Dienstag, 2. Juni 2020
Wir können das Dienstamt / Ministerialità vorläufig als die umwandelnde Präsenz der Kirche auf allen Ebenen und in allen Dimensionen der Gesellschaft definieren. Das Dienstamt weist daher auf einen Dienst der Kirche an der heutigen Welt hin durch eine weitverbreitete Präsenz in der Gesellschaft, wie die Hefe im Sauerteig, die sie allmählich dem Ideal des Reiches Gottes näherbringt. Das Dienstamt überschreitet die Grenzen der Kirche und geht auf die Gesellschaft im Allgemeinen zu, wo die Christen leben und in der täglichen Arbeit ihren Glauben bekunden. (...)

DAS DIENSTAMT – LA MINISTERIALITÀ –

IM LEHRAMT DER KICHRE

Wir können das Dienstamt / Ministerialità vorläufig als die umwandelnde Präsenz der Kirche auf allen Ebenen und in allen Dimensionen der Gesellschaft definieren. Das Dienstamt weist daher auf einen Dienst der Kirche an der heutigen Welt hin durch eine weitverbreitete Präsenz in der Gesellschaft, wie die Hefe im Sauerteig, die sie allmählich dem Ideal des Reiches Gottes näherbringt. Das Dienstamt überschreitet die Grenzen der Kirche und geht auf die Gesellschaft im Allgemeinen zu, wo die Christen leben und in der täglichen Arbeit ihren Glauben bekunden.

Wir wissen, wie sehr sich diese Präsenz in der Gesellschaft im Laufe der Jahrhunderte verändert hat, wie auch ihr Grundkonzept im Lehramt der Kirche. Wir sind von separatistischen Modellen, die eine alternative und heilige Gesellschaft aufbauen wollten, zu einem neueren Verständnis von Kirche übergegangen, die mitten in der Welt steht, in ihr verankert ist, aber ohne von der Welt zu sein. Das Verständnis und die Ausübung des Dienstamtes haben den gleichen Wandel vollzogen. Wir sind dabei, von der Macht zum Dienst überzugehen; von den fast ausschließlich auf die Kirche fokussierten Diensten öffnen wir uns der Tatsache, dass die pastorale Tätigkeit für den sozialen Wandel weiter gespannt ist als die Kirche und über die Grenzen der formalen christlichen Gemeinden hinausführt.

Es braucht nicht eigens betont zu werden, dass in diesem Prozess der Wiedergeburt des Dienstamtes das II. Vatikanische Konzil einen Meilenstein darstellt. Die Kirche veränderte ihr Selbstverständnis in radikaler Weise. Sie ging von einer belagerten Festung oder einer Arche in stürmischen Gewässern über zu einer Gemeinschaft von Jüngern, zum „Volk Gottes“ in der Welt von heute (vgl. Gaudium et Spes). Die Vision des Zweiten Vatikanischen Konzils hatte enorme Auswirkungen auf alle Dienste der Kirche. Die Zugehörigkeit zu ihr wurde nicht mehr an der Priesterweihe und der Unterordnung unter geweihte Personen gemessen, sondern an der Taufe. Alle Formen des Laienapostolats, in allen Aspekten des kirchlichen Lebens eines Mitglieds, ob Laie oder geweihte Person, haben ihren Ursprung in der Taufe und sind eine direkte Teilnahme an der Heilsmission der Kirche (Lumen Gentium 33).

Es ist daher nicht verwunderlich, dass das Zweite Vatikanische Konzil und dessen Auswirkungen neue Bewegungen in der Kirche hervorgerufen haben, die alle an potenzielle neue Dienste gebunden sind: die liturgische und biblische Bewegung, die Bewegung für Frieden und Menschenrechte, die ökumenische Bewegung. Es entstanden ein völlig neues Bewusstsein und eine ganz neue Kompetenz der Laien in der Gesellschaft. Paul VI. weitete die zentralen Dienste des Wortes (Amt des Lektors) und des Altars (Amt des Akolythen) auf alle Laien aus, die jetzt nicht mehr als Vorstufe zur Priesterweihe, sondern durch Einsetzung übertragen wurden, um sie klar und deutlich vom Priestertum zu unterscheiden (Ministeria Quædam, 1972).

In den unruhigen Jahren nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gewannen die kirchlichen Laienbewegungen an Bedeutung, insbesondere während des Pontifikats von Johannes Paul II. Sie atmeten den Geist des Konzils, d. h. die Präsenz der Laien in der Gesellschaft, auf der Grundlage einer gewissen Unabhängigkeit von der traditionellen und territorialen Kirche. Laien trafen sich nicht mehr oder nicht mehr nur innerhalb eines konkreten Gebietes (der traditionellen Pfarrei), sondern auch nach anderen Kriterien wie Beruf, religiöse Ausrichtung, Spiritualität. Diese Bewegungen waren die direkte umwandelnde Präsenz der Kirche in der Gesellschaft, die auf dem Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils beruhten. Einige waren fortschrittlich, offen für Neues, in ehrlichem Dialog mit der heutigen Welt und bereit für einen gegenseitigen Austausch zum Wohl eines kollektiven Wachstums. Andere hingegen sehnten sich nach der Vergangenheit, in der die Kirche als klarer Bezugspunkt und moralische Institution sichtbarer in der Gesellschaft präsent war. Die Theologie und die pastorale Praxis nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil haben es jedoch nicht geschafft, die historische Spannung zwischen den verschiedenen Arten von Präsenz der Kirche in der Welt zu beseitigen oder zu verringern.

Das Pontifikat von Papst Franziskus kann als weiterer Meilenstein in der Entwicklung eines neuen christlichen Bewusstseins und der Präsenz der Kirche in der heutigen Welt angesehen werden.

Verschiedene Aspekte im Leben und in der Lehrtätigkeit von Papst Franziskus weisen auf ein neues Selbstbewusstsein der Kirche und auf ihre Rolle in der Gesellschaft hin. Einige Gelehrte definieren Franziskus als den ersten voll nachkonziliären Papst, denn er verkörpert voll und ganz den Geist und die Theologie des Konzils. Das war bereits am Beginn seines Pontifikats am Abend seiner Wahl klar spürbar, als er die Leute von der Loggia des Petersdomes aus bat, für ihn zu beten und ihn zu segnen. Es war ein heller „Augenblick des Zweiten Vatikanischen Konzils“, ein Moment des Lehramtes nicht in schriftlicher, sondern in gelebter Form (M. Faggioli).

Verschiedene Aspekte des Lebens und der Unterweisungen von Franziskus kennzeichnen ein neues Selbstbewusstsein der Kirche und ihrer Rolle in der Gesellschaft. Aus Platzgründen erwähne ich nur einige.

Der erste Aspekt ist ein Aufruf, eine neue Mentalität zu schaffen: von einer einzigartigen Erfahrung Gottes als Liebe zu einer neuen Vision der Kirche als der Ort, in dem diese Liebe sichtbar, inklusiv, bedingungslos und wirksame Barmherzigkeit wird. In einer solchen Kirche beginnen wir „in den Begriffen von Gemeinschaft und Vorrang des Lebens aller gegenüber der Aneignung der Güter durch einige wenige zu denken“ (Evangelii Gaudium, 188). Eine solche Haltung führt notwendigerweise zu „einer neuen politischen und wirtschaftlichen Mentalität, die helfen würde, die absolute Polarität zwischen Wirtschaft und Gemeinwohl der Gesellschaft zu überwinden“ (Evangelii Gaudium, 205).

Die von Franziskus vorgeschlagene Vorgehensweise ist „Prozesse in Gang zu setzen anstatt Räume zu besitzen“ (Evangelii Gaudium, 223): Vision und Dienst sind wichtiger als Selbstbestätigung und Macht. Daher ist das Dienstamt (der Dienst der Kirche an der Menschheit) nichts anderes als die Umsetzung der Vision: eine Kirche mit einem System von Dienstämtern, die sich nicht auf die Macht konzentriert, die aus einer Rolle (dem Priestertum) hervorgeht, sondern auf ein gemeinsames Sein (die Berufung durch die Taufe) und auf einen gemeinsamen Weg (bestimmt durch eine prophetische Vorstellungswelt der Kirche).

Das Dienstamt erfordert Ergänzung und Zusammenarbeit. Das kommt im Wort Synodalität gut zum Ausdruck. Gemeinsames Weitergehen, „Synodalität“, ist das andere grundlegende Merkmal der Kirche, das Franziskus vorschwebt. Synoden gab es bereits vor Franziskus, er aber hat ihnen ein neues Gewicht und eine neue Rolle verliehen, so dass sie Ereignisse wahrer Gemeinschaft und kirchlicher Urteilsfindung geworden sind (Episcopalis Communio, 2018). Manche sagen, dass Synodalität der wahre Paradigmenwechsel seines Pontifikats ist; es ist zweifellos ein konstitutives Element der Kirche. Er ruft die Kirche auf, sich zu bekehren und zu reformieren, damit sie aufmerksamer zuhören kann. Er liefert der Gesellschaft als Ganzes auch neue Denkanstöße: „Wir hegen den Traum, dass die Wiederentdeckung der unverletzlichen Würde der Völker und des Dienstcharakters der Autorität auch der Zivilgesellschaft helfen kann, sich in Gerechtigkeit und Brüderlichkeit aufzubauen und so eine schönere und menschenwürdigere Welt zu schaffen für die Generationen, die nach uns kommen“ (Franziskus: Ansprache bei der 50-Jahrfeier der Errichtung der Bischofssynode, 17.10.2015).

Offen sein für den Traum einer neuen Gesellschaft betrifft nicht nur jeden Getauften, sondern jeden Menschen guten Willens, der sich nach Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung sehnt und sich dafür einsetzt. Diesen Durst nach Gerechtigkeit teilen und den Einsatz der Sozialarbeiter bestätigen, war das Leitmotiv der Botschaften von Papst Franziskus an die Vertreter der Volksbewegungen während deren Welttreffen (2014). Erneut hat Franziskus die Idee aufgegriffen, gemeinsam zu handeln (Synode) und den Kampf der Volksbewegungen zu unterstützen. Es ist das Bild einer synodalen und dienenden Kirche, die den Dienst vieler Menschen der verschiedenen Religionen, Berufe, Ideen, Kulturen, Länder, Kontinente schätzt und diese Vielfalt respektiert. Franziskus verwendet das Bild des Polyeders (auch in Querida Amazonia, 2020): Es „spiegelt den Zusammenfluss aller Parteilichkeiten wider, die dabei ihre Originalität bewahren. Nichts löst sich auf, nichts wird zerstört, nichts dominiert, alles wird integriert“ (Botschaft an die Volksbewegungen, 2014). Es ist dieselbe Neuorientierung, die das Zweite Vatikanische Konzil begonnen hat, von einer pyramidalen Struktur der Kirche zu einer Gemeinschaftsstruktur, in der jede Gabe in ihrer Vielfalt anerkannt und geschätzt wird.

Zusammenfassung: Die Idee des Dienstamtes basiert auf einem klaren Verständnis von Kirche und auf einer identifizierbaren Praxis in, für und mit der Welt. Dialog, Offenheit, Bereitschaft zum Lernen und gemeinsames Pilgern mit jeder Person guten Willens, die am Wandel der Gesellschaft mitarbeitet, sind ihre Kennzeichen.
P. Stefano Giudici, mccj

Übersetzung: Pater Alois Eder