Montag, 8. Januar 2024
„Mein erstes Jahr als Provinzial war reich an Begegnungen. Ich habe die 9 Comboni-Gemeinschaften im Südsudan besucht; des Weiteren mehrere Studienhäuser verteilt in der Welt, wo unsere jungen Südsudanesen Theologie studieren. Durch meinen Dienst repräsentiere ich das Comboni-Institut und bin Ansprechpartner für viele Menschen, aber die gewöhnliche Arbeit besteht darin, die anderen 34 Missionare zu ermutigen und ihre Arbeit zu unterstützen.“ [P. Gregor Schmidt, im Südsudan. Bild: Kirche in Tobo]
Als aber die Güte und Menschenliebe Gottes, unseres Retters, erschien, hat er uns gerettet
– nicht weil wir Werke vollbracht hätten, die uns gerecht machen können,
sondern aufgrund seines Erbarmens.
(Titusbrief 3,4-5)
Neujahr/Epiphanie, 6. Januar 2024
Liebe Familie, Freunde und Bekannte,
Liebe Comboni-Mitbrüder und -Schwestern,
Ich sende Euch herzliche Grüße und Gottes Segen zum neuen Jahr!
Das Licht Christi leuchte Euch den Weg – die Erscheinung („Epiphanie“) des Herrn sei Euer Friede und Schutz. Unser Leben findet Erfüllung, wenn wir uns darauf vertrauensvoll einlassen.
Mein erstes Jahr als Provinzial war reich an Begegnungen. Ich habe die 9 Comboni-Gemeinschaften im Südsudan besucht; des Weiteren mehrere Studienhäuser verteilt in der Welt, wo unsere jungen Südsudanesen Theologie studieren. Durch meinen Dienst repräsentiere ich das Comboni-Institut und bin Ansprechpartner für viele Menschen, aber die gewöhnliche Arbeit besteht darin, die anderen 34 Missionare zu ermutigen und ihre Arbeit zu unterstützen. Ich bin auch ein wenig als Seelsorger tätig, aber ein großer Teil ist Büroarbeit, Projekte prüfen und mit meiner Unterschrift bestätigen, usw. Mir kommt das Bild von einer Lok, die die Wagons von hinten anschiebt.
Normalerweise erhaltet Ihr von mir einen Adventsbrief, aber vor einem Monat hatte ich keine Ruhe zum Schreiben. In der Woche vor und in der Woche nach Weihnachten habe ich dann zwei Reisen unternommen, und zwar zuerst an die Grenze des Sudan and danach über die Grenze hinein in den Sudan. Dies hat mich bewogen, in diesem Brief nicht über den Südsudan, sondern über unser Nachbarland im Norden zu schreiben. Bitte nehmt euch Zeit, den folgenden Absatz über die politischen Ereignisse zu lesen. Dadurch wird der Grund meiner Reisen klar:
Der Sudan ist das Land zwischen Ägypten und Südsudan mit der Hauptstadt Khartum, in dem im April ein Krieg zwischen der Militärregierung und vormals regierungstreuen Milizen (die Rapid Support Forces, kurz RSF) ausgebrochen ist. Die RSF, auch als Janjaweed bekannt, waren über Jahrzehnte der verlängerte Arm der sudanesischen Regierung in Dafur und sind dort für den größten Genozid seit der Jahrtausendwende verantwortlich. In den letzten Jahren hat sich im Sudan politisch viel ereignet. 2019 wurde der langjährige Diktator Al-Bashir nach Massenprotesten gestürzt. Es gab für zwei Jahre eine Regierung aus Zivilisten und Militär. Jedoch hat das Militär das demokratische Experiment abgebrochen und nach ägyptischen Vorbild die Herrschaft an sich gerissen. Anscheinend unbemerkt wurden die RSF von besser bezahlenden „Kunden“ abgeworben, nämlich Vereinigte Arabische Emirate (UAE) und Wagner/Russland. Am 15. April versuchten sie, den Kommandeur der Militärregierung, Al-Burhan, festzunehmen und die Kontrolle des Landes an sich zu reißen. Dies ist misslungen, und so gibt es einen Krieg mit mittlerweile 7,5 Millionen Menschen auf der Flucht in weniger als 8 Monaten. Zum Vergleich: der Südsudan zählt seit 2014 etwa 4 Millionen Vertriebene.
Die RSF erhalten Geld und Waffen von den UAE und Wagner/Russland und bieten dafür unregulierte Ausbeutung der Bodenschätze für die beiden Länder. Die Militärregierung wird von Saudi Arabien und Ägypten unterstützt, ist aber auf dem Rückzug und scheint die Vorherrschaft zu verlieren [alles Weitere hier: https://en.wikipedia.org/wiki/War_in_Sudan_(2023)]. Das Militär missachtet Menschen- und Bürgerrechte, aber hat dem Land eine gewisse Stabilität gegeben. Die RSF sind gesetzlos, ihre Kämpfer verhalten sich barbarisch, ermorden unbewaffnete Menschen und verkaufen deren Kinder als Sklaven. Wo auch immer die RSF hinkommen, fliehen die Menschen. So sind mehr als eine halbe Millionen Flüchtlinge in den Südsudan gekommen.
Daniel Comboni ist 1881 in Khartum gestorben. Seit 150 Jahren ist meine Ordensgemeinschaft dem Land verbunden. Der Sudan (Norden und Süden) ist das historische Kernland unserer Tätigkeit und war bis in die 90er Jahre eine gemeinsame Comboni-Provinz. Aus praktischen Gründen wurde der Süden dann eine eigenständige Provinz, lange bevor klar war, ob es die Unabhängigkeit geben würde. Durch den aktuellen Krieg im Norden sind alle unsere Pfarreien, Schulen und die Universität dort geschlossen, oder werden in den nächsten Wochen verlassen werden müssen. Weil wir vermuten, dass sich der Konflikt über einen langen Zeitraum dahinschleppen wird, habe ich mich mit dem Provinzial des Sudan, P. Diego, zusammen getan, um herauszufinden, an welchen Orten die Comboni-Missionare jetzt gebraucht werden. Wir haben zwei Orte besucht, die von meiner Provinz im Süden aus gemanagt werden würden und wo vertriebene Missionare des Nordens arbeiten könnten. So sind wir vor Weihnachten nach Renk geflogen. Es ist die nördlichste Stadt des Südsudan. Täglich kommen dort tausende Flüchtlinge über die Grenze. Es bietet sich für die Comboni-Missionare eine Kooperation mit der Pfarrei in Renk an, solange die Flüchtlingskrise bewältigt werden muss.
Die Reise nach Weihnachten ging in die Nuba Berge, die direkt an den Südsudan angrenzen. Dort leben etwa 50 Völker, die jedes für sich eine eigene Sprache sprechen. Wie die Kurden im Nord-Irak verteidigen sie erfolgreich seit Jahrzehnten ihre autonome Zone im Sudan gegen Angriffe aus Khartum. 2011 wollten sie – wie der Süden – Unabhängigkeit erlangen, aber eine Abstimmung wurde verhindert. Weil die Nuba Berge sich selbstverwalten, sind sie bisher nicht in den aktuellen Krieg hineingerissen worden. P. Diego und ich sind von Juba aus bis nahe an die Grenze geflogen und dann mit einem Auto von Süden über den einzigen Grenzübergang gefahren, der die Region mit der Außenwelt verbindet. Es ist eine malerische Landschaft mit hunderten von Hügeln, genau das Gegenteil des absolut flachen Sudd bei den Nuer in Fangak. Die Comboni-Schwestern arbeiten schon dort. Die Gründung einer Gemeinschaft von Patres/Brüdern wäre permanent und unabhängig von den Ereignissen im Sudan. Es gibt dort eine wachsende Anzahl von Christen, die friedlich mit Muslimen und Menschen traditionellen Glaubens zusammen leben. Der Glaube an Jesus mit Gott als erbarmender Vater verbreitet sich, weil die ideologische Linie der Khartum-Regierung viele Menschen nicht mehr überzeugt und sie sich von Repressionen befreien, sobald sie die Wahl haben. Die Verwaltung möchte übrigens betont säkular sein und experimentiert damit, den Mittwoch als Feiertag zu etablieren. Am Donnerstag beginnt in den Nuba Bergen die Arbeits- und Schulwoche. Jedoch nehmen sich Christen zusätzlich den Sonntag frei, und Muslime den Freitag.
Dieser Brief gibt Euch Einblick, wie Krisenmanagement bei uns funktioniert. Betet für Gottes Fügung und Leitung bei den Entscheidungen, die dieses Jahr getroffen werden müssen, und betet auch, dass kein Krieg im Südsudan ausbricht. Ende Dezember wurden mehr als 5000 Soldaten nach Juba gebracht, als ob sich etwas zusammenbraut.
Etwas anderes steht schon fest: mein Heimaturlaub im Juni/Juli 2024. Es ist mir eine Freude, viele von Euch in Berlin, in einem der Comboni-Häuser oder woanders zu treffen. Schreibt mir, wenn ein Besuch erwünscht ist!
Herzliche Grüße,
Euer Pater Gregor Schmidt, MCCJ