Freitag, 9. Juli 2021
Pater Moses Otii, ein ugandischer Comboni-Missionar, gehört seit Juni der Hausgemeinschaft im österreichischen Graz-Messendorf an. Davor war er Pfarrer der Kirchengemeinde Unserer Lieben Frau von Fatima, einer der größten in der Erzdiözese Bangui in der Zentralafrikanischen Republik.
„Das Wichtigste sind nicht die theoretischen Grundlagen, sondern der Wiederbeginn des Zusammenlebens,“ sagt er zu seinen Erfahrungen im Bereich des interreligiösen Dialogs. Das ist der Kern der Sache: noch einmal damit zu beginnen, Möglichkeiten für Muslime und Christen zu schaffen, aufeinander zuzugehen und wieder zusammen zu leben und zu arbeiten. Das geschieht, nachdem sie im Mittelpunkt gewaltsamer politischer Instrumentalisierung standen, die dazu führte, dass sie irrtümlich mit den Rebellengruppen Seleka und Anti-Balaka in Verbindung gebracht wurden, die seit 2012 den Konflikt auf dem gesamten Gebiet der Zentralafrikanischen Republik anfachen.
Dies hat die jüngste einer Reihe von politischen Krisen ausgelöst, die fälschlicherweise als religiöser Konflikt zwischen den wichtigsten Glaubensrichtungen des Landes interpretiert wurden. Die Ursachen, die zu den Auseinandersetzungen führten, sind jedoch woanders zu suchen: in der Art und Weise, wie die Regierung weite Grenzgebiete aufgab, und in der Gier der Rebellengruppen, die sich die immensen Bodenschätze des Landes aneignen wollen.Selbst die Pfarrei Unserer Lieben Frau von Fatima bleib nicht verschont. Sie liegt nur wenige hundert Meter von Km5 entfernt, dem wirtschaftlichen Zentrum der Hauptstadt mit muslimischer Mehrheit. Es kam zu wiederholten Angriffen, Massakern und Zerstörungsversuchen, bei denen Dutzende Menschen ums Leben kamen, darunter zwei Priester. Seit dem 5. Dezember 2013 haben dort mehr als sechstausend Vertriebene Zuflucht gefunden, eine Situation, die seit über drei Jahren anhält.
Inmitten dieser Tragödie hat Pater Moses nie aufgegeben. Was ihm die Kraft gab, in einer solch schwierigen Situation zu bleiben, ist der Glaube der Menschen. Er erkennt immer mehr, dass die Gegenwart der Kirche ihr einziges Zeichen der Hoffnung ist. „Wenn wir die Pfarrei verlassen hätten, wäre es, als hätten wir den letzten Funken Hoffnung gelöscht. Unsere Anwesenheit ist von entscheidender Bedeutung“, sagt der junge Missionar.
Pater Moses verstand, dass es notwendig war, etwas Konkretes zu tun. Er betete, überlegte, stellte sich selbst in Frage und bat dann um Zusammenarbeit, um ein Arbeitsteam aufzubauen. Gemeinsam begannen sie zu träumen und Initiativen zu ergreifen. „Bei all den Gräueltaten der letzten Jahre haben wir uns überlegt, was wir tun könnten, und einige Aktivitäten gestartet, mit dem einzigen Ziel, die richtigen Bedingungen zu schaffen, unter denen Christen und Muslime zusammenkommen können.“
Die erste dieser Initiativen war ein Englischkurs, an dem rund 120 Jugendliche teilnahmen, davon 80 Muslime. Pater Moses erinnert sich an diese erste Erfahrung: „Zuerst war es nicht einfach. Im Laufe der Zeit erkannten die jungen Leute, dass es sich bei denen, die sie trafen, um Menschen wie sie selbst mit den gleichen Wünschen und Träumen handelte. Dieser erste Austausch war positiv und ermutigte uns, die Richtung beizubehalten.“
Um den Vertriebenen zu helfen, der Spirale von Hass, Wut und Rache zu entkommen, wurden Gesprächsgruppen gegründet. Das erste Friedensvideo mit dem Titel „The Dove“ (Die Taube) wurde in mehreren Vertriebenenlagern gezeigt und löste lebhafte Debatten zum Thema Versöhnung und Vergebung aus.
Ende 2019 wurde ein Jugendkulturzentrum mit dem Namen „Die Märtyrer von Fatima“ mit Bibliothek, Konferenzsaal, Filmwerkstatt und Musikstudio, mit Alphabetisierungskursen, Informatikunterricht und psychologischer Beratung eröffnet. Viele Muslime besuchen die zahlreichen Schulungen zur Friedensarbeit und Konfliktbewältigung.
„Wir bereiten den Boden für Vergebung und Versöhnung“, sagt Pater Moses. „Viele Menschen erzählen mir, wie sie alles verloren haben, ihre Familie und ihr Zuhause, und fragen, wie sie vergeben können, wie sie sich mit den Menschen versöhnen können, die ihre Liebsten umgebracht haben. Wir müssen auf die Vergebung hinarbeiten, denn sie ist ein Geschenk Gottes.“
Pater Moses erklärt die große Bedeutung des neuen Zentrums: „Wir müssen das Gefühl überwinden, Opfer zu sein, und unser Schicksal selber in die Hand nehmen. Wir haben gelitten und schlimme Situationen erlebt, aber dieser Ort des Todes muss ein Ort des Lebens werden. Aus einem Ort der Wunden muss ein Ort der Heilung werden.“
Der Missionar wiederholt die Bedeutung des interreligiösen Dialogs, der fest im Leben der Menschen verwurzelt ist: „Wir schaffen Räume, in denen Menschen sich begegnen und Menschen verschiedener Religionen sich vermischen können“. Neben dem Kulturzentrum ist eine Apotheke mit Labor für Tests hinzugekommen. Das Ziel ist immer das gleiche: durch Begegnungen für Menschen zu sorgen und ihre Wunden zu heilen. Die Pfarrei Fatima wird zu einem Ort, an dem der Dialog zwischen den Religionen zum Leben in Fülle wird.
Anour Limane, Präsident des Zentralafrikanischen Islamischen Jugendkreises für Entwicklung, erzählt von einigen Initiativen der letzten Monate, an denen junge Christen und Muslime in der Gemeinde Fatima teilnahmen. Im vergangenen September organisierten die muslimische und christliche Gemeinschaft gemeinsam die Online-Fotoausstellung „Festiphoto de Fatima“, die es jungen Zentralafrikanern ermöglichte, ihre Kreativität zu zeigen. Sie präsentierten das andere Gesicht des Landes, wobei die reiche menschliche und ökologische Schönheit der Zentralafrikanischen Republik zutage trat. Diese Impressionen unterschieden sich stark von den Bildern von Tod und Zerstörung, die junge Menschen sonst zu sehen gewöhnt sind.
Im Dezember fand das „Festipaix de Fatima“ statt. Ziel dieses Filmfestivals war es, die Kultur des Friedens und des Dialogs zwischen den Kulturen und Religionen zu fördern, indem Filme unter der Leitung von Julio-Cyriaque Mbetheke (Gemeinde Fatima) und Fatoumata Dembele vom Kreis produziert wurden. Beide Initiativen waren sehr erfolgreich, viele Jugendliche nahmen daran teil.
Anour kommentiert: „Als Gemeinschaft junger Muslime besuchen wir treu das Jugendkulturzentrum von Fatima. Unsere Schüler gehen auch in die Bibliothek, um mit der Jugend der christlichen Gemeinde ins Gespräch zu kommen. Wir wollen die Gemeinschaft wiederbeleben, die vor der Krise bestand.“
Pater Moses erinnert sich: „Als ich 2012 ankam, lebten hier Christen und Muslime zusammen. Die Pfarrei war voller Leben und Initiativen, ein Ort der Begegnung zwischen vielen Menschen unterschiedlicher Glaubensrichtungen. Muslime, Protestanten und Katholiken kamen zusammen, um Filme zu schauen, an sportlichen Wettkämpfen teilzunehmen und gemeinsam Weihnachten zu feiern. Die gegen Ende 2012 ausgebrochene politisch-militärische Krise hat all dem ein Ende gesetzt.“
Auf den Schulbänken der Pfarrei saßen muslimische und christliche Kinder nebeneinander. Sr. Charlotte, die Direktorin der katholischen Schule Notre Dame de Chartres ist, musste sich mit dem Problem der Heilung der Kriegswunden auseinandersetzen. „In unserer Schule waren die meisten Kinder Muslime. Nach dem Krieg weigerten sich sowohl Lehrer als auch Eltern, ihre Kinder wieder in die Schule zu schicken. Sie hatten zu viel gelitten. Wir haben sie nach und nach darauf vorbereitet, alle Kinder anzunehmen, weil diese Schule keinen Unterschied nach Religion, sozialer Schicht oder ethnischer Zugehörigkeit macht.“
Als die Schule wieder geöffnet wurde, freuten sich die Kinder, die sich so lange nicht gesehen hatten, wieder ihren Mitschülern zu begegnen, und begannen sofort miteinander zu spielen. „Wir mussten lange arbeiten, um ihnen klar zu machen, dass wir weder Anti-Balaka noch Seleka sind, sondern alle Brüder und Schwestern.“
Er erinnert sich: „Eines Tages sagte eine muslimische Mutter während einer Versammlung den christlichen Eltern, dass die Schule alle ihre Kinder, sowohl muslimische als auch christliche, beschütze und sie darauf vorbereitet, mit Engagement ihrer Zukunft entgegenzugehen.“ Während die Politik das Land gespalten hat, wollen sich die Jugendlichen ganz für eine andere Zukunft einsetzen.
Anour Limane schlussfolgert: „Wir dürfen uns nicht von den Mächtigen manipulieren lassen; alle jenen, die uns voneinander trennen wollen. Wir jungen Menschen verschiedener Religionen haben eines gemeinsam. Wir gehören alle zur Zentralafrikanischen Republik.“