selbst vertraut, der größte Esel dieser Welt ist, und nachdem die Werke Gottes zu Füßen des Kreuzes geboren und mit dem anbetungswürdigen Siegel seines Kreuzes versehen werden müssen, habe ich beschlossen, mich in die Arme der göttlichen Vorsehung zu werfen, die Kraftquelle der Armen und ständige Verteidigerin der Unschuld und Gerechtigkeit, und mich meinen Oberen anzuvertrauen mit der Bitte, mich in meinem Unternehmen zu unterstützen.“[54] Das ist keine isolierte Überlegung in seinen vielen Schriften. Seine Reflexion geht weiter, aber immer in die gleiche Richtung. Seine apostolische Nacht hat ihren Gipfel erreicht. Comboni ist überzeugt, dass wirklich er das große Hindernis auf dem Weg der Evangelisierung jener Völker Afrikas ist, die Pius IX. seiner apostolischen Hut anvertraut hatte. Wie die Kontemplation paradoxerweise das Mittel zur Läuterung des Kontemplativen ist, so wird das apostolische Ideal zum Mittel der Läuterung des Glaubensboten: „Im Verlauf meines beschwerlichen Unternehmens hatte ich mehr als hundertmal das Gefühl, von Gott, dem Papst, den Oberen und von allen Menschen (…) verlassen zu sein. In meiner Verlassenheit und Trostlosigkeit quälte mich mehr als hundertmal eine große Versuchung, alles aufzugeben, mein Amt niederzulegen und mich als demütigen Diener dem Heiligen Stuhl oder dem Kardinalpräfekten oder einem Bischof zur Verfügung zu stellen. Meinen Beruf aber habe ich nie in Frage gestellt (…). Was mir stets Mut gemacht hat, auf meinem Posten bis zum Tod oder bis zu anderweitigen Entscheidungen des Heiligen Stuhls auszuharren, war die Gewissheit über meine Berufung, denn P. Marani hatte mir nach reiflicher Überlegung am 9. August 1857 gesagt: ‚Eure Berufung für die Afrikamission ist eine der klarsten, die ich je gekannt habe’“[55] Wenn es wahr ist, dass die Worte das Herz eines Menschen offenlegen[56], dann übermittelt uns dieser Brief die grenzenlose Einsamkeit eines Menschen, der die schmerzvolle Erfahrung gemacht hat, von Gott und den Menschen, von allen verlassen worden zu sein. Er fand sich wie eingetaucht in eine schmerzende Liebe und in einen liebenden Schmerz. Es ist noch einmal Paulus, der Comboni an die Beweggründe vom Glauben her erinnert, um in dieser Lage auszuhalten, die ohne Lösungen zu sein schien: „Ich bin überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll. (…) Wir wissen, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt, bei denen, die nach seinem ewigen Plan berufen sind. Denn alle, die er im Voraus dazu bestimmt hat, an Wesen und Gestalt seines Sohnes teilzuhaben, damit dieser der Erstgeborene von vielen Brüdern sei. Die aber, die er vorausbestimmt hat, hat er auch berufen, und die er berufen hat, hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, hat er auch verherrlicht“ (Röm 8, 18. 28-30).

Der Grad der Verlassenheit, der Einsamkeit und der Trostlosigkeit hat hier seinen Höhepunkt erreicht, so dass für weitere Prüfungen und Verbitterungen kein Platz mehr da ist, dass das Maß voll ist. Doch das Herz der Liebenden ist stets voll von unerwarteten Ressourcen und versetzt immer wieder in Staunen über die Fähigkeit, noch mehr lieben zu können: „Ich bin wirklich sehr unglücklich. Sicher werden mir Gott, die Jungfrau Maria und der heilige Josef helfen: ich danke Gott für die Kreuze, aber mein Leben ist ein Meer von Kummer, den mir jemand bereitet hat, der gut ist und mich liebt. Mein Gott! Guter Himmel (…). Mein Herz ist erstarrt. Aber Afrika wird sich bekehren, (…), und Gott wird mir helfen, das Kreuz zu tragen. (…) Wir sind für Kreuze bereit. (…), beten sie für mich, denn ich bin der am meisten geplagte und entmutigte Mensch der Welt, (…). Es lebe Jesus!“[57] Eine Mission kann nicht erfüllt werden, solange wir stark und sicher sind, sondern erst wenn wir gebrechlich, orientierungslos und unfähig sind weiterzugehen: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“ (2Kor 12, 10).

Comboni, der jeden Tag dem Tode nahe war, wurde dadurch zum Apostel und Missionar (vgl. 1Kor 15, 31; 2Kor 12, 10). Bereit auch in den Abgrund der Selbstentäußerung (Kenosis) zu steigen, war sich Comboni voll bewusst, dass er umso näher an der Morgendämmerung seiner Auferstehung war, desto schmerzhafter seine apostolische Nacht wurde. Das Kreuz und die Auferstehung halten sich gegenseitig die Waage. Die Auferstehung beherrscht und besiegt das Kreuz für immer. Die Auferstehung ist Gottes Schlusswort zur Demütigung seines Eingeborenen Sohnes.

Das zentrale Thema der Missionsbotschaft ist die Auferstehung Christi. Das heißt soviel, dass die Kirche den Auftrag hat, die Auferstehung „hier und jetzt“ zu leben, und berufen ist, in der Welt von heute Zeichen des Widerspruchs zu sein in Bezug auf die Kräfte des Hasses, des egoistischen Lebenssystems und der sich ausbreitenden Gleichgültigkeit in der heutigen Gesellschaft.

Schlusswort

Den christlichen Mystikern wurde nicht das Privileg des Martyriums zuteil, und doch haben sie in allem und ganz von der Nähe die Passion Christi nachgeahmt. Christus ist das einzige Modell sowohl der Kontemplation als auch der Mission. Das ist die grundlegende Bedeutung, der besondere Charakter der christlichen Mystik, die sie von den Mystiken der anderen großen Religionen der Menschheit unterscheidet und sie einmalig, einzigartig und unwiederholbar macht.

Die mystischen Wege heben die Vielfalt und Vielschichtigkeit, aber auch die große Verschiedenheit der Charismen hervor, der hervorragenden Gaben des Heiligen Geistes, die einzelnen Gläubigen zum Aufbau des heiligen Gottesvolkes verliehen werden. Diese so wertvollen und verschiedenartigen Gaben dienen als Grundlage für noch größere und erhabenere Gnaden. Das Ideal des mystischen Lebens ist die umgestaltende Gotteinung durch ein Leben der Kontemplation, der agape und der demütigen Diakonie an den Armen, die authentische Epiphanie Christi auf Erden, denn „er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen“ (2Koe 8, 9).

Nur die Mystiker wurden vom Heiligen Geist befähigt, uns in jenes „Geheimnis“ oder in „jene Verborgenheit“, in jenes „Innere[58] zu geleiten, das wir mit kindlichem Vertrauen auf den himmlischen Vater, der im Verborgenen wohnt (vgl. Mt 6, 6), zu entweihen gewagt haben. Schon von hier aus können wir die überirdischen Freuden erahnen, das Unsichtbare schauen, auf das unhörbare Flüstern Gottes achten, der unserer Aufmerksamkeit auf sich richtet, aber nur die Mystiker können das Unsichtbare wahrnehmen, das sich von allem Geschaffenen durch seine Fähigkeit unterscheidet, das unruhige und geplagte Menschenherz ganz zur Ruhe zu bringen.  Nur sie vernehmen die leise Stimme Gottes, denn sie hören nicht mehr auf den Lärm und auf unser aufdringliches Geschwätz, und auch nicht mehr auf unsere eigennützigen und eintönigen Gebete: „da wir nicht auf das Sichtbare starren, sondern nach dem Unsichtbaren ausblicken; denn das Sichtbare ist vergänglich, das Unsichtbare ist ewig“ (2Kor 4, 18).

 

GEBET

Herr, das Licht schont sich nicht, es verschenkt sich,

um zu leuchten, zu erwärmen und die zu heilen,

denen es an Liebe fehlt und die in der Dunkelheit erkrankt sind.

Du verschonst dich nicht, sondern verschenkst dich und teilst dich mit.

Wo das Licht eindringt, gibt es Heilung und Befreiung,

und viele andere Zeichen werden sichtbar, die vom Licht Zeugnis geben.

Herr, schenke Deiner Kirche die Gnade, ständig in der Epiphanie zu leben,

damit die Verkündigung des Evangeliums

von Zeichen begleitet und ihr Macht verliehen wird,

die Kinder zu heilen, die sie in ihrem Schoß trägt.

Oh Herr, lass nicht zu,

dass meine Nacht ganz finster und schwarz ist.

Wenn du aber in ihr wohnst, wirst du mir auch Augen geben,

in der Dunkelheit das helle Licht deines väterlichen Antlitzes zu erkennen.

AMEN

 


[1] Hexameron ist ein Kommentar zu den sechs Schöpfungstagen (Gen. 1,1-26) in Form einer ‚Predigt’ in sechs Bänden. Es schöpft aus dem Hexameron des HL. BASILIUS DES GROSSEN (329 – 379).

[2]Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14, 6).

[3]Da erhob sich im Hohen Rat ein Pharisäer namens Gamaliel, ein beim ganzen Volk angesehener Gesetzeslehrer“ (Apg 5, 34; vgl. auch 22, 3).

[4]In meiner Bestürzung sagte ich: Die Menschen lügen alle“ (Ps 116, 11); „Tränenbäche strömen aus meinen Augen, weil man dein Gesetz nicht befolgt“ (Ps 119, 136 XVII Pe).

[5] Vgl. Hl. TERESA VON AVILA, Innere Wohnungen, V. 2, 4-6.

[6] Der Christ ist zwischen Eigenliebe und Gottesliebe geteilt (vgl. 1 Kor 7,32-34). „An dem Tag, an dem ich mich von mir selbst befreite, begann ich das Gebet zu genießen“ (Hl. Alfons Rodríguez).

[7] Hl. JOHANNES VOM KREUZ, 1. Aufstieg auf den Berg Karmel, 4, 1.

[8] ID. 3. Aufstieg auf den Berg Karmel, 13.1.

[9] „ (…) du hast uns für dich erschaffen, und unsere Seele ist unruhig bis sie Ruhe findet in dir“ (hl. Augustinus).

[10] 10. August, Vesper des Hl. Laurentius, Antiphon zum Magnificat.

[11] „Sobald wir sündigen, sollen wir Missfallen über uns selbst spüren, denn die Sünden missfallen Gott zutiefst. Da wir feststellen, dass wir nicht ohne Sünde sind, versuchen wir wenigstens darin Gott ähnlich zu sein, indem uns missfällt, was Gott missfällt. Irgendwie bist Du mit Gottes Willen verbunden, da dir alles missfällt, was Dein Schöpfer hasst.“ (Hl. AUGUSTINUS, Reden, 19, 3).

[12] HL. JOHANNES VOM KREUZ, 1. Aufstieg auf den Berg Karmel.

[13] HL. AUGUSTINUS, De Trinitate, XIV, 8.

[14] 22. Juli, Hl. Maria Magdalena, Laudes, 2. Antiphon.

[15] HL. JOHANNES VOM KREUZ, 2. Dunkle Nacht, II, 1, 1.

[16] ID., Die lebendige Liebesflamme B, Strophe 4, 17.

[17] ID., 2. Dunkle Nacht, III. 3.

[18] Deutscher evangelischer Pfarrer und Theologe, eine der Hauptfiguren des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Geboren in Breslau (heute Polen) am 4. Februar 1906; gestorben im Konzentrationslager Flossenbürg, Bayern, am 9. April 1945.

[19] HL. JOHANNES VOM KREUZ     , die lebendige Liebesflamme B, 2. Strophe 2, 27.

[20] Vgl. ID., 1. Dunkle Nacht, 9, 4. Hier wird von den Zeichen gesprochen, die helfen, die von der passiven Reinigung verursachte Trockenheit von jener der Lauheit zu unterscheiden.

[21] ID., 2. Aufstieg auf den Berg Karmel, 9. 1.

[22]Dann geht im Dunkel dein Licht auf, und deine Finsternis wird hell wie der Mittag“ (Jes 58, 10); „Auch die Finsternis wäre für dich nicht finster, die Nacht würde leuchten wie der Tag, die Finsternis wäre wie Licht“ (Ps 139, 12).

[23] HL. IGNATIUS VON ANTIOCHIEN; Brief an die Römer 8, 2.

[24] Vgl. HL. PAUL VOM KREUZ, der mystische Tod, Briefe.

[25] Brief an Erzbischof Ferdinand Périer von Kalkutta, Januar 1947. Ähnliche Worte sprach Jesus zur hl. Angela da Foligno (1248-1309) und zur hl. Gemma Galgani (1878-1903).

[26] IDEM, 1956.

[27] S. GAETA, der Glaube kollidiert mit der “dunklen Nacht”, in Das Geheimnis von Mutter Teresa.

[28] „Mother Teresa, Come be my light. The private writings of the Saint of Calcutta”, by B. Kolodiejchuk, Doubleday books, New York 2007. In diesem Buch wurden 60 an verschiedene geistliche Leiter und Beichtväter der Ordensschwester geschriebene Briefe veröffentlicht.

[29] Benedikt XVI., Antworten an die Jugend während der Gebetsvigil, Samstag, den 1. September 2007; zweite Antwort des Papstes an Sara.

[30] Für BLAISE PASCAL verbirgt sich Gott oft im Menschen (Deus absconditus): weil einerseits der Mensch so voller Sünden ist, dass er ihn nicht sehen kann, oder um das Erkenntnisvermögen des Menschen zu demütigen, der überheblich würde, wenn er Gott entdeckte.

[31] Brief an ihren geistlichen Führer P. Michael Van der Peet, September 1979.

[32] Eine an Gott gerichtete Bitte, auf Anraten eines Beichtvaters; ohne Datum.

[33] JOHANNES PAUL II., Novo millennio ineunte, 6. Jänner 2001, 27.

[34] Eine an Gott gerichtete Bitte, auf Anraten eines Beichtvaters; ohne Datum.

[35] Teresa von Kalkutta sollte zur “Beschützerin der Ungläubigen” erklärt werden, die Gott suchen, obwohl sie nicht glauben. Das Wort „gottlos“ hat eine aktiven und einen passiven Wert, nämlich Gott ablehnen, aber auch von Gott abgelehnt zu werden. Beim ersten handelt es sich um einen bewussten Atheismus, beim zweiten um einen Atheismus der Reinigung.

[36] Definition von M. Wadding, in: Prática de la teología mística, Puebla (México)

[37] Vgl. J. LEBRETON, Tu solus sanctus. Jésus Christ  vivant dans les Sants. Etudes de théologie mystique, Beauchesne et ses Fils, Paris 1949.

[38] Zu den Kirchenlehrern Teresa von Avila und Johannes vom Kreuz gehört auch Teresa vom Kinde Jesu und vom Heiligen Antlitz, die am 19. Oktober 1997 von Johannes Paul II. zur Kirchenlehrerin ernannt wurde.

[39] Geboren  1586 in Waterford (Irland), gestorben Ende 1644. Er war ein großer Kenner der übernatürlichen Stadien und Fachmann in geistlicher Begleitung. Sein Werk: Prática de la teología mística.

[40] Vgl. 2Kor 11, 23-27; Apg 14, 19.

[41] Praxis theologiae mysticae, Übersetzung von HENRI WATRIGANT: „Ich glaube, dass es selten einen Kontemplativen gibt, der voller Wonne ist, ohne vorher eine Zeit der Verlassenheit durchgemacht zu haben; wenn die Kontemplation ohne diese Erlebnisse kommt, wird es eine Ausnahme von der Regel sein oder es wird sich um eine kurze Kontemplation handeln.“

[42] Als Bischof Alfonso de Cuevas y Dávalos von México im 1681 die 1. Ausgabe des Buches von M. Wadding mit dem Imprimatur versah, musste er bezeugen, dass sein Leben voll mit der Lehre seiner Schriften übereinstimmte.

[43] Vgl. E.J. BURRUS, Michel Wadding. Mystic and missionary (1586-1644), in The month, 1954.

[44] M. WADDING, Practice of Mystical Theology, 3. Band, Kapitel VII. In diesem Buch findet sich die vollständigste Beschreibung seiner Missionsarbeit, wo er die vielfältigen Entbehrungen der Jesuitenmissionare in Mexico des XVII. Jahrhunderts schildert.

[45] “Ein Mann mit scharfem Verstand und gesundem Urteil, der jedwede Apostolatsform anwendet, um den Menschen zu helfen, damit sie sehen und Gutes tun; der mit Selbstaufopferung das Gemeinwohl sucht; er ist vornehm und mutig, geduldig und selbstbeherrscht, der andere mehr mit seinem Beispiel als mit Worten oder Drohungen überzeugt.“ (Practice of Mystical Theology, 3. Band, Kapitel IX-X ).

[46] D. COMBONI, Brief an Don Pietro Grana Verona, 4. Juli 1857; Gli Scritti, Roma, 1991, S. 6.

[47] ID., Brief an seinen Vater aus dem Sudan (Kich), 5. März 1858.

[48] ID., Brief an seinen Vater aus dem Sudan (Korosko), 9. Dezember 1857.

[49] ID., Brief an seinen Vater aus dem Sudan (Kich), 20. November 1858.

[50] Am 6.1.1849 hatte Comboni zu Füssen seines Erziehers Don Nicola Mazza seinem Missionsideal Treue geschworen.

[51] D. COMBONI, Regeln des Instituts, 1871.

[52] HL. LEO DER GROSSE, Ansprachen.

[53] HL. AMBROSIUS, De virginitate, XVI, 99-106.

[54] D. COMBONI, Brief an Kardinal Giovanni Simeoni, Verona, am 27.08.80.

[55] ID., Brief an P. Giuseppe Sembianti, El-Obeid (Sudan), 16. Juli 1881.

[56] „Denn wovon das Herz voll ist, spricht der Mund“ (Mt 12, 34).

[57] D. COMBONI; Brief an P. Giuseppe Sembianti, 24. Juni 1881.

[58]Ambulare cum Deo intus.“ (De laetizia bonae conscientiae, in De imitatione Christi, 2. Buch, Kapitel 6. 4)

P. Antonio Furioli mccj