Samstag, 15. Februar 2025
Mit 44 Jahren wurde er der jüngste Bischof im jüngsten Staat der Welt. Doch kaum ernannt, fielen Schüsse auf Christian Carlassare. Ein Vorgeschmack auf seine Mission im Südsudan? Der italienische Comboni-Missionar über Gottesgnade, echte Heilung und falsche Statistiken. [Interview von Christtoph Lehermayr, in Allewelt Magazin. Bild: Roman Sulyagin aus der Ukraine]

Geboren und aufgewachsen im norditalienischen Venetien, zog es Christian Carlassare bereits 2005 in den Sudan. Dort lernte er die Sprache der Nuer-Ethnie, lebte als Pfarrer ganz nah bei den Menschen und teilte 2011 mit ihnen die Freude über die Unabhängigkeit vom muslimischen Norden. Warum die neue Freiheit in einem der ärmsten Länder der Welt kein Ende von Gewalt und Korruption bedeutet, und wo der Pfad zu echter Veränderung liegt, erklärt Bischof Carlassare im Interview.

Exzellenz, kaum zum Bischof ernannt, schossen Männer aus dem Apparat Ihrer eigenen Diözese auf Sie. Unvorstellbar, oder?

Anfangs war ich verwirrt und besorgt, weil die Täter noch unbekannt geblieben waren. Ich spürte den Schmerz der fried-liebenden Menschen der Diözese, die plötzlich die Wunden der Ungerechtigkeit, Unsicherheit und Gewalt trugen. In derselben Nacht wurden zwei Schwangere getötet. Mein Fall schien somit als einer von vielen. Trotzdem verstand ich es nicht, denn die Kirche war nie Teil dieser Spirale aus Hass und Rache gewesen, sondern stand immer an der Seite der Menschen. Als klar wurde, dass die Täter aus der Diözese selbst kommen, sah ich die Chance auf Verwandlung und Heilung. Ich wollte nicht in Angst leben, fortan frustriert über die Menschen sein und vielleicht gar zornig. Nein! Ich wollte einen Pfad der Hoffnung und Vergebung öffnen.

Woher nehmen Sie die Kraft dazu?

Menschlich wäre ich bereit gewesen, aufzugeben. Ich wollte durch mein Kommen nicht Teilung und Konflikt in die Diözese bringen. Doch beides bestand dort bereits vor mir. Es ist Gott, der heilt. Es ist egal, ob ein Leben kurz oder lang ist, lohnend oder undankbar. Gottes Barmherzigkeit und Gnade ließen mich nach Ende meines Spitalsaufenthalts aufrappeln und zurückkehren.

Wie sehr prägen ethnische Bruchlinien das Land?

Es gibt eine große ethnische Vielfalt, das ist richtig. Aber Vielfalt muss nicht gleich Trennung bedeuten. Letztere wird erst von den Eliten an der Spitze geschürt, um selbst an der Macht und in Kontrolle aller Ressourcen zu bleiben. Die Konflikte sind das Resultat der Ungleichheit, der Armut so vieler, die zu unfassbarem Leid wird, da sie auf extreme Macht und den Reichtum weniger anderer prallt. Die meisten Menschen im Südsudan haben nichts. Und die Kirche ist ganz nah bei ihnen, vertreten in allen Sprachen, ethnischen Gruppen und mitleidend an deren Stigmata.

Sie übernahmen nun die neugegründete Diözese Bentiu – mit welchen Herausforderungen?

Bentiu ist komplett abgelegen, schwer erreichbar, entsprechend schwierig ist es, dort etwas aufzubauen. Zugleich gibt es viele Laien, enthusiastische Katechisten und eine Jugend, die voller Freude an der Liturgie teilhat. Die Kirche wird somit zum Ort der Hoffnung für die Armen.

Gleich nördlich Ihrer Diözese, im Nachbarland Sudan, tobt ein schrecklicher Krieg. Was folgt daraus?

Die Wunden von Gewalt und Konflikten brauchen überall Zeit, um zu heilen. All der Schrecken, den die Menschen erlebten, lässt sich nur durch das exakte Gegenteil überwinden: Geschichten der Hoffnung, der Verständigung, des Vergebens und des friedlichen Zusammenlebens. Noch immer sind 90 Prozent der Menschen in meiner Diözese Vertriebene. Allein 130.000 von ihnen leben in einem Lager, wo sie ständig auf Hilfe von außen angewiesen sind, weil sie kein eigenes Vieh halten und keinen Boden beackern können. Hinzu kommt der Krieg im Norden, der Menschenmassen, besonders aus der Ethnie der Nuba, über die Grenze führt, die es auch aufzunehmen gilt.

Der Südsudan ist ein mehrheitlich katholisches Land – und trotzdem eines der korruptesten der Welt. Wie passt das zusammen?

Statistiken spiegeln mitunter nicht die Wahrheit wider. Vor dem Unabhängigkeitskrieg gegen den Norden deklarierten sich viele im Süden pro forma als Christen, ohne je so erzogen worden zu sein. Ich schätze, dass 34 Prozent der Bevölkerung katholisch sind. Die Mächtigen stammen zumeist aus den Gruppen, die den Unabhängigkeitskrieg ausfochten. Manche versuchen, ihre christlichen Werte zu bewahren, viele sind aber eher Freiheitskämpfer als gläubige Christen. Die Korruption entstammt jedoch vor allem dem Denken der Blutsverwandtschaft, was klar ist in einem Staat der eindeutige Gesetze ebenso vermissen lässt wie starke Institutionen. Auch 14 Jahre nach der Unabhängigkeit gibt es nur eine provisorische Verfassung, die bisher weder angenommen noch umgesetzt worden ist. All das zeigt uns das schwierige Umfeld, aber zugleich auch die Notwendigkeit für uns als Kirche, einen glaubwürdigen und starken Platz einzunehmen.

Interview von Christtoph Lehermayr
In Allewelt Das Magazin der Päpstlichen Missionswerke in Österreich

Bild: Roman Sulyagin aus der Ukraine.

Bild: Wechselnde Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt gestalten das Porträt auf dieser Seite. Diesmal tut das Roman Sulyagin aus der Ukraine. Er absolvierte die Kunstakademie in seiner Heimatstadt Kryvi Rih, die nun unter Beschuss russischer Artillerie liegt. Im Alter von 14 bekam er sein erstes Tablet und malt seither digital. „Meine Illustration soll Momente aus der beeindruckenden Biografie des Bischofs zeigen und zugleich durch die warmen, feinen Farben auch seinen Charakter widerspiegeln.“