Freitag, 14. Juli 2017
„Dieser Artikel ist in Zusammenhang mit der Feier des 150. Gründungsjubiläums des Comboni-Instituts geschrieben worden und möchte zur Reflexion über die missionarische Ausbildung einen Beitrag leisten. Im ersten Teil berichte ich von drei persönlichen Missionserfahrungen. Der zweite Teil enthält einige Anregungen für die Reflexion über die Ausbildung und für ihre Bewertung. Zum Schluss breche ich eine Lanze für das „Modell der integralen Ausbildung“ sowohl für die Grundausbildung als auch für die Fortbildung.“ P. Raimundo Rocha, mccj (im Bild).
EIN BLICK AUF DIE MISSION UND DIE HERAUSFORDERUNGEN
DER VORBEREITUNG AUF DAS MISSIONSLEBEN
EINLEITUNG
Dieser Artikel ist in Zusammenhang mit der Feier des 150. Gründungsjubiläums des Comboni-Instituts geschrieben worden und möchte zur Reflexion über die missionarische Ausbildung einen Beitrag leisten. Im ersten Teil berichte ich von drei persönlichen Missionserfahrungen. Der zweite Teil enthält einige Anregungen für die Reflexion über die Ausbildung und für ihre Bewertung. Zum Schluss breche ich eine Lanze für das „Modell der integralen Ausbildung“ sowohl für die Grundausbildung als auch für die Fortbildung.
1. DIE MISSION ALS AUSGANGSPUNKT: DREI MISSIONSERFAHRUNGEN
1.1 Evangelisierung unter Jugendlichen und Gefangenen
Gegen Ende meiner Ausbildung im Scholastikat Elstree (London Province) habe ich bei der Generalleitung drei Optionen für meinen ersten Missionseinsatz eingereicht. Es war 2003, im Jahre der Heiligsprechung von Daniel Comboni. Ich hatte die Gnade und das Privileg, seine Heiligsprechung in Rom mitzuerleben. Gleichzeitig hatte ich die Möglichkeit, einem Comboni-Missionar zuzuhören, der im Südsudan arbeitete, in einer vom Bürgerkrieg verwüsteten Region Afrikas. Beide Ereignisse haben mich tief beeindruckt und dazu beigetragen, den Südsudan für meinen ersten Missionsdienst als Comboni-Missionar zu wählen.
Meine Vorgesetzten hatten jedoch einen anderen Plan, den ich gerne und froh angenommen habe, nämlich vorläufig einmal in meiner Heimat, in der ‘Provincia del Brasil Nordest’ zu arbeiten (2004-2010). Ich war mir sicher, dass mein Traum, als Missionar in Afrika das Evangelium zu verkünden, nur aufgeschoben wurde.
Nun versuchte ich als Missionar in meiner Heimat das Beste zu tun. Die Nordost Provinz von Brasilien hatte damals die Jugendpastoral als eine Priorität in ihren Sechs-Jahres-Plan aufgenommen. Es wurde ein Jugendzentrum für den Frieden errichtet. Ich wurde zu einem der Koordinatoren ernannt. Ein wichtiger Event des Zentrums war das jährliche Friedenstreffen der Jugend. An die 250 Jugendliche versammeln sich jedes Jahr, um über die Jugend, den Einsatz für den Frieden, den Verzicht auf Gewalt, die Menschenrechte und die Umwelt zu reflektieren. Dazu gehören auch Aktionen in Schulen und Universitäten.
Da ich hauptsächlich mit der Jugend zu tun hatte, gehörte selbstverständlich auch die Berufungspastoral zu meinen Aufgaben. Eines der ausdruckvollsten Ereignisse neben den regelmäßigen Treffen der Jugend, die an der Mission und den Comboni-Missionaren Interesse zeigten, war die páscoa vocacional comboniana. Man wollte mit einer abgelegenen, christlichen Gemeinde Ostern feiern, Einblick in die Mission gewinnen und die eigene Berufung prüfen. Zusätzlich zu dieser Arbeit widmete ich mich den Gefangenen, auch wenn ich diesen Dienst nicht regelmäßig erfüllen konnte. Ich feierte mit ihnen die heilige Messe und besuchte sie in den fünf verschiedenen Gefängnissen.
Zu den bedeutsamen Aufgaben meiner missionarischen und priesterlichen Tätigkeit während meiner ersten sechs Jahre gehörten zuerst einmal meine Begegnung mit Jugendlichen in Schulen und Universitäten und meine Besuche bei den Gefangenen. Ich habe gemerkt, dass es nicht so einfach ist, als Priester und Missionar in einem laizistischen Umfeld für Christus Zeugnis abzulegen. Zugleich war es ein missionarischer Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden, was ein evangelischer Wert und wesentlicher Teil der Verkündigung ist. Schließlich war es auch ein Dienst im Netzwerk, der viel Beweglichkeit und Zusammenarbeit verlangte. Auf diese Weise habe ich meinen Glauben, meine Treue zu Christus und die Werte des Reiches nach dem combonianischen Charisma leben können. Diese erste und positive Erfahrung in der Verkündigung und im Gemeinschaftsleben haben mein Selbstvertrauen gestärkt und mich auf den nächsten Missionseinsatz vorbereitet.
1.2 Erstevangelisierung in ländlichem Gebiet vom Südsudan
2010 wurde ich in die südsudanesische Provinz versetzt. Der längste afrikanische Bürgerkrieg ist 2005 beendet worden. Ich war mir bewusst, dass ich mich auf dem Weg in eine der schwierigsten Missionen befand und zudem weit weg von meiner Heimat. Aber gerade diese Mission ist seit Jahren mein Ziel gewesen. Ich wollte den combonianischen Geist und meine Berufung im gleichen Land und mit den gleichen Personen leben, die Comboni selbst lebenslang geliebt hatte. Ich gebe zu, dass ich Angst hatte und Zweifel in mir aufstiegen, aber mich gleichzeitig getragen fühlte und glücklich war über meine Versetzung.
Meine erste Mission war Leer (2010-2014). Dort sollte ich unter den Nuer am Westufer des Nils das Evangelium verkünden, das heißt, in einem entlegenen und ländlichen Gebiet mit der Erstevangelisierung beginnen. Die Mission war relativ neu und wurde erst vor vierzehn Jahren von den Comboni-Missionaren übernommen. Schon bald ist mir klar geworden, dass meine Arbeit hier ganz anders sein würde als in Brasilien. Es handelte sich ja um ein anderes Land, ein anderes Volk, eine andere Kultur und Sprache, um eine Nachkriegsgesellschaft, die vollständig von den Männern beherrscht wird. Ich stand aber nicht allein da. Die Erfahrung und die Unterstützung der anderen Missionare haben mir viel geholfen.
Die Nuer sind ein Hirtenvolk und sehr bekannt für ihre Gastfreundschaft. Dieser Umstand und die freundliche Aufnahme der Comboni-Gemeinschaft haben dazu beigetragen, dass ich mich schnell zuhause gefühlt habe. Jedoch ihre Kultur und die Sprache dieses Volkes, seine Sitten und Essgewohnheiten sind von den unsrigen sehr verschieden. Ihre Umwelt wirkt eher abstoßend und die Kommunikation ist schwierig, besonders während der Regenzeit. Die Menschen leben in großer Armut. Alles schien verwirrend und irgendwie erschreckend. Bald aber ist mir klar geworden, dass es sich um eine der “Grenzmissionen“ handelte, die mir die Möglichkeit bot, mich ganz konkret „auf die Seite der Ärmsten und am meisten Verlassenen“ zu stellen.
Natürlich war in dieser Umwelt die Missionstätigkeit sehr verschieden von meinem früheren Arbeitsfeld, wo es um Gerechtigkeit und Frieden in großen Ortschaften ging. Diesen wichtigen Aspekt der Evangelisierung habe ich auch in Leer vorgefunden. Jedoch die Haupttätigkeit war die Erstevangelisierung, die ausdrückliche Verkündigung des Evangeliums, die Bildung von christlichen Gemeinden, die Schulung von lokalen Pastoralkräften und die Spendung der Sakramente, besonders der Taufe. Ich musste mich der neuen Wirklichkeit, dem neuen Kontext und der Missionsmethode öffnen, anpassen und flexibler werden. Dabei bin ich sehr bereichert worden.
Bedeutsame Elemente dieser Missionserfahrung waren der Einstieg in eine neue Wirklichkeit und das Erlernen einer Lokalsprache. Zweitens bin ich zum ersten Mal Pfarrer geworden und als solcher musste ich mit anderen Missionaren in der Erstevangelisierung zusammenarbeiten. Zudem war es eine Missionserfahrung in einem Kriegsgebiet, die dadurch noch einmaliger wurde.
Als 2013 der Krieg ausbrach, wurden wir durch die Spannungen und Kämpfe in unserem Missionsgebiet gezwungen, die Mission zu verlassen (Januar 2014) und uns den Leuten anzuschließen, die aus anderen Gegenden vor dem Krieg flüchten mussten. Wir wurden auch von bewaffneten Gruppen angegriffen. Wir mussten laufen, um uns in Sicherheit zu bringen. Wir wurden ausgeraubt und es fehlte nicht viel, dass sie uns umgebracht hätten. Die Mission wurde ausgeplündert. Achtzehn Tage mussten wir in der Savanne aushalten. Es war eine schlimme Erfahrung. Die Christen haben sich unser angenommen, bis wir evakuiert wurden. Dieses dramatische Erlebnis hat meine Missionstätigkeit in Leer abrupt beendet.
1.3 Evangelisierung durch Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung in städtischen Verhältnissen im Süd-Sudan
Laut Sechs-Jahresplan der südsudanesischen Provinz hätte eine Dienststelle für Gerechtigkeit und Frieden eingerichtet werden sollen. Ich wurde ersucht, Leer zu verlassen, um in Juba diesen Dienst zu koordinieren. Wegen der Kriegswirren und der Schließung der Mission aus Sicherheitsgründen wurde ich nach Juba versetzt und zum Koordinator von Gerechtigkeit und Frieden ernannt (2014). Somit habe ich diesen Einsatz im Umfeld einer Stadt wiederaufgenommen. Den Kontakt mit der Gemeinschaft der Nuer habe ich weitergeführt, da ich gebeten wurde, mich um die seelsorgliche Betreuung der „Flüchtlinge im Innern des Landes“ zu kümmern. In Juba leben 38.000 Flüchtlinge, hauptsächlich Nuer, unter dem Schutz der UNO.
Im Süd Sudan herrscht seit drei Jahren Krieg. Das hat äußerst negative Auswirkungen auf die Bevölkerung und die Missionsarbeit, so dass diese noch schwieriger und aufreibender geworden ist. Das darf aber die Missionare nicht daran hindern, mit den Leidtragenden solidarisch zu sein und in ihrer Mitte Zeugnis für Christus abzulegen. Mit meinen Mitbrüdern fühle ich mich berufen, ein Werkzeug des Friedens, der Hoffnung und der Versöhnung zu sein. Das Herzstück der Frohen Botschaft, die Jesus verkündet hat, ist ja das Heil als Geschenk Gottes. Jedoch neben dem Kerygma dürfen auch die anderen wichtigen Dimensionen der Evangelisierung nicht vergessen werden. Das ist mir bei meinen drei Missionserfahrungen in Brasilien und im Südsudan ganz klar geworden, denn sie haben mir einmalige Gelegenheiten geboten, meine missionarische Berufung als Comboni-Missionar zu leben.
2. ELEMENTE FÜR DIE REFLEXION ÜBER DIE AUSBILDUNG ZUM MISSIONAR
Nachdem ich meine drei Missionserfahrungen geschildert habe, möchte ich jetzt einige Überlegungen vorlegen, die mir für die missionarische Ausbildung und die Fortbildung wichtig sind.
a) Gott als Mittelpunkt in unserer Ausbildung und in unserer Missionsarbeit
Die Person Jesus Christus ist die Mitte unseres Ausbildungsweges und der Missionsarbeit. Wir müssen die Augen auf ihn richten, von ihm lernen, seine Jünger werden und seine Entscheidungen zu den unseren machen. Es ist grundlegend, dass unsere Kandidaten von allem Anfang an diese Richtung einschlagen. Eine tiefe Gotteserfahrung und eine gediegene Kenntnis von Daniel Comboni werden ihnen und uns helfen, uns stets mit Ruhe und Freude der Missionsarbeit zu widmen, besonders wenn Schwierigkeiten und Krisen auf uns zukommen. In Verlauf meines Missionslebens hat es Zeiten gegeben, in denen ich wegen meiner Verpflichtungen das Gebet vernachlässigt habe. Ich habe Mitbrüder gekannt, die das Gebet und die Besinnungstage vernachlässigt haben. Wir brauchen eine starke Spiritualität, Gott muss in ihr die zentrale Stelle einnehmen. Die Mission beginnt in Gott, nicht in mir. Es ist nicht meine Mission. Wir sind nur seine Werkzeuge. Wir nehmen teil an Gottes Mission durch das Charisma von Comboni.
b) Mission als Horizont und Grundlage der Ausbildungsphasen
Ich bin überzeugt, dass uns besonders die Mission formt. Gegen Ende meiner Postulatszeit wurde ich gebeten, mein Apostolat in der Pfarrei zu beenden und mich der Straßenkinder anzunehmen. Diese Arbeit ist viel schwieriger und herausfordernder, aber bedeutungsvoller für mein Missionsleben gewesen. Das Noviziat habe ich in einer Gemeinschaft am Stadtrand gemacht. Das hat mir sehr geholfen. Im Scholastikat wollte ich mich nicht damit begnügen, in einer Pfarrei die Messe zu feiern und einigen Kranken die Kommunion zu bringen. Mit dem Einverständnis meiner Scholastikatsleiter begann ich in einem Gefängnis zu arbeiten. Auch das war ein wichtiger Moment in meiner Ausbildung. Ich befürworte, dass unseren Kandidaten die Möglichkeit gegeben wird, einen längeren missionarischen Dienst tun zu können. Das könnte vielleicht auch gleich nach dem Noviziat geschehen. Natürlich sind auch andere Aspekte der Ausbildung wie die akademischen Studien wichtig, besonders in der heutigen Zeit, da qualifizierte Leute gebraucht werden. Jedoch die Kandidaten bereits während der Ausbildung mit einer echten Missionserfahrung zu konfrontieren, würde ihnen helfen, die erworbenen Werte zu verinnerlichen.
c) Gemeinschaftsorientierte Ausbildung der Kandidaten
Das Gemeinschaftsleben ist ein wesentlicher Aspekt der Mission. Wir leben in einer Zeit, in der ein individualistisches Verhalten um sich greift und das Gemeinschaftsleben bedroht. Der Individualismus kann sich auf vielerlei Weise zeigen. Kürzlich habe ich an einem Treffen über das gottgeweihte Leben teilgenommen. Dabei habe ich bemerkt, dass sich in einem bestimmten Winkel des Hauses eine Gruppe von Teilnehmern konzentrierte. Sie versuchten die Wi-Fi Verbindung herzustellen. Alle hielten das I-Telefon in der Hand, natürlich auch ich. Einige benutzten ihr Gerät auch beim Gebet. Heute können auch die Bibel und die Gebete heruntergeladen werden. Manche ziehen es vor, ein iPhone in ihren Händen zu halten anstatt eines schweren Gebetbuches. Der Gebrauch solcher Geräte ist überraschenderweise auch in abgelegenen Missionen beobachtet worden. Diese Geräte können ablenken und den Individualismus fördern. Sie können aber auch sehr hilfreich sein. Jedoch beginnen der Austausch und die so wichtigen alltäglichen Beziehungen zwischen den Personen darunter zu leiden. Unseren Kandidaten muss geholfen werden, gemeinschaftsfähige und ausgeglichene Menschen zu werden und die modernen Kommunikationsmittel in vernünftiger Weise zu gebrauchen, damit sie sich in einer Mission, wo es diese Möglichkeiten nicht gibt, trotzdem zurechtfinden. Die Medien, wie zum Beispiel das Facebook, können bei der Missionarischen Bewusstseinsbildung gute Dienste tun.
d) Die ‘Integrale Ausbildung’
In der Kongregation scheint Konsens zu bestehen, dass das ‘Modell der integralen Ausbildung’ oder der integrale Ansatz in der Grundausbildung und Fortbildung das geeignete Modell ist, um den Kandidaten während ihrer religiösen und missionarischen Ausbildung zu helfen. Ich habe viele arbeitsame und eifrige Missionare gekannt, die in schwierigen Gemeinschaften gelebt haben. Ich habe aber auch sehr großherzige Mitbrüder erlebt, die mit dem Gemeinschaftsleben und mit den Anordnungen und Prioritäten der Provinz nur schwer zurechtkamen. Die Missionsarbeit in einem Kriegsgebiet ist schwierig. Mehr denn Mut tut die Überzeugung not, dass Gott der Mittelpunkt von Allem ist, der die persönliche Hingabe erwartet.
Nach meiner Ansicht hat ein Kandidat, der mit der nötigen Hilfe die psychologischen, theologischen, spirituellen und anderen Aspekte richtig integriert und die entsprechenden Werte assimiliert, mit größerer Wahrscheinlichkeit frei und großmütig seiner Berufung folgt, eine gemeinschaftsfähige Person wird und seine Ordensgelübde treu lebt. Das Missionsleben wird ein „Hier bin ich“, eine freie und großherzige Antwort Gott gegenüber, der uns geliebt, gerufen und in die Mission gesandt hat.
SCHLUSSBEMERKUNG
Dieser Artikel möchte anhand von drei Missionserfahrungen zur Reflexion über die Ausbildung beitragen. Einige angeführte Elemente können helfen, diese zu bewerten, über sie zu reflektieren und Verbesserungen vorzuschlagen. Zum Schluss möchte ich noch einmal empfehlen, „das Modell der integralen Ausbildung“ zum Wohl der Kandidaten und eines besseren Missionsdienstes beizubehalten.
P. Raimundo Rocha, mccj
Juba, Südsudan