Samstag, 27. Juli 2024
Nach nur zwei Jahren unter den Dinka in Mapuordit bin ich nun in der Mission Old Fangak unter dem Volk der Nuer tätig, die in den Sümpfen und Savannen auf beiden Seiten des Nils leben. Sie sind die zweitgrößte ethnische Gruppe im Südsudan mit etwa 1,8 Millionen Menschen. Die Nuer sind Viehzüchter, die von Milch und Fleisch ihrer Herden leben, aber auch vom Fischfang und vom Anbau von Hirse.

Da ihr Land einen Teil des Jahres überschwemmt wird, siedeln sie während der Regenzeit in festen Dörfern, die auf einer Anhöhe gebaut sind. Die Trockenzeit verbringen sie dagegen in Lagern entlang des Flusses.

Wir sind hier auf der Station drei Missionare, Pater Pedro aus Guatemala, Pater Roy aus Peru und ich aus Südtirol. Unser Dorf, Old Fangak, liegt im Nordwesten des Staates Jonglei. In dieses Gebiet führen keine Straßen. Wohl aber fließt hier ein Nebenfluss des Weißen Nils, der Bahr el Zeraf. Der Name ist arabisch und bedeutet so viel wie „Fluss der Giraffen“. Wir liegen hier im Sudd, einem riesigen Sumpfgebiet, das vom Weißen Nil gebildet wird und zu den größten Sümpfen der Welt gehört. Weil es keinerlei Straßen für Fahrzeuge gibt, können die Dörfer und Kapellen nur zu Fuß oder mit dem Boot erreicht werden.

Das Christentum ist hier bereits seit etwa einem Jahrhundert bekannt und kam zunächst durch anglikanische und dann durch presbyterianische Missionare in diese Gegend. Die katholischen Nuer lernten ihre Kirche zuerst als Flüchtlinge außerhalb ihrer Heimat, in der Hauptstadt Khartum oder in Äthiopien kennen. Während des Bürgerkriegs kehrten sie in ihr Gebiet zurück und gründeten als Katechisten, als Laien ohne Priester katholische Kapellen. In den 1980er und 1990er Jahren wurden dank dieser Katechisten Zehntausende von Nuer zu Christen. Die „offizielle amtliche Kirche“ kam erst 1998 nach Old Fangak, als zwei Comboni-Missionare von Nuer-Katholiken eingeladen wurden, eine Mission zu gründen.

Wir Missionare sind sehr dankbar, dass wir gemeinsam mit diesen „Laien“, mit Männern und Frauen auf dem Weg sein dürfen. Wir unterstützen sie und ermutigen sie, aktiv Verantwortung zu übernehmen, und stärken sie in ihrer Arbeit. Seit der Gründung der Pfarrei bauen wir auf die Gemeindeleitung durch Katechisten, die schon vor unserer Ankunft eine wichtige Rolle gespielt haben.

Die Menschen können immer zu uns kommen, und wir nehmen uns Zeit für alle. Wir üben uns in der Kunst des Zuhörens. was von den Leuten sehr geschätzt wird. Männer, Frauen, Jugendliche: Alle Gruppen in der Pfarrei haben eine Stimme. Wir hören zunächst vor allem denen zu, die wir schon kennen und die uns nahestehen und versuchen Schritt für Schritt den Kreis derer, denen wir zuhören, zu erweitern. Es kommen andere dazu, die sich dafür interessieren, was in der Kirche geschieht. Durch sie erfahren wir viel Neues, was wir bis jetzt nicht wussten.

Die einzelnen Gruppen der Pfarrei haben ihre Repräsentanten, die als Katechisten oder Leiterinnen von Frauengruppen für ihre Gemeinschaft sprechen. Sie besitzen das Vertrauen ihrer Leute und werden aufgrund ihres Charismas und ihrer Erfahrung ausgewählt. Die Menschen organisieren sich in Clans und treffen sich regelmäßig zum Austausch. Traditionell treffen die einzelnen Gruppen ihre Entscheidungen durch Gespräche, die solange geführt werden, bis ein Konsens erreicht ist. In der Kirche folgen wir genau diesem traditionellen Weg, indem wir die Leitungspersonen in die Entscheidungsprozesse einbeziehen. Auf diese Weise bauen wir, was die Ausübung von Autorität und die Beteiligung der Leute an den Entscheidungen des Stammes betrifft, auf der Tradition der Nuer auf.

Dabei haben wir als Missionare unsere definierten Rollen im Bereich der Lehre und der Sakramentenspendung. Zugleich nehmen die Laien an der Autorität teil. So werden Mitverantwortung und Teamarbeit auf allen Ebenen praktiziert. Was in der Pfarrei geschieht, wird von vielen Helfern durchgeführt. Es ist üblich, sich mit dem Priester oder der verantwortlichen Person abzusprechen, bevor etwas getan wird. Gleichzeitig wird erwartet, dass die Missionare in ihrer Leitungsaufgabe keine einseitigen Entscheidungen treffen, sondern den Konsens der Gruppe einholen und respektieren.

Der Pfarrgemeinderat trifft sich regelmäßig. Auch er kann Entscheidungen treffen, wenn die Priester abwesend sind. Wir können uns voll und ganz auf unsere Leute verlassen. Hier wirkt nach, dass die Pfarrei von Katechisten gegründet wurde, die sie über viele Jahre lang ohne Priester geleitet haben. So bleibt auch in meiner Mission unter dem Volk der Nuer die Kirche nur durch ein gutes Miteinander am Leben. Denn wir alle haben eine Sendung, die wir „synodal“ – das heißt „gemeinsam auf dem Weg“ – verwirklichen.

Comboni-Missionare